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Auf der Generallinie, aber..

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Imre Nagy und seine Begleiter, mit Ausnahme des inzwischen „seinen teueren Studien wiedergegebenen” György v. Lukäcs, genießen noch immer unfreiwillig die rumänische Gastfreundschaft. Es hatte nicht wenig Aufsehen erregt, als der Budapester „Verräter” ins frühere Königsschloß Sinaia gebracht wurde, und es hat an einem Haar gehangen, daß er dort nicht etwa als Staatsgefangener interniert, sondern als hochgeschätzter Ehrengast aufgenommen worden wäre. Denn im vorigen Herbst begannen sich in Rumänien ähnliche Anzeichen der verwestlichten, „bürgerlich infizierten Gesinnung” zu zęįgeti,. .VĮįe iii Polen upd in Ungarn, pie —, angeblichen und authentischen — Nachfahren der Legionäre Trajans hegen weder gegenüber Rußland die gleichen Gefühle dankbarer Bewunderung und slawischer Brüderlichkeit wie in der Tschechoslowakei und in Bulgarien, noch sind sie sosehr von der kommunistischen Heilslehre durchdrungen wie die Leitenden und die Volksmehrheit im zweiten der eben genannten Länder. Bei der geistigen Elite, bei den noch nicht ausgerotteten Ueberbleibseln der Bourgeoisie, ist die Idee der lateinischen Gemeinschaft lebendig geblieben. Zwei in die Geschichte eingegangene Zeugen dieser Verbundenheit, der einstige Ministerpräsident Tatarescu und der frühere Außenminister Gafencu, sind erst in den letzten Monaten dahingeschieden. Es besagt wenig, daß der eine, nach mehrjähriger Haft zum Opfer seines leuchtenden Intellekts zugelassen, als erzwungener Kollaborant in Bukarest starb, während der andere, der die Freiheit wählen konnte, im Exil den Tod fand, vom Heimweh gepeinigt. Sie waren Repräsentanten einer feingebildeten Schicht rumänischer Europäer, von denen noch immer eine beträchtliche Anzahl auf angesehenen, wenn auch nicht auf maßgebenden Posten anzutreffen ist.

Wir täten zweifellos Männern vom Format des schwerkranken Staatspräsidenten (Vorsitzenden des Präsidialrates) Petre Groza, del Vizepräsidenten des kollektiven Staatsoberhauptes, Sadoveanu, Rumäniens bedeutendsten Schriftstellers, des stellvertretenden Ministerpräsidenten Miron Constantinescu, des in Frankreich geformten Leiters des Planungsamtes, Gaston-Marin, Unrecht, erblickte man in ihnen nichts als sture Stalinisten und blinde Bewunderer des Sowjetmusters, Feinde und Verächter des „faulen Westens”. Es gehört nur zu den rumänischen Besonderheiten, daß man nicht gerne den Beifall für siegreiche Sachen den Göttern überläßt und sich selbst in der Rolle von für die Unterliegenden begeisterten Catonen sieht, sondern vielmehr, wie in beiden Weltkriegen, sich auf die Seite der Erfolggekrönten stellt. Darum ziehen es die von der Volksdemokratie akzeptierten Koryphäen der Königszeit und die Bojarensprossen vor, dem Regime der Arbeiter und Bauernsöhne als Aufputz zu dienen, statt als Klassenfeinde geächtet oder mindestens der Not preisgegeben zu sein. Bemerkenswert aber ist, erstes rumänisches Specificum, nicht so sehr, daß diese ci-devant sich der neuen Ordnung einfiigen, als daß sie von ihr akzeptiert werden.

