Stefan Gmünder - © Foto: Tsui

Auf dem Literatur- und Fussballfeld

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Machenschaften, soziale Ungerechtigkeit, Gewinnmaximierung, Eventisierung: Betrifft das nur den Fußball-oder auch den Literaturbetrieb? Und wie ist das mit dem Bachmann-Preis?

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Machenschaften, soziale Ungerechtigkeit, Gewinnmaximierung, Eventisierung: Betrifft das nur den Fußball-oder auch den Literaturbetrieb? Und wie ist das mit dem Bachmann-Preis?

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In ihrem Buch "Das wunde Leder - Wie Kommerz und Korruption den Fußball kaputt machen" beleuchten Stefan Gmünder und Klaus Zeyringer die Machenschaften des Fußballbetriebs. Ein Anlass, mit Bachmann-Preis-Juror Stefan Gmünder ein Gespräch über die Unterschiede und Gemeinsamkeiten von Fußball und Literaturbetrieb zu sprechen.

DIE FURCHE: Worin unterscheidet sich der Fußball- vom Literaturbetrieb?
Stefan Gmünder:
Für mich gibt es nicht viele Unterschiede, außer dass man zum Beispiel, um einen Sager von Wendelin Schmidt-Dengler aufzugreifen, weiß, wie der Hamlet ausgeht, aber bei einem Spiel Südkorea gegen Deutschland weiß man das Ergebnis im Vorhinein nicht.

DIE FURCHE: Im Literaturbetrieb doch auch nicht. Bestseller etwa sind nicht unbedingt planbar, es kann auch schief gehen.
Gmünder:
Das stimmt, aber um bei Fußballmetaphern zu bleiben: Man hat früher gesagt, dass Geld keine Tore schießt. Mittlerweile sieht man an den Konzentrationsprozessen bei den großen Fußballclubs, dass das Geld gute Spieler einkaufen kann und durchaus zu Erfolgen führt. In den Verlagen ist es ähnlich. Wo sie auf große Namen setzen, dort steigen die Auflagen. Für Newcomer oder Debütanten ist es mittlerweile sehr schwer, in diese oberen Ligen vorzustoßen. Zudem führt das Schielen auf möglichst große Verkaufserfolge zu einer ästhetischen Niederschwelligkeit, da möglichst viele Kunden, sprich Leser, erreicht werden sollten.

DIE FURCHE: Sie fordern in Ihrem Buch, dass es dringend nötig sei, "die Zustände im Fußballfeudalismus öffentlich zur Diskussion zu stellen", sprechen von dunklen Geschäften, sozialer Ungerechtigkeit und kaum kontrolliertem Monopol einer elitären Gruppe. Das alles beträfe nicht nur den Sport, sondern ganz allgemein die Ausrichtung heutiger Gesellschaften. Also auch den Literaturbetrieb?
Gmünder:
Auf jeden Fall. Diese Konzentrationsprozesse und die Eventisierung, die man im Fußball seit den 70er-Jahren beobachten kann, sind im Literaturbetrieb deutlich gegeben. Gewinnmaximierungen, Verengungen des Marktes: Das ist demselben Prinzip geschuldet wie beim Fußball. Dort ist nachweisbar, dass diese extremen Geldmengen, die mittlerweile umgewälzt werden, in der Zeit von Thatcher und Reagan angefangen haben. Dieser Neoliberalismus, der auch Literatur als ein Produkt sieht, als eine Ware und nicht als eine kulturelle Errungenschaft, zieht sich durch alle gesellschaftlichen Bereiche, auch die Kunst.

DIE FURCHE: Gibt es denn eine Möglichkeit, die Literatur davor zu bewahren?
Gmünder:
Die aktuelle Studie des Börsenvereins des deutschen Buchhandels "Buchkäufer - quo vadis" sagt, dass der deutsche Buchmarkt seit 2013 17,8 Prozent Buchkäufer verloren hat. Wenn das so weitergeht, gehen wir auf schwere Zeiten zu. Ich denke, dass die Zukunft der Literatur gesichert ist, aber in kleineren Verlagen, in verrückten Foren, wo Leute sich in völliger Selbstausbeutung für die Literatur einsetzen, für eine poetische Weltsicht, die Menschen verbindet. Das war immer so. Viele der Autoren und Künstler, die wir heute feiern, waren zu ihrer Zeit völlig unterschätzt und konnten von ihren Büchern nicht leben.

DIE FURCHE: Aber damit sprechen Sie einen gewichtigen Unterschied an. Sie erwähnen in Ihrem Buch, dass der gesellschaftliche Wert von Fußball extrem hoch ist. Kaum ein Politiker kann es sich leisten, "als nicht fußballsensibel zu gelten". Bei Kultur und Literatur war das einmal.
Gmünder
: Sicher, die Studie zeigt, dass der Niedergang der Buchkultur mit dem Aufkommen der digitalen Medien zu tun hat. Diese machen etwas mit unserer Wahrnehmung, Aufmerksamkeitsspannen werden kleiner. Für unsere Generation war es fast eine Visitenkarte, mit einem Suhrkamp-Taschenbuch herumzulaufen. Die Zeiten, in denen man durch das Buch gesellschaftliche Imagesteigerung herbeiführte, scheinen Geschichte zu sein. Der Börsenverein schlägt Marketingkampagnen vor, Yoga in der Buchhandlung und groteskes Zeug. Aber gerade so wird es nicht gehen. Du kannst niemandem das Fußballspiel nahebringen, indem du die Regeln erklärst. Man muss dieses Spiel fühlen und so eine Begeisterung dafür entwickeln. Das hat Peter Bichsel schon in seiner schönen Frankfurter Poetikvorlesung "Der Leser. Das Erzählen" geschildert. All diese moralinsauren Leseförderungsprojekte, dass man unbedingt lesen müsse: Ich glaube nicht, dass das funktioniert. Man muss die Leute anders heranführen, nicht mit Yoga, viel lockerer zeigen, dass die Bücher etwas mit dem eigenen Leben zu tun haben, mit unserer Welt und auch mit der Gesellschaft. Es gibt immer noch genug Bücher, die das leisten können und werden.

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