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Auch keine Insel der Seligen mehr

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Das asketische Leben in der Mönchsrepublik hat jahrtausendealte Tradition; und doch bemerkt man auch hier eine Art Endzeitstimmung.

Karfreitag war es, als ich bei sintflutartigem Regen mit Kollegen das Athosmassiv überquerte. Der Maultierpfad, den wir mit vollem Marschgepäck gebückt dahin-kriechen, ist längst zum Wildbach geworden. Bis über die Knöchel waten wir im Wasser - stundenlang. Zwerg- und Dorngestrüpp sticht und reißt an unseren Kleidern, und dschungelartiges Buschwerk überschüttet uns wie mit Brausen bei jedem unvorsichtigen Schritt mit zusätzlichen Wassermengen.

Hagion Oros, „Heiliger Berg", heißt die östlichste der Chalkidike-Halbinseln, auf der sich die Mönchsrepublik befindet. Dieser Männerstaat, etwa 50 Kilometer lang und zehn Kilometer breit, feierte 1963 das Fest seines tausendjährigen Bestandes. Seine Verfassung, auf Bockshaut geschrieben, ist die älteste noch gültige der Welt, und sein Betreten ist „jeder Frau, jedem Kind, jedem Eunuchen, jedem weiblichen Tier, jedem glatten Gesicht" noch heute verboten. Das einzige weibliche Wesen, das auf den Ikonen, Fresken und Mosaiken des Athos aufscheint, ist, die Muttergottes; sie soll nach uralter byzantinischer Überlieferung mit dem Jünger Johannes hierher geflüchtet sein.

Mit einem Beglaubigungsschreiben des Ministeriums für Nordgriechenland sind wir Dienstag vor Ostern im Hafen von Daphni gelandet. Am Regierungssitz in Karyae nehmen wir dann unter Verneigung vor den Mönchen zirni erstenmal den auf Athos üblichen Begrüßungstrunk entgegen: ein Glas Wasser, einen würzigen Anislikör, eine Süßspeise und eine kleine Schale Mokka. Im Anschluß an diese Zeremonie überreicht man jedem von uns den Athospaß, worin „die zwanzig heiligen und hochwürdigen Klöster des heiligen Berges Athos" ersucht werden, uns als Gäste aufzunehmen.

BESCHÄMENDE GASTLICHKEIT

Mein Eindruck von den Athosmön-chen? Nun, ich habe sie mir jedenfalls anders vorgestellt: finstere, alttestamentarische Gestalten, die verächtlich auf uns profanes Volk herabsehen. Gerade das Gegenteil ist der Fall. Die Mönche lächeln gern (ihr Lächeln ist eine Mischung von Einfalt, Güte und Entrückung), sie sind gelassen und heiter und von geradezu beschämender Gastlichkeit.

Freilich: Während eine verschwommene Romantik, eine religiöse Schwärmerei alles, was auf

Athos geschieht, kritiklos hinnimmt und überschwenglich lobt, streichen andere Berichte die Schattenseiten heraus: Überheblich wird die Mönchsrepublik als verlotterte Männerwirtschaft abgetan und belächelt. Immerhin traf auch ich Vollkommenheit und körperliche Verwahrlosung nahe nebeneinander. Ich sah ehrwürdige Väter, die ich um ihre abgeklärte Weisheit beneidete, abseits aber auch Gestalten, die etwas Schlafmütziges an sich hatten, die stumpf dahindösten, wenn nicht gar „verblödeten". Menschlich-Allzumenschliches auch auf Athos!

Viele Athoniden sind Seeleute, Soldaten, Tropensiedler oder Emigranten gewesen, und ein verpfuschtes Leben hat sie hier auf den Athos „angespült". Wie weit sich dabei mystische und natürhche Belange verflochten haben, bleibt dunkel. Das überweltliche Reich der Ostkirche stand ursprünglich unter dem Schutz des Kaisers von Byzanz, eine Schutzherrschaft, die später auf den russischen Zaren übergegangen ist.

