7121802-1996_39_24.jpg
Digital In Arbeit

Auf der Suche nach der Weisheit der Dorfältesten

Werbung
Werbung
Werbung

Traditionelles afrikanisches Wissen wollten Chenjerai Hove und Ili-ja Trojanov in ihrem Buch „Hüter der Sonne" weitergeben. Sie legten 8.000 Kilometer in Zimbabwe zurück, um mit Altesten des Landes über deren naturnahe Weisheit und über Moral, Zeit,'Eigentum und Arbeit zu sprechen.

Chenjerai Hove, der als bedeutendster Dichter Zimbabwes gilt - sein Boman „Knochen" erhielt den Noma Award, den wichtigsten afrikanischen Literaturpreis, und wurde in viele Sprachen übersetzt - und Ilija Troja-now, Autor, Herausgeber und Verleger, wollen mit diesem Bildband Afrikaner und Europäer motivieren, von der Weisheit Afrikas zu lernen.

In der Tat steht die industrialisierte Welt mit ihren Entwicklungskonzepten für Afrika vor einem großen Problem. Die europäische Zivilisation scheint sich dort gänzlich durchzusetzen, doch die Folgen werden allgemein beklagt. Trotzdem erwartet man sich Abhilfe durch