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Auch politische Krankheit ist ansteckend

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In der Geschichte des Christentums ist Ostern das Fest der Feste, weil Ostern den Hinweis auf das geschichtliche Ereignis der Auferstehung Christi und damit auf den Eckstein des Christentums einschließt. Es ist dies einerseits die Erlösung von einer sonst nicht lösbaren Schuldgemeinschaft, die auf der Menschheit lastet; und anderseits ist es der Ausdruck der Solidarität aller Menschen in Sünde und Heil.

Paulus hat den neuen Solidaritätsgedanken aufgegriffen und in seinen Briefen darauf hingewiesen, dar} damit der Gegensatz von Juden und Griechen, von Freien und Sklaven, von Mann und Frau seine Bedeutung verloren haf, weil alle Menschen durch Christus den gleichen Vafer im Himmel haben und in der übernatürlichen Verbundenheit mit Gott miteinander Brüder geworden sind, daher grundsätzlich gleich sind. Dieser Gedanke hat die Menschen nicht mehr zur Ruhe kommen lassen.

Die Einheit des Menschengeschlechtes kann nur von einem höheren, über ihm liegenden Prinzip abgeleitet werden, das heifjt, sie gründet letztlich in Gott. Die Menschen sind deswegen und nur deswegen Brüder, weil sie einen gemeinsamen Vater im Himmel haben. Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit, die Parolen der Französfschen Revolufon, sowie die Parolen eines innerweltlichen Humanismus wurzeln im Religiösen, im christlichen Glauben. Die aus der Gofteskindschaff erwachsende Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit lähf die Menschheit erst als eine Einheit begreifen.

Die Kirche spricht vom Corpus Christi Mysticum, von der Einheit aller Getauften, die den geheimnisvollen Leib Christi bilden, wodurch jeder mif jedem und alle mit Gott auf übernatürliche Weise verbunden sind.

Dieses Bild ist das grobe Vorbild auch für den natürlichen und sozialen Bereich.

Das Bewuhfwerden dieser Einheit führ) zur Solidarität, das Verleugnen zum Egoismus. Die Solidarität ist die Tugend, der Egoismus die grofje Sünde WIMM Z<-:|f, Wie so oH taf oweh hier di Sund* nicht r-vr da sittlich Schlechte, sondern auch das der Vernunft Widersprechende, das Falsche, Der Egoismus handelt nicht nur moralisch schlecht, er verstößt mit seiner Haltung auch gegen das rationell begreifbare Interesse aller, in dem sein Interesse mit eingeschlossen ist. Niemand ist allein auf dieser Weif, niemand kann für sich allein glücklich werden. Es gibt auch einen religiösen Egoismus, der nicht weniger schuldhaft ist wie der materielle. Es gibt Menschen, die meinen, sie mühten nur ihre eigene Seele retten, die ihrer Mitmenschen ginge sie nichts an. In ihrem Egoismus wissen sie vielleicht gar nicht, wie sehr ihr eigenes Seelenheil von ihren Mitmenschen abhängt, vom Rosenkranz einer alten Frau, von den Nachtwachen stiller Klosterfrauen und vom Mefjopfer einsamer Priesfer. Kein Gebet, kein Opfer, keine gute Tat ist verloren in dieser Welt. Gebet, Opfer und gute Werke sind es, die die Welt im Gleichgewicht halten.

Der Egoismus ist kurzsichtig. Er sieht nicht ein, dah es dem einen nicht gut gehen kann, wenn es dem anderen schlecht geht. Ja er meint sogar, das Elend des anderen wäre die Voraussetzung für seinen eigenen Wohlstand, die Schwäche des anderen die Grundlage der eigenen Stärke, die Krankheit des anderen die Gewähr der eigenen Gesundheit. Auch hier denkt der Egoismus nicht nur moralisch schlecht, sündhaft, sondern auch unrichtig und falsch. Der Satte wird nichf satt bleiben, wenn neben ihm ein anderer hungert, der Starke nicht stark, wenn er seinem Mitbruder nicht hilft, seine Schwachheit zu überwinden, der Gesunde nichf gesund, wenn sein Partner krank ist. Wir begreifen das heute besser, wo grofje Summen für die Entwicklungshilfe ausgegeben werden, Schiffsladungen von Getreide die Ozeane überqueren und gewaltige Mittel bereitgestellt werden zur Eindämmung von Elend, Hunger und Krankheit. Auch das ist ein Beweis für das Bewuhfwerden der gegenseitigen Abhängigkeit, ein Beweis für die Erkenntnis der Einheit der Welt.

Auch im eigenen Volk spüren wir es, dafj der Wohlstand des einen nichf auf Kosten des anderen gehen darf; dal} der Konsument auf die Dauer keinen Gewinn hat, wenn der Bauer verelendet, dafj der Gewinn des Bürgers mif dem Verlust der Kaufkraft des Arbeiters verschwindet. Aber nicht nur die wirtschaftlichen, auch die sozialen und politischen Gruppen des Volkes sind voneinander abhängig. Auch hier ist der eine nicht sfark, wenn der andere schwach ist, der eine nicht gesund, wenn der andere krank ist. Wir sind alle Glieder eines Körpers. So wie sich der Arm nicht freuen kann, wenn der Fufj gebrochen ist, der Kopf nichf gesund ist, wenn es dem Magen schlecht geht, so kann der eine nicht gleichgültig sein der leiblichen und seelischen Not des anderen gegenüber. Schon gar nicht kann er meinen, des anderen Leid verbürge das eigene Glück, des anderen Elend das eigene Heil.

Nicht nur der moralische Anstand, auch das wohlverstandene eigene Interesse verbietet es, die Schwäche des Partners auszunützen, ihn in seine Krankheit noch mehr hineinzustoßen. Auch politische Krankheit ist ansteckend, auch politische Schwäche kann übergreifen; und ehe man sich versieht, sind beide Partner aneinander krank geworden. Ein kurzsichtiger politischer Egoismus würde sich sehr bald rächen, denn jeder Krankheitskeim, der nicht ausgeheilt wird, vergiftet nicht nur den kranken Körper des anderen, sondern auch den eigenen scheinbar gesunden. Wir gehören alle zusammen. Wir werden entweder gemeinsam gesund oder gemeinsam krank. Wir sind alle miteinander verbunden. Wir hängen alle voneinander ab in politischer, in wirtschaftlicher und sozialer Beziehung. Unser zeitliches Heil ist in dieser Verbundenheit ebenso eingeschlossen wie unser ewiges.

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