6724456-1965_25_12.jpg
Digital In Arbeit

Auf den Spuren des Gestern

Werbung
Werbung
Werbung

KEINE SCHERBE FÜR HIOB. Roman von Eckhart Kroneber g. Piper-Verlag, München, 1964. 278 Selten. Preis 17.80 DM. — NICHT ENDEN SOLL DIE FAHRT. Roman von Paul Herr. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Maria C a r 1 s s o n. G.-B.-Fischer-Verlag, Frankfurt a. M., 1964. 314 Selten. Preis 17.80 DM. — BLUT DES HIMMELS. Roman von Plotr Rivlci. Aus dem Französischen tibersetzt von Heinz Winter. S.-Fischer-Verlag, Frankfurt a. M. 268 Seiten. Preis 18.50 DM.

Drei Autoren aus drei verschiedenen Ländern steigen tief in die jüngste Vergangenheit hinab, entwickeln Schicksale von Gezeichneten jener Geschehnisse, deren Spuren auch unsere Gegenwart belasten, ob wir es wahrhaben wollen oder nicht.

Betrachten wir zunächst den Roman „Keine Scherbe für Hiob“ von Eckhart Kroneberg, einem 1930 in Thüringen geborenen Deutschen, der heute in West-Berlin lebt. Der Rezensent steht ein wenig irritiert vor seinem Buch, in dem er die Geschichte eines sehr unheldischen Helden erzählt, eines Menschen, der Opfer und Spielball seiner jeweiligen Umgebung, vor allem aber anonymer Zeitmächte ist. Kroneberg sieht seinen Albert Fuhrmann als „Repräsentanten nicht nur seiner selbst“, wie es einmal heißt. Ein symptomatisches Zeitschicksal also? Dafür scheint es uns zuwenig Allgemeingültiges zu enthalten. Ein Hiob unserer Tage? Nach dem Titel des Buches muß man annehmen, daß der Autor Albert Fuhrmann so gedeutet wissen möchte. Für einen Hiob aber fehlt ihm die wichtigste Voraussetzung: die nämlich, daß er seine Leiden als Prüfungen Gottes ansieht, die zu seinem Heil über ihn kommen, denen also ein tiefer Sinn innewohnt. Der von Kindheit an Minderbegabte ist jedoch gar nicht fähig bu einer geistigen oder geistlichen Bewältigung seines Daseins, er lebt nicht eigentlich, sondern läßt sich leben, ist Objekt seiner Feinde sowohl wie seiner Helfer.

Dies ist seine Geschichte: Der früh Verwaiste findet zu Beginn der zwanziger Jahre unseres Jahrhunderts Unterschlupf in einer Berliner Destille, die Treffpunkt von Kommunisten ist. Einer von ihnen, der Boxer Paul, nimmt hinfort den hilflosen Jüngling unter seine Fittiche. Zunächst aber bemächtigt sich seiner die Leiterin eines Tingeltangelunternehmens; sie macht Albert zu ihrem Geliebten, später zu ihrem Ehemann und läßt ihn allabendlich Balladen in ihrer „Weltstarparade“ rezitieren. Der Fuhrmann von der Truppe gegebene Artistenname wird ihm dann Im Dritten Reich zum Verhängnis, er kommt, „als mutmaßlich zigeunerische Person“ in ein Konzentrationslager und von dort „wegen wissentlicher Irreführung der Behörden als asozial zu nennendes Element“ in ein anderes Lager. Hier begegnet Albert dem jungen Polen Tadek, für dessen Rettung er sein eigenes Leben riskiert. Es ist dies die einzige eigene und freie Entscheidung des armseligen Fuhrmann, der vorher und nachher von einem Zwang in den anderen taumelt.

Die jeweilige Umwelt seines Helden, das östliche und das westliche Deutschland, zeichnet Kroneberg, oft nur mit ein paar Strichen, sicher und genau; er hat ein Gespür für typische zeitgeschichtliche Elemente. Das Zufällige und Willkürliche im Leben und Tod seines Helden dagegen ist unbegreiflich. Oder will der Autor vielleicht gerade das unpersönliche Schicksal dieses unmündigen Ausgelieferten, der ohne Befehle und Weisungen hilflos ist, als beispielhaft für den Menschen unserer Zeit hinstellen?

Wie ganz anders ein Mensch unse-

rer Tage, freilich ein sehr bewußt lebender Mensch, auf sie reagieren kann, zeigt Paul Herr, ein Amerikaner, in seinem Roman „Nicht enden soll die Fahrt“. Er erzählt die Geschichte eines Mannes, der Belsen überleben konnte, weil er die sehr beschränkten Möglichkeiten der Opfer geschickt und skrupellos zu nutzen wußte. Ein Unversöhnlicher, der nach seiner Rettung die ihm angetane Grausamkeit auch Unschuldigen gegenüber mit gleicher Münze heimzahlt. Ein Abenteurer ohne jede mitmenschliche Bindung, der „immer im Aufbruch und ohne Ziel“ durch die Welt irrt und alles mitnimmt, was sich ihm gerade bietet. Selbst einst zum Objekt der Mächtigen herabgewürdigt, sieht er nun seinerseits den Menschen als „Ding“, das er zu seinem Augenblicksvorteil benützt. Und doch glimmt da beständig ein Funke von Menschlichkeit, der sich nicht löschen lassen will.

Piotr Rawicz, der Autor unseres dritten Buches, ist Ukrainer. Er lebt heute in Paris, und ihm wurde für diesen, seinen ersten Roman von einer anspruchsvollen Jury der „Prix Rivarol“ zugesprochen.

Schauplatz der Geschehnisse ist eine mittlere Stadt der Ukraine im Jahre 1940. Der eigentliche Held der Geschichte ist die ostjüdische Welt auf ihrem Weg in den Untergang. Der Autor singt ihr ein gewaltiges Sterbelied. „Ringsum, überall fühlbar, der Tod...“ Wir erleben die verschiedenen Stadien der Ausrottung, das unvorstellbare Martyrium einzelner, die Reaktionen der Opfer, ihre Auflehnung, ihre aussichtslosen Hoffnungen, ihre Ergebenheit in ein unabwendbares Schicksal. Und mitten in der Hölle, in diesem Meer von Angst, Blut und Tränen, Lichter des Mitleids, der Hilfsbereitschaft, zaghafter Zärtlichkeit. Welch eine Welt!

Im Mittelpunkt der Ereignisse steht ein junger Jude, Boris, der untertaucht, sich später in Yuri Goletz verwandelt und als dieser, nach vielen Qualen und Leiden, die Katastrophe überlebt. Aber um welchen Preis! Mit welchen entwürdigenden Zugeständnissen gegenüber den Okkupanten ! Und doch bleibt ihm keine Wahl. Aber: „Wie nun fortfahren? ...“

So beginnt denn der Heimatlose, der lebendig Tote, seine Irrwege durch die Welt. Ihm bleibt nur das eine: Zeugnis abzulegen von jenein unsäglichen Geschehen, dessen Opfer nicht nur die Toten, sondern auch die Überlebenden der großen Tragödie sind.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung