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Auf dem Veitsberg

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1. Fortsetzung

„Iiis Spital gibst du sie nicht, die schneiden nur an ihr herum und verpfuschen sie ganz.. Ich geh mit.“ “

Deir Schwiegersohn, ein unbeholfener Mensch, bedankte sich und verschwand.

Die, Pichlerin war über den plötzlichen Entschluß nun selber erschrocken.

„Mein“ Gott, was wird das für eine Wirtschaft werden.“

Ich hatte alle Mühe, sie zu beruhigen. Die halbe. Nacht werkte sie im Haus herum, im Morgengrauen weckte sie mich. Sie trommelte an die.Kammertür und schrie: „Schnell aufstehn!“

Als ich angezogen hinauskam, sagte sie-, aufs Läuten habe sie vergessen.

„Was für ein Läuten?“.

„In der Kapelle. Gebetläutcn.“

„Ich werde es auch machen.“

„JaJ aber wir müssen es probieren, gleich kann man es nicht.“

Sie machte sich reisefertig, ging mit einer gewissen Feierlichkeit zu Susi und Laura und dann mit mir in die Kapelle.

„Zuerst fest anziehen, dann mit dem Seil nachgehen, bis die Glocke zum zweiten Male angeschlagen hat, dann wieder anziehen.“

Ich probierte es mit einiger Bangigkeit und erschrak, wie der Klöppel oben anschlug und dem Dorf den Morgen verkün lete. Der zweite Anschlag war zu schwach, sie riß mir das Seil aus der Hand und läutete selber weiter. Ich gab acht, wie sie ei machte. Nach der ersten Pause gab sie mir wieder das Seil in! die Hand. Es ging etwas besser. Sie half nach. Beim dritten Male hatte ich es schon etwas im Gefühl. Sie war über meine Läuterei entsetzt.

„W^s werden die Leute sagen?“ „Der Bürgermeister ist schwerhörig.“ „Aber seine Alte hört jeden Floh niesen.“

Vor dem Verlassen der Kapelle sah sie nochmals mit einem verweilenden Bück auf den heiligen Veit, der wie immer nackt in seinem Zuber stand, und auf die andern Heiligen, griff ins Weihwasser, besprengte und bekreuzte sich und versperrte das Tor. Sie übergab mir feierlich den ellenlangen Schlüssel, dann schritt sie mit ihrem Bündel den Hügel hhiab und ich war allein.

Mit diesem Tage begann für mich eine wunderbare Zeit. Was mich beim ersten Male hier so angesprochen hatte, wurde mir zu einpr neuen Offenbarung. Der herrliche Hügel, das Häuschen, die Veitskapelle, es war nun mein eigen. Idi war der einzige Mensch], der, oben lebte, ich war der Ein-sjedler, der vor hundert Jahren hier nodi gelebt haben* mochte. Mit der Stille und Einsamkeit näherten sich mir alle Wesen und Dinge. Ich saß vor dem Haus und sah auf den leuchtend grünen Rasen, der die Kirche umgab. Längst hatte idi midi d.tran gewöhnt, barfuß zu laufen; und bei jedem Tritt spürte, ich dankbar die Liebkosung der weidien Gräser. Oder ich legte mäch in den kühlen Sdiatten der Apfelbäume und Laura -umsprang mich, froh über die Freiheit, welche ich ihr geschenkt hatte. Keine Zeitung, kein Radio riß mich aus diesem paradiesischen Leben. Und niemand hätte mich einen Faulenzer nennen können, denn ich hatte genug Arbeit in Haus und Garten.

Ich kochte nur einmal am Tage, zu Mittag, am Abend trank ich Milch von der Laura, die sich nun bereitwillig von mir melken ließ. Mir war, als stünde die Zeit still. Irgend etwas in mir begann sich zu verändern, ich spürte es, hättp es aber nicht ausspredien können. Am meisten trauerte der Hund um seine Herrin. Er suchte sie und fand keine Ruhe. Erst als er sah, daß er von mir sein Futter bekam, lief er. mir nach. Am ersten Tag nahm ich mir,eine schwere Arbeit vor. ich ging über Susis Heim, den Saustall. Ich trieb Susi in Lauras Stall, welcher gleich neben ihrem liegt und sdileppte den Mist heraus. Es dauerte lange, bis ich auf den Grund kam. Die Pfosten waren abgefault, die Feuchtigkeit konnte nicht abziehen. Idi gab ihr frisches Stroh. Sie tat so, als kenne sie sich in ihrem eigenen Heim night mehr aus, als ich sie zurücktrieb.

