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Auf den blühenden Wiesen

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Ist ein Wunder geschehen, das die Starre löst nnd in diesem dürren Tale die Auen wieder grünen lassen will? Ist ein Engel herabgestiegen und erfüllt sich vor unseren Augen die Weihnachtsbotschaft, daß Friede den Menschen auf Erden sei? — Was sich in den letzten Tagen in Flushing Meadows ereignet hat und dem Namen des Tagungsplatzes der Vereinten Nationen, der „Blühenden Wiesen“, mit Sinn erfüllen möchte, übertrifft alle Erwartungen. Die Ächtung der Atomwaffen und überhaupt aller Kampfmittel, die der Massenvernichtung dienen können, ist beschlossen; eine einstimmige Willenskundgebung der Generalversammlung der Vereinten Nationen nimmt die allgemeine Abrüstung mit allen notwendigen Kontrollen in Aussicht; eine internationale Konferenz soll in Bälde hiefür die völkerrechtlichen Bindungen mit allen erforderlichen Einzelheiten schaffen. Schon innerhalb des nächsten Vierteljahres hat nach den gefaßten Beschlüssen die bedeutende Verringerung der Besatzungs-truppen in den noch von den Alliierten besetzten Ländern zu geschehen. Bereits am 14. Jänner beginnen in London die Vorberatungen für den Staatsvertrag mit Österreich, der auf den am 10. März in Moskau fortzuführenden Konferenzen der Außenminister stipuliert werden soll. Zuversichtlich erwarte er, erklärte Molotow bei. seinem Abschied von der großen internationalen Tagung in New York, daß die Zusammenkunft der Großen Vier in Moskau ebenso fruchtbar sein werde wie die eben abgeschlossene.

Der positive Ertrag der letzten Dezemberwochen für die internationale Verständigung übertfft auch die Berechnungen jener, die sich inmitten der heftig aufschäumenden Interessenkonflikte unter den Allierten von Pessimismus freigehalten und aus nüchternen Erwägungen den Wahnsinn eines neuen Krieges für unmöglich erachtet haben. Dennoch war es ein so unvermittelter Umschwung, der einer solchen Betrachtung der Nachkriegslage recht gab, es haben sich wie auf einen Zauberspruch die verworrenen Verknüpfungen so plötzlich gelöst, daß man an Ursachen des Umschwunges glauben muß, die, der offenen Szene verborgen, die bisherigen hohen Spannungen gelöst haben. Künftige Geschichtsschreibung wird zweifellos an dieser Stelle auf der Höhe dramatischer Dynamik ihrer Darstellung angelangt sein. Was hat sich hier abseits von dem Blickfeld der Öffentlichkeit abgespielt, nach großen Konzepten außen- oder innenpolitischer Natur irgendeiner oder mehrerer Großmächte? Ist hier ein Spiel um einen hohen Preis friedlich beendigt worden? Das Raten ist müßig. Man muß sich gegenwärtig mit dem erfreulichen Schlußergebnisse begnügen. Es liegt heute wie ein kostbares Geschmeide auf dem Weihnachtstisch der Menschheit: Die Verheißung eines dauerhaften Friedens, soweit politische Voraussicht gegenwärtig überhaupt reichen kann. Gewiß wird auch jetzt nicht alles in dem sanften Gefälle eines Wiesenbächleins verlaufen; ganz sicher wird es auch im Fortschritt des weiteren Aufbaues internationaler Ordnung jähe und Vorsicht erfordernde Zwischenfälle geben. Aber nicht anzunehmen ist es, daß es eine Macht geben könnte, die bereit wäre, die jetzt schon für Frieden und internationale Zusammenarbeit erklommene Stufe preiszugeben und zu dulden, daß die Völker in das dann drohende Chaos hinabgestoßen würden.

Endlich schicken die Geister des Krieges sich an, die Erde zu verlassen, so daß die Menschen werden wieder daran denken können, ohne Furcht vor dem ungewissen Morgen sich ganz der Heilung der ihren Gemeinschaften geschlagenen Wunden zu widmen. Diese blutigen Male sind, so groß die Zerstörungen an Hab und Gut auch sein mögen, mehr noch seelischer als materieller Art. In fünf, in zehn oder zwanzig Jahren werden wir auch die letzten äußeren Spuren der Zerstörungen dem Auge verborgen haben. Aber noch Generationen werden an den zerwühlenden und zersetzenden Wirkungen eines umwälzenden Geschehens tragen, das mit dämonischen Kräften in die innersten Bezirke der Geistigkeit der europäischen Völker eingebrochen ist. Nicht nur der Besiegten. Die Erscheinungen sind mit nicht allzu großen Abstufungen überall dieselben: Entwurzelung der Grundfesten der Familie, Krise der Jugenderziehung, und Vergiftung der sozialen Ordnung durch Wuchergeist und Raffsucht in ihren verschiedenen Formen. Gehen wir dem Umsturz der abendländischen Ordnung entgegen, den manche erhoffen und andere befürchten? Niemand — auch derjenige nicht, der das Christentum nur als Faktor der Zivilisation gelten lassen will — kann daran zweifeln, daß ohne die aus dem Christentum wirkenden Kräfte das Abendland nicht wieder zu sich selbst zurückfinden kann und den herandrängenden neuen Mächten verfallen wird. Das Christentum? Gott hat es nicht als eine wesenlose imaginäre Macht in die Welt gesetzt, sondern als das in den Menschen aus der Gnade wirkende sichtbare Reich Gottes auf Erden. Heute ist die Frage: Haben wir christliche Menschen das Gericht verstanden, das über diesen mit, Blut und Tränen besprengten Erdkreis gehalten worden ist, und werden wir in Erkenntnis der Stunde die beispielhafte Aufgabe des Christen erfüllen, ernstmachen, ob Laie oder Priester, mit unserem Christensein? Seitdem das Abendland, befreit von der Bedrohung durch den Islam, sich in seiner Kunst und allgemeinen Kultur zu beglückten Bekenntnissen seiner christlichen Seele erhob, gab es keine Zeit, in der das geistige Erdreich sosehr für den Empfang der christlichen Friedens- und Liebes-botcchaft aufgelockert war wie die Gegenwart. Vor der Selbstenthüllung der Systeme der Gewalt und der hartgepanzerten Macht, im Anblick der geborstenen Mauern hochmütiger Weltherrlichkeit, sind Ungezählte sehend geworden. Sie stehen heute suchend an der Schwelle des Christentums. Es wird darauf ankommen, daß ihnen Antwort gegeben wird und wir in unserer Umwelt die weihnachtliche Friedensbotschaft der Engel durch unseren Willen und unser Bemühen mit Sinn erfüllen helfen. Der Friede ist im Weltenplan der Preis für opferbereite Liebe. So wurde der Friede in der Nacht verkündigt, die das größte Liebeswerk in einem Stalle zu Bethlehem sich erfüllen sah. Was die Staatsmänner der Mächte auf den „Blühenden Wiesen“ von New York begonnen haben und zu völkerrechtlichen Gesetzen fortzubilden entschlossen sind — die Sicherung des Weltfriedens —, dieses Werk würde nicht vollständig werden können, würde es nicht verankert in dem sittlich geläuterten und guten Willen der Menschheit. f.

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