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Auf den Spuren des Apostels Paulus in Griechenland

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Aller Tourismus beginnt in Griechenland. Schon zur Römerzeit gehörte eine Griechenlandreise zum Rildungsprogramm der Oberschicht. Im zweiten Jahrhundert nach Christus schrieb ein gewisser Pausa-nias den ersten ausführlichen Reiseführer, dem alle Nachfahren von Ba-edecker bis Polyglott einen guten Teil ihrer Information verdanken.

Griechenland ist auch heute immer wieder eine Reise wert. Wie ein buntes Kaleidoskop überrascht das 1 .and der Hellenen mit ganz verschiedenen Perspektiven und Aspekten. Ks zeigt sich als Urlaubsparadies aus Sonne und blauem Meer, als Heimat der Göttersagen, des Theaters und der Philosophie, als Repetitorium der alten Geschichte und als faszinierender Archäologiepark oder als lebendiger Hort des byzantinischen Christentums. Das Land, wo Paulus seinen Glauben an den auferstandenen Christen nach Kuropa brachte, ist aber auch ein Land der Ribel.

Der Weg, den Paulus bei seiner Missionsreise nahm, empfiehlt sich im Prinzip auch 2000 Jahre später dem Touristen. Lukas in seiner Apostelgeschichte gibt die Route vor: Phi-lippi, Thessaloniki, Beröa, Athen, Ko rinth. Manche Assoziationen stellen sich ein, die zu klärender Nachfrage drängen. Aus dem Gottesdienst hallt es nach: Lesung aus dem Brief an die Philipper, an die Thessalonicher, an die Korinther. Da gibt es die berühmte Bede des Paulus auf dem Areopag. Insider wissen sogar, daß Paulus eineinhalb Jahre in Korinth zugebracht hat und uns in seinen Briefen höchst interessante Einblicke in das Leben dieser frühchristlichen Kirchengemeinde gibt. Einer seiner Mitarbeiter dort, Erastos, ist sogar in einer großen römischen Inschrift verewigt, die Touristen nie gezeigt wird, weil dafür angeblich kein Interesse besteht.

Wer weiß auch schon, daß Paulus diesen Finanzstadtrat Erastos in seinem berühmten Römerbrief erwähnt, den er übrigens in Korinth geschrieben hat? Oder wer würde gar in Delphi eine weitere Inschrift suchen, auf der die Amtszeit jenes römischen Stadthalters Gallio genau datiert ist, vor dem Paulus in Korinth einen Prozeß zu führen hatte, und die damit die einzige sichere Grundlage für die zeitliche Einordnung der Paulusreisen darstellt. Frauen werden sich vielleicht an die reiche Purpurhändlerin Lydia in Philippi erinnern, die Paulus in Philippi getauft hat, und die ihn wahrscheinlich stets großzügig unterstützte, oder an Phöbe, die Diakonin der Christengemeinde von Kenchreä bei Korinth, die erste authentisch bezeugte kirchliche Amtsträgerin.

Die Rriefe des Paulus sind wohl die sprödesten Texte der Ribel, er selbst die schwierigste und umstrittenste Persönlichkeit am Reginn der Christentumsgeschichte. Er läßt die Grenzen des Judentums hinter sich und formt aus einer charismatischen Re-wegung eine straffe Organisation, geeignet, die Welt zu durchdringen und Jahrtausende zu überdauern. Die Lesung seiner diffizilen Rriefe im Gottesdienst erfolgt freilich immer nur in Rruchstücken, die den Hörer in Ratlosigkeit zurücklassen. Wenn das Wort Erfahrung irgendwo seinen ursprünglichen Sinn beweist, dann in der Erschließung eines Zuganges zu dieser so widerständigen Materie. Schon die Verknüpfung der Rriefe mit den Orten, die man selbst besucht hat, an denen ein bestimmtes Gefühl, ein Geruch haftet, und mit den in der Apostelgeschichte geschilderten Ereignissen verleiht dem bloß Gehörten oder Gelesenen für alle Zukunft eine unverwechselbare Farbe.

Griechenland wehrt sich dagegen, den Besucher zu ermüden. Die Dichte und die Mischung der Eindrücke behalten stets das menschliche Maß. Nie wird die Fülle des Aufzunehmenden erdrückend. Nie wird es zuviel vom stets Gleichen. Es sind vier Jahrtausende, die sich darin abwechseln, den Betrachter in die Vergangenheit zu locken. Erinnerungen aus der Schulzeit werden wieder wach: der trojanische Krieg, die olympischen Götter und ihre Sagen, Sparta, Athen und die Perser, das Orakel von Delphi, die großen Tragiker, Philipp und Alexander der Große, die Künstler, Säulenordnungen und Baustile. Doch dazwischen läßt die Natur alle Bildung wieder vergessen und entzückt das Auge durch die Vielfalt der Landschaft: durch Meer und Gebirge, Täler und Ebenen, Fjorde und Inseln - und alles fast immer getaucht in blauen Himmel und strahlende Sonne. Eine Bast im Schatten tut dann gut, und ein Spaziergang am Abend zwischen all dem mehr oder weniger Schönen und Nützlichen, das dem Fremden feilgeboten wird, verbindet mit dem alltäglichen Leben.

Zum Bild des täglichen Lebens gehört auch der orthodoxe Priester, der in seinem geistlichen Gewand mit Frau und Kindern spazieren geht oder mit den Männern im Kaffeehaus sitzt. Die Evidenz der Verschiedenartigkeit christlicher Kirchen und im Christentum möglicher Lebensformen stellt sich von selbst ein. Die Fresken der Meteoraklöster, der Pantokrator von Daphne oder die Mosaiken von Hosi-os Lukas fesseln und faszinieren durch ihre Unmittelbarkeit. Die Spiritualität, aus der diese Bilder leben, wird allerdings erst aus dem Erlebnis des Gottesdienstes deutlich - mit seinen feierlichen Gewändern, fremdartigen

Gesängen, seiner statischen Würde. Unvermeidlich sind die Fragen über das Einende und Trennende zwischen den Kirchen, die Zukunft der Ökumene, die Chancen und Hindernisse der Einheit. Aber was wäre Griechenland ohne seine orthodoxe Tradition? Ebenso undenkbar wie Österreich ohne das Erbe des Katholizismus.

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