Am Abend lief ich den Hügel hinab zum Strom, um zu baden. Das Wasser war erfrischend, ich ließ mich ein Stück von der Strömung forttraget, dann saß ich auf dem Uferfelsen und horchte, wie das Wasser leise singend vorbeizog. Ich sah den Berg hinauf zu meinem Haus, das unter dem Nußbaum so freundlich stand. Ich erinnerte mich plötzlich, daß es Zeit war zum Läuten und lief hinauf. Ich glaube, es gelang mir schon besser. Man darf der Glocke keine Gewalt antun, sondern muß ich ihrem Rhythmus 'anpassen. Das Läuten muß ganz sicher und selbstverständlich wirken. Ich glaube, ich habe den Strick zu fest in def Hand, ich faß ihn zu kramp!haft. Nidi dem Läuten setzte ich midi in eine Bank und betrachtete den Veitsaltar Er hat so viele Einzelheiten, daß man lange braucht, um alles aufzufassen. Der' Zauber, in dem der heilige Veit steht, sieht wie ein großer Zigeunerkessel aus. Der heilige Veit ist kein Erwachsener, sondern ein Knabe, bis zum Bauch steckt er in dem Kessel mit siedendem öl. seine Nacktheit ist rührend. Knabenhaft ist auch sein Ge-siditsausdruck. Er ist fassmigios und irgendwie bekümmert über die Qual, die man ihm antut. Aber sie kann ihm nidits anhaben. Prächtig stehen die großen gold^länzenden Diakone Stephan und Laurentius neben ihm. £ie triumphieren wirklidi^ etwas uncnd'ich Überlegenes und Himmlisches leuchtet von ihrem Antlitz. Wie Schausrücke zeigen sie die Marterwerkzeuge, der eine die Steine, mit denen man ihn erschlug, der andere den 'Rost, auf dem er gebraten wurde. Die Füßa sind wie zum Sdireitcn geteilt. So müßten wirklich erlöste Mcnsdicn aussehen. Die Farben der alten Fassung sind noch sehr leuchtkräftig. Wohltuende Kühle steigt von den feuchten Steinen des Fußbodens auf. Viel Staub liegt auf den Bänken und.Altären.

„Den Schweinestall hast du gereinigt, aber notwendiger wäre es, die Kirche zu säubern“, fällt mir ein.

Schließlich versperrte ich das Tor und ging fort. Ich war froh, daß ich nicht mehr, kochen brauchte. Idi setzte mir die Schüssel Milch vor, schnitt ein Stück Brot ab und begann zu essen. Ich saß nicht steif. und gerade wie ein Städter, sondern vorgebeugt und auf den Tisch gestützt .wie ein Bauer, denn ich war müde. Ich ging in meine Kammer, suchte Papier und. Feder und setzte mich unter den Nußbaum hinters Haus, wo die Donau auf einen zufließt. Lange sah idi auf das Wasser, das zuerst wie ein Strom von Silber, dann bei untergehender Son-e wie Gold dahinzog. Schönheit rings um mich Aber ist das alles? Lebt'man nur von Schön he;t und für Schönheit' Unbehagen und Unsicherheit überkam mich. Ich nahm einen Bogen Papier und begann ml groß.-n ßudi-staben zu schreiben:

„Liebe Pichlerin!

Ihr könnt beruhigt sein, es ist il'es in Ordnung. Das .Läuten klang sdion ganz gut. Es war memand . da als die alte Steiningerin. Sie sagte, sie müsse nach-sdiauen. Habt Ihr es aufgetragen? Sie tra' midi beim Ausmisten im Saustall. Mein Läuten sei zu hastig, sagte sie. Vor dem Weggehen probierte sie, ob die Kapelle zugesperrt war. Am Abend hab' ich von der Laura soviel Milch bekommen, daß idi sie heute abend und morgen früh nicht aufessen kann. Ich werde die Steiningerin fragen, was ich mit der übersdiüssigci (Milch) midien soll. Ich glaube, Butte oder Käse kann man nidit .daraus machen.

Wie geht es Eurer Tochter? Ich grüße Euch alle ...“

Hernach überlegte idi eine Weile, nahm 1 einen anderen Bogen und begann abermals zu schreiben:

Liebe Marie, ich will Dir bloß ein Lebenszeichen geben, nachdem Du bereits wochenlang nichts von mir gehört hast. Nach langem Herumwandern in den Bergen wohne' ich jetzt bei einer alten Frau. Idi glaube, so ist es gut. Idi berühre die strittigen Punkte nicht. Ich gebe nicht nach. Ich bin mir über unser Verhältnis nicht klar geworden Ich fühle nur, daß etwas zwisdien uns zerbrochen ist. Ich glaube, es ist für uns beide am besten, wenn wir Ferne zwischen uns legen. Die gegenseitige Quälerei der letzten Zeit hat keinen Sinn. Wir lassen es darauf ankommen, ob wir noch weiter auseinander-kpmmen oder nicht. Ich habe mich mit keiner anderen eingelassen. Bitte das 'zu beachten.

Es grüßt Dich ... P. S. Schicke mir etwas Wäsche.“

Ich war verdüstert, als idi diesen Brief beendet hatte. Ich bemühte rich gleich darauf wieder alles, dem idi entlaufen warf zu vergessen, aber es gelang mir nicht. Ich stand auf und schaute nadi meinen Tieren.

Susi lag auf der Seite im Stroh und schnarchte. Laura stand auf, als ich kam, und schnupperte mich sin. Ich klopfte ihr auf den Rücken und ging. Nun zählte ich die Hühner. Vier Stück und ein. Hahn, in Ordnung. Ich legte mich'ins Gras vor die Kapelle und überlege meine Arbeit für den nächsten Tag. Im Hausgarten war zu jäten und der Boden zu lockern.

Am andern Tag, als ich aus dem Haus trat, fim zu läuten, sah ich. daß es regnete. So-wurde mein Pta'i ivngeworfen.' Es war auch trübe in mir. Wahrscheinlich wegen r'es Briefes, den idi im strömenden Regen ins Dorf hinunter trug. Beim Katumann hatte ich nadi einem Kochbuch gefragt, sie hatten kejnes zu verkaufen, doch die Frau hat mir ihr eigenes gali'ehen. Ich habe gar nicht gewußt, daß midi unten sdion alle kennen. Die Pichlerin muß viel von mir erzählt haben, mehr als wahr ist. Der Briefträger fragte mich, ob in meinem Buch wirk'ich alle Leute des Dorfes vorkommen werden.

Zu Mittag habe ich bereits nach dem Kochbuch gekocht. Aus den frühreifen Äpfeln machte idi einen Kuchen, der recht gut gelang. Es ist keine Kunst, nach dem Budie zu kochen. Unsere Frauen übertreiben das. Idi will ein Stück Kuchen für die Steiningerin aufheben, sie wird heute oder morgen bestimmt kommen. Über meinem Strudel vergaß ich zu Mittag aufs Läuten. Sie schickten aus dem Dorfe ein Kind, midi daran zu erinnern. Es war schon halb eins, als ich es tat. Hoffentlich hört es die Pichlerin nicht und vor allem nidit der Pfarrer, der jetzt auch mein Chef ist. allerdings fast so ferne wie der liebe Gott, denn ich hab' ihn noch nicht zu Gesicht bekommen. Ich habe die Scheu aller Männer vor geistlichen Personen. Vor unserer Trauung war ich mit meiner Frau zur Belehrung beim Pfarrer. Doch er hat keinen tiefen Eindruck hinterlassen. Er hatte gleich-drei oder vier Paare kommen lassen und es war wie ein Vortrag, ganz unpersönlich. Ich habe mir nur gemerkt, daß die kirdilichen Ehegesetze sehr streng sind, fast zu streng für den schwachen Menschen, mehr ein Ideal als eine Hegel. Die Eltern der Frau haben kirchliche Trauung verlangt. Und heute wäre es ein-''dier, wenn wir nur zivil getraut wären.

Wie töricht einen die Einsamkeit macht, 'di habe Uri. Susi und Laura von meinem \pfelkuchen gegeben. Laura hat den Kopf ;eschüttelt aber doch gefressen, die anderen verschlangen es.

In dünnen Strichen regnet es den ganzen Tag; am Nachmittag war ich faul. Ich saß vor dem Haus und las. Es ist das erste Mal seit langem. Idi fand im Wandschrank einige. Kalender und ein altes Lesebuch. Letzteres interessiert midi. Ich lese darin mit Vergnügen. Viele Geschichten kenne ich noch .aus meinem Schulbudi, etwa die schöne vom Meister Hämmerlein. Kannitverstan und das Mittagessen im Hofe. Ich las auch die alten gediegenen Gedidite, die in allen Lese-büdiern stehen und sie gefielen mir.

Wenn es wieejer regnet, will ich mich über die Kapelle machen. Ich habe mir zwar noch nidit den Arbeitsvorgang zurechtgelegt, aber es wird sich finden. Früher hatte ich einen Ekel vor allem Staub und ging ihm aus dem Weg. #

Am Abend habe ich wieder ein Stück gelesen, dann begann ich feu sdireiben:

..Gnädige Frau, es drängt mich, Ihnen Näheres mitzuteilen. Damals tyatte ich nicht den Mut, als idi Ihre Verzweiflung sah. Idi habe Ihnen nicht alles erzählt, ich fühle mich verpflichtet, das Fehlende nachzuholen. Ich hab' Ihnen erzählt, wie wir auf der Flucht gefangen wurden. Der Leutnant, ein Wachtrtieister, Karl, ich und zwei Soldaten, die erst vor kurzem zu uns gestoßen waren. Man ließ uns antreten und sagte uns, wir würden ins Lager geführt. Wir marschierten unter scharfer Bewadiung. Karl ging neben mir. Als wir auf immer kleinere Wege kamen, sdiöpfte idi Verdacht und sagte: .Karl, sie führen uns aufs Feld, sie werden uns umlegen.' Karl redete es mir aus, aber er war bleich. Auf einem Stoppelfeld nieß es halt. Der Offizier kommandierte in fremder Sprache — da wußte ich alles und dadite: ,sterben mußt du auf“ jeden Fall', idi drehte mich blitzschnell um und lief, was mich die Füße trugen, in der Richtung auf ein Maisfeld. Die Soldaten begannen t wild zu schießen, auf die Kameraden und auf mich. Vor mir und neben mir stob der Staub auf von den Einschlägen, die Kameraden sdirien, wie sie getroffen waren. Karl rief mit brechender Stimme: ,... Sag es ' meiner Frau, grüße sie.' Dann krachte es nochmals, das dürfte sein Gnadenschuß 'gewesen sein. Ich erreichte das rettende Maisfeld. Ich machte einen Bogen, dann warf idi mich auf den Boden, um zu verschnaufen. Idi hörte, wie sie schrien und mich suditen. Ich. lief weiter über andere Felder, ich traf einen Bauern, der vom Felde heimfuhr und bat ihn um Hilfe. Er ließ mich auf seinen Wagen, warf Futter über mich und führte mich fort. Meine weiteren Abenteuer haben nichts mehr damit zu tun. Ich habe Karl einmal versprochen, daß ich Sie verständigen würde, wenn ihm was zustößt. Mit diesem Schreiben tue ich es. Es kommt mir schwer genug an, aber wie sollen Sie mit der Unsicherheit weiterleben? Antworten Sie mir, bitte, daß Sie diesen . Brief bekommen haben. Nehmen Sie ihn gefaßt auf. wir können das Schicksal nicht ändern, ich bin Ihnen in Ihrem Schmerze herzlich verbunden.“

Ich verschloß den Brief und trug ihn ins Dorf. Es hatte zu regnen aufgehört, die letzten Wolken zogen vor dem Mond dahin. Doch es war kühl. Im Dorf brannte kein Licht mehr. Ich konnte nicht einschlafen, es kribbelte mich in den Waden, ich madite Umschläge, es half nichts. So lag ich stundenlang; gegen Morgen hätte ich schlafen können, aber aus Angst, das Läuten zu jerschlafen, stand ich auf.

„Wozu lebst du eigentlich?“ fragte ich mich selber.

..Was für ein Sinn liegt darin, daß er gestorben ist und du überbliebst? Wäre der Tod nicht für mich eine bessere Lösung gewesen?“ Ich war so müde, als ich die Glocke zog.

„Vivos voco, mortuos plango. Die Toten beklage ich, die Lebenden rufe ich“, damit erinnerte ich mich an das Lied von der Glocke.

Der Tag wurde schön, und ich ging in den Garten. Ich zupfte das Unkraut aus. Durch den Regen war die Erde locker, und das Gras ließ sich leicht herausziehen. Aber ich kam nidif zur Ruhe, im Gegenteil, idi wurde bei der Arbeit verdrossen. Ich hörte frühzeitig auf, riß einige Kohlrüben fürs Mittagessen aus und ging ins Haus. Als ich zu Mittag läutete, war gar nichts Schwingendes und Klingendes in mir. Am Nachmittag ging ich ins Dorf zum Tischler und bestellte neue Pfosten für den Boden von Susis Stall. Einziehen will ich sie selber. (Fortsetzung folgt)

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