Auch Säulenheilige wollen gefeiert werden

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"Fast erweckt es den Eindruck, als wollte man diesmal Gedenkjahre bewusst außen vor lassen, nachdem man sie zuletzt stets ausführlich begangen hat."

Componist" hatte er als Berufsbezeichnung in seinem Pass stehen. Musik wollte er schreiben, nicht "Misuk", wie er mehrfach betonte. Dennoch wäre es so einseitig wie falsch, Gottfried von Einem als Konservativen abzustempeln. Er war eine eigenständige Persönlichkeit. Geprägt von seinem von ihm verehrten Lehrer Gottfried Blacher und zahlreichen intensiven Studien, die er zeitlebens betrieb und woraus er zahlreiche Anregungen empfing. In jungen und mittleren Jahren Mittelpunkt der Gesellschaft, zog er sich nach und nach in die Ruhe des niederösterreichischen Waldviertels, schließlich nach Oberdürnbach zurück, wo der 1918 Geborene 78-jährig starb. Ein Weltmann, der souverän im Hintergrund Fäden ziehen konnte, mit seinem Auf-und Eintreten immer wieder auch für ihn komplizierte Situationen herbeirief, der erst in späteren Jahren erfuhr, dass nicht ein österreichischer Militärattaché, sondern ein auf der Jagd verunglückter ungarischer Graf sein Vater war. Eine im wahrsten Wortsinn schillernde Person.

Das war auch Leonard Bernstein. Am 25. August wäre auch er hundert Jahre alt geworden. Die letzte umfassende musikalische Persönlichkeit nannte ihn sein enger Freund Marcel Prawy, denn Bernstein war Komponist, Dirigent, Pianist, setzte sich wie kein zweiter in seinen legendären Gesprächskonzerten und Harvard-Vorlesungen für eine breite musikalische Bildung ein. Dass er sich zeitlebens so für Mahler engagierte - zuerst als Langzeit-Chefdirigent der New Yorker Philharmoniker, später durch Jahrzehnte mit den Wiener Philharmonikern, denen er diese Welt in ihrer Gesamtheit vielfach erst eröffnete -verdeckt beinahe den Blick auf sein weiträumiges Repertoire als ausübender Künstler, was zuweilen auch sein kompositorisches Schaffen etwas in den Hintergrund rückte.

Auch an einen anderen großen Dirigenten, den manche gerne als Konkurrent Bernsteins gesehen hätten, wofür sich beide aber nie hergaben, erinnert dieses Jahr: Herbert von Karajan wäre am 5. April 110 Jahre alt geworden. Herrliche Zeiten für die Plattenbranche, die derart - womit sie schon teilweise im Vorjahr begonnen hat -mit luxuriösen Editionen die Aufnahmetätigkeit beider wirklicher Star-Dirigenten würdigen, und damit wieder einmal erinnern kann, auf welch hohem Niveau diese Produktionen waren. Und die Kassen der jeweiligen Firmen, für welche diese beide Giganten ins Aufnahmestudio gingen, wird es auch freuen.

Bernstein zu wenig zugkräftig?

Ob dieses mediale Bernsteinund Karajan-Gedenken noch überstrahlt wird von Neuerscheinungen zum Debussy-Jahr 2018? Der Todestag dieses stilprägenden Komponisten, dessen Werke Karajan wie Bernstein gerne auf ihre Programme setzten, jährt sich am 25. März zum hundertsten Male. "Debussy strahlt verführerische Kräfte aus von geheimnisvoll hinreißendem Zauber. Seine Position an der Schwelle der Neuen Musik gleicht einem Pfeil, der einsam in die Höhe schießt", charakterisierte ihn einer seiner berufendsten Deuter, selbst ein wegweisender Komponist: Pierre Boulez 1962. Für Jean Cocteau und seinen bis heute wichtigsten Klavierinterpreten, Walter Gieseking, war Debussy der ideale Übersetzer des Lebens und der Natur.

Immerhin, beim ersten nicht in Zusammenarbeit mit den "Wiener Festwochen", sondern allein ausgerichteten Musikfest im Wiener Musikverein gibt es einen prominent besetzten Debussy-Schwerpunkt. Wenigstens in der ersten Jahreshälfte hat allerdings keines der großen Wiener Opernhäuser Debussy auf seinem Programm, auch in Salzburg ist Debussy kaum vertreten. Aber auch Bernsteins Œuvre scheint den Veranstaltern, egal ob Oper oder Konzert, zu wenig zugkräftig, um darauf in einem größeren Ausmaß, gar Zusammenhang zu verweisen. Wäre es wirklich so "retro" gewesen, wenn sich beispielweise die "Wiener Festwochen" mit anderen Institutionen, die Oper selbstverständlich inklusive, zusammengetan und sie sich einen solchen Schwerpunkt überlegt und realisiert hätten?

Besser geht es Gottfried von Einem. Er kommt in der Staatsoper mit "Dantons Tod" und im Theater an der Wien mit dem "Besuch der alten Dame" zu Wort. Ursprünglich war es übrigens umgekehrt geplant. Aber dass einst jedes Jahr in einem der philharmonischen Konzerte im Musikverein ein Werk von Einem aufgeführt wurde, wurde weder in den Wiener noch in den Salzburger philharmonischen Programmen berücksichtigt. Ob da noch etwas zu erwarten ist? Dafür würdigt das Archiv der Gesellschaft der Musikfreunde von Einem, der dem Musikverein schon zu Lebzeiten seinen Nachlass vermacht hat, mit einer Ausstellung.

Haben Veranstalter für den zweiten Teil des Jahres etwas in petto? Etwa, um Gershwins 120. Geburtstag Ende September zu feiern? Warum nicht diesen und Bernsteins Geburtstag mit dem auf Ende März fallenden 75. Todestag von Rachmaninow und einem Hinweis auf Tschaikowsky, dessen Todestag sich im November zum 125. Male jährt, zu einem Musikfest zweier Welten verbinden? Fast erweckt es den Eindruck, als wollte man diesmal Gedenkjahre bewusst außen vor lassen, nachdem man sie zuletzt stets ausführlich begangen hat. Ein Paradigmenwechsel oder nur eine Momentaufnahme?

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