Zum zweiten: Rumänien ist zweifellos das Land, wo die kommunistischen Machthaber am besten auch mit der Nationalkirche auskommen. Deren Oberhaupt, der Patriarch Justinian (Marina), hat den Marxismus als Pflichtgegenstand an den Priesterseminaren eingeführt; er benützt jeden Anlaß, um seine Wohlgesinnung zu bekunden. Zum ähnlich gearteten Moskauer Patriarchen A 1 e k s i e j unterhält er die engsten Beziehungen; selbstverständlich auf der Basis eines geziemenden, sich unterordnenden Respekts, wie er stets zwischen Satelliten und deren Moskauer Gravitationszentrum am Platz ist. Der orthodoxe Klerus, zumal die jüngere, im letzten Jahrzehnt insj Amt gelangte Generation, bewährt sich als zuverlässige Stütze des volksdemokratischen Systems., Justinian -besitzt einen wichtigen Grund, sich dem Regime dankbar zu bezeigen; es hat ihm den starken weltlichen Arm geliehen, um die mit Rom unierten Geistlichen und Laien Siebenbürgens und der anderen ehemals zur Habsburger-Monarchie gehörigen Gegenden aus der „lateinischen” Umstrickung zu lösen und in die weitgeöffneten Arme der Orthodoxie zurückzuführen. Zwischen der rumänischen Nationalkirche und dem kommunistisch gelenkten Staat gibt es keine Konflikte; man ist auch nicht genötigt, wie in Polen, von gleich zu gleich mit dem Episkopat zu verhandeln. Der Patriarch kennt seine Schuldigkeit gegenüber Partei und Regierung. Dafür durfte er sogar als Kandidat der Nationalen Front ins Parlament, und dem Präsidenten Groza ist es unbenommen, was sonst in keiner Volksdemokratie denkbar wäre, ständig die Kirche zu besuchen, sich als Gläubigen zu deklarieren.

Drittens: bei aller Drosselung so gefährlicher Bewegungen, wie sie in Polen und in Ungarn sich unter den Schriftstellern und Gelehrten, unter Studenten und denkenden Arbeitern entwickelten, erfreuen sich die Intellektuellen einer gewissen Freiheit, die solange geduldet wird, als sie keine politischen Konsequenzen hervorruft. Dann allerdings greift die staatliche Gewalt fest zu; das war im Herbst 1956 der Fall, als jedes Uebergreifen der „West-Seuche” aus Ungarn und Polen energisch verhindert wurde. Man wartete zu, wie sich die Dinge entwirren würden. Nach der sowjetischen Intervention gegen die madjarische Erhebung bekannten sich die rumänischen Staatslenker schnell zum Moskauer Kurs, freilich nicht ohne ein paar Sündenböcke zu opfern; was ohne vorheriges Blutvergießen die ungarischen Kommunisten verzögert oder unterlassen hatten. Im wesentlichen aber hat Rumänien seine stalinistische Garnitur beibehalten, und zwar ungeachtet des Austrittes Gheorghiu-Dejs und seines ersten Stellvertreters Chięinevschi aus der Regierung und ihrer Uebersiedlung ins elfgliedrige Politbüro. Nach wie vor sind die ausschlaggebenden Männer Gheorghiu-Dej, General Bodnara? — der das Verteidigungsportefeuille gegen das Verkehrsministerium ausgetauscht hat -, die kein Ressort verwaltenden Vizeministerpräsidenten Borila, Birlideanu und Moghioroę, der Gebieter über das gesamte Erziehungswesen und den Kultursektor, Miron Constantinescu, und immerhin der formel1 als Regierungschef wirkende Ministerpräsident Chivu Stoka. Aehnlich wie in Kdddr-Ungarn räumt man ferner ehemaligen Sozialisten, wie dem Minister für Konsumgüterproduktion, Voitee, Einfluß ein. ln letzter Instanz hat Gheorghiu-Dej, heute 5 5jährig, alles in der Hand.

Er hat im vorigen Herbst zu Moskau die wichtigen Verhandlungen geführt, bei denen Rumäniens Verhalten gegenüber den ungarischen Ereignissen festgelegt wurde. E r leitete, stets von Stoica begleitet, die Abordnung nach Sofia, die Ende Marz und Anfang April eine mit der Spitze gegen Jugoslawien und gegen revisionistische Tendenzen in Polen und Ungarn gekehrte Zusammenarbeit verabredete. E r hat im Kreml die Einzelheiten des Vertrages über die sowjetischen Truppen auf rumänischem Boden geregelt, .worauf. Schukow und Gromyko.. am 15. April dieses Dokument in Bukarest Unterzeichneten. Unter seinen Auspizien haben die Gespräche ln Pankow, Ende April, stattgefunden, gleich dem Gedankenaustausch mit der französischen Kommunistendelegation, die wenige Tage zuvor Rumänien besuchte. In höherem Grade als der von seinen Rivalen Tschervenkov und Zivkov bedrohte Bulgare Jugov, als der im Schatten des schon zum Schatten werdenen Zäpotocky wandelnde Tscheche Novotny, als die Marionette Kädär ist Gheorghiu-Dej heute der einzige kommunistische Führer Zwischeneuropas, der seine innere Machtposition hundertprozentig zugunsten der Moskauer Generallinie verwertet. Daß dies in einem keineswegs sowjethörigen Land widerspruchslos geschehen kann, das ist die besondere Note, die aus Rumänien im Konzert der Volksdemokratien vernommen wird.

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