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Auf den Spuren Altösterreichs

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Die Signale von Rosenbach, dem kleinen Grenzbahnhof im südlichsten Kärnten, stehen auf Grün. Sie zeigen an, daß die Jahre der lückenlosen Absperrung der Karawankengrenze durch den jugoslawischen Nachbarstaat vorüber sind. Die grünen Signale geben die Fahrt frei in ein Land, das sich allmählich dem Abendland und seinen Menschen wieder erschließt.

Laibach empfängt mit Lärm und Trubel: ein Bahnhof, der genau so irgendwo an einem österreichischen Bähndien stehen könnte, rings um einen Hügel eine Altstadt, deren Gassen und Plätze man schon irgendwo gesehen zu haben meint. Vielleicht war es in Graz an den Hängen des Schloßberges oder in Brünn zwischen Spielberg und St. Peter oder noch weiter nördlich, innerhalb der alten Festungsgarnison Olmütz. Man versteht auf einmal die Erzählungen der Jahrgangskameraden, die als Soldaten der deutschen Wehrmacht auszogen und 1945 als überzeugte Österreicher heimgekehrt sind. In Böhmen und in Ungarn, in Polen und in Bosnien, draußen in fernen Ländern hatten sie ihre Heimat entdeckt. So ist auch Laibach heute für den Österreicher keine fremde Stadt. Fremd, anders ist allein das Gesicht, das die Hauptstadt Sloweniens jetzt zeigt. Gezeichnet vom raschen Wechsel des Schicksals, grau vom Staub härter Arbeit, etwas müde von einem Leben, das seit einem Jahrzehnt nur noch Entbehrungen und Opfer kennt. Fremd ist nicht die Mehrzahl der einfach gekleideten Menschen, die vor dürftigen Geschäften sich drängen, die geduldig sich anreihen, wenn es Brot oder auch nur Zigaretten zu kaufen gibt. Fremd allein sind die Uniformen, die aufgeschnittenen Sommerblusen der Offiziere, die sackartigen Kluften der Mannschaften, die zwetschgenblauen Waffenröcke der allmächtigen Miliz. Fremd auch sind die Gruppen von Jungkommunisten, die, Burschen und Mädchen gemischt, in breiten Reiben auf den Straßen zu ihren Sportplätzen marschieren. Fremd sind nicht zuletzt auch die Restaurationen und Kaffeehäuser, wo die Musik einem Publikum aufspielt, das sich oft nur in Hemdärmeln, mitunter sogar auch nur in Netzleibchen zum Tanze einfindet. Eine alte Stadt zeigt ein neues Gesicht. Ob es frischer, ob es jünger ist?

Uberhaupt die Vergangenheit. Man stößt auf sie im Jugoslawien des Jahres 1950 noch viel öfter, als man es erwartet hat. Das Auf und Ab des bewegten politischen Wellenganges hat viele Spuren, die der alte gemeinsame Staat auch in diesem Land zurückgelassen hat, verwischen, doch bis heute nicht austilgen können. Und nicht immer sind es allein die verzerrten Töne eines Strauß-Walzers auf einer alten, beinahe- schon unbrauchbaren Schallplatte, Abschiedsmusik am Bahnhof Ljubljana, mitten zwischen Partisanenliedern und lautstarken Appellen zur Zeichnung der neuen Anleihe für den zweiten Fünfjahresplan.

„Sub auspieiis imperatoris Francisci Josephi...“ — der ehrfürchtige Besucher kann den Dom zu Split, das Mausoleum des Diokletian, nicht verlassen, ohne daß seine Blicke oberhalb der von Römerhand erbauten Pforte auf einer Tafel ruhen bleiben. Sie verkündet, daß hier unter dem Ehrenschutz des Kaisers von Österreich die letzte große Restauration dieses einzigartigen Kulturdenkmals stattgefunden hat. Neben den Steinen sprechen auch die Menschen. Jener Kellner ans Split zum Beispie!, der nach seiner Aussprache des Deutschen genau so gut seinen Posten in einem Wiener Hotel ausüben könnte. In einem stillen, unbemerkten Augenblick winkt er den Gast zur Seite, stolz nimmt er aus seiner Brieftasche ein altes halbvergilbtes Bild: Schiffsjunge auf S. M. S. „Szent Istvan“ ...

Da lebt auch in Fiume eine kleine dunkle Frau. Einst hat sie ein eigenes Lebensmittelgeschäft besessen, heute verwaltet sie, als Staatsangestellte, einen kleinen Weinausschank. Wenig Geschäft, dafür aber viele und langwierige Abrechnungen. Eine Slowenin aus Marburg, lebt sie seit zwanzig Jahren in Dalma-tien. Gerne aber denkt sie an ihre Jugend und an die Winzerfeste „bei uns in der Steiermark“. Sollen wir jenem kroatischen Freund nicht Glauben schenken, der uns vom Ende des Jellacie-Monuments in Agram erzählte? Auch nach 1945 stand Fernkorns Meisterwerk noch durch einige Jahre unangefochten auf seinem Sockel. Niemand wagte Hand an das Denkmal des kroatischen Nationalhelden anzulegen. Unbeirrt um das Leben und Treiben um ihn herum, um den Wechsel der Systeme, der Uniformen und Kokarden, saß der Banus fest in seinem ehernen Sattel, die Spitze des Degens genau in jene Himmelsrichtung, in der Budapest liegt — so wie er einst seinen Grenzern voran auszog. Eines Tages aber kamen sie mit Stricken und Leitern und begannen das Denkmal zu schleifen. Wie ein Lauffeuer verbreitete sich die Nachricht in der ganzen Stadt. Menschen strömten zusammen. Das traurige Werk wurde unterbrochen und erst zur Nachtzeit beendet. Am nächsten Morgen hatten Leute Tränen in den Augen, als auf den nun zum „Trg Republik“, zum „Platz der Republik“, umbenannten Zentrum nur mehr der leere Sockel zu sehen war.

Ein Blick ins Gestern, eine Beschwörung der Vergangenheit ohne Einsicht für die Realitäten einer veränderten Welt? Unter der sehr leicht veränderlichen Oberfläche des politischen Geschehens sind auch noch Ströme lebendig, die über alle Staatsgrenzen, Sprachenscheiden und die Verschiedenheit der Systeme hinweg Menschen und Völker verbinden. Zu Ausflügen in die Geschichte, zu historischen Reminiszenzen hat jener junge slowenische Mittelschulprofessor aus Cilli wohl wenig Lust, der gern und freimütig von den Gedanken erzählt, die 6eine Generation beschäftigen. Sie, die nach 1918 Geborenen, sind in keiner Weise „belastet“ durch Erinnerungen an Vergangenes. Dennoch steht ihre überragende Mehrheit dem Kommunismus und daher auch dem Titoismus ablehnend gegenüber. Aber nur bei den wenigsten würden Pläne einer Restauration der Karageorgewic - Monarchie heute noch Zustimmung finden. Die Zeiten der Nationalstaaten seien vorbei. Es müßte etwas sein, das größer, das weiter ist. Der Gesprächspartner hat freilich genau so wenig klare Vorstellungen von der Zukunft wie seine Landsleute, und nicht nur wie diese. Daß aber auch bei den Völkern im Südosten der Nationalismus seinen Kulminationspunkt bereits überschritten hat, beweisen seine Worte: „Ich bin aus Cilli, Sie kennen die Rolle, die unser Gymnasium damals, als Ihre und meine Vorfahren noch unter einem gemeinsamen Dach wohnten, einmal spielte. An der Einführung slowenischer Parallelklassen an dieser deutschsprachigen Schule mitten im slowenischen Land scheiterte eine Wiener Regierung, war Österreich durch Monate in Aufregung. Können Sie sich vorstellen, daß Sie und ich, daß unsere Generation wegen solcher Kleinigkeiten gegeneinander zu Felde ziehen könnten? .. ,

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