Am späten Nachmittag, wenn die Sonne hinterm Olymp untergeht, sitzen wir im Gespräch mit den Vätern auf den schwankenden, morschen Brettern, die man großzügig als Veranden bezeichnet. Im Silberglanz der Ägäis breitet sich unter uns eine schwermütig-heitre Landschaft in homerischer Unberührtheit aus. Mit Einbruch der Dämmerung aber, das ist nach Athoszeit um die zwölfte Stunde, werden die schweren Tore der Klosterburgen geschlossen, und die Mönche zünden - ein ungewohntes, fast feierliches Bild - jetzt die Kerzen und Lampen an.

Wir legen uns bald nieder, wollen wir doch einmal am mitternächtlichen Gottesdienst teilnehmen, der phantasievoll und dramatisch nach uralter Tradition abläuft. Er dauert acht Stunden (die wir natürlich nicht durchstehen); die Osterliturgie aber dauert 15 Stunden! Und das 40tägige Osterfasten bestehen manche Einsiedlermönche ohne einen Bissen Nahrung und mit einem einzigen Schluck Wasser nach jedem Sonnenuntergang.

Der Aufenthalt in den Athosklö-stern ist sicher nicht nach jedermanns Geschmack. Und doch hat die fremde Lebensform einen eigenartigen, schwer durchschaubaren Reiz; wohl deshalb, weil der vielfach überforderte Mensch hier ein wenig zu seinem heimatlichen Ursprung zurückfindet. Verpflegung und Quartier sind von asketischer Kargheit, doch wird freudig gereicht, was Keller, Garten und Meer hervorbringen. Der Wein ist reichhch bemessen. Meist wird das Essen in einer Art Bettlerschale vorgesetzt, mitunter aber auch auf fürstlich gedeckter Tafel serviert wie im Kloster Pante-leimon, dem als Gastpater ein russischer Großfürst vorsteht.

EINE ART KULTURSCHUTZGEBIET

Unsere Tage sind ausgefüllt mit Besichtigungen der Klöster und ihrer Schätze: Der Gürtel der heiligen Jungfrau wird gezeigt, die unbe-schreibhch kostbaren, staubgesättigten Bibliotheken übersteigen alle Vorstellungen, und wenn man uns die Reliquien der Heiligen sehen läßt, überladen mit Gold und Edelsteinen, legt der führende Mönch vollen Ornat an.

Athos ist eine sterbende Welt; zumindest hat der flüchtige Besucher diesen Eindruck. Eine Art Kulturschutzgebiet, letzter Überrest des Urchristentums und des Mittelalters, eine Nacht, wenn auch eine sternenhelle. Die Klöster verfallen, die Gärten verwildern, und die Menschen erwarten den Weltuntergang. Da ist zum Beispiel eine Klosterburg, die für 6.000 Personen erbaut wurde. In endlosen Gängen, sechs Stockwerke übereinander, lebten sie einst Zelle an Zelle; dazwischen 20 Kirchen in orientalisch schwerer, nun verstaubter Pracht. Heute bewohnen diesen babylonischen Riesenbau niu- noch wenige Mönche, und manche können ihre Zelle nicht mehr verlassen. Ihre Gesänge haben etwas Schauerliches, Beklenmiendes. Leichter Modergeruch überall, vermischt mit Holzfeuer- und Weihrauchduft.

Auch unsere Zeit ist abgelaufen. So überqueren wir denn, teils zu Fuß, teils auf Maultieren, das gebirgige Mönchsland zum zweitenmal, diesmal von der Ost- zur Westküste. Unser Aussehen hat sich inzwischen stark reduziert und bereits weitgehend den Eremiten angepaßt, die hoch oben im Athosfelsen oder in abgeschiedenem Waldesdickicht ihre Höhlen und Klausen haben.

In klarer Schärfe leuchtet der 2.000 Meter hohe Athosgipfel im Abendlicht, und unbekannte Kräuter und welkendes Laub, Buchsbaum und Myrthe verbreiten ein fremdartiges Fünften, das an Friedhof erinnert. Unser Gefühl aber war ein Fragezeichen, zu dem sich die Frage nicht einstellen wollte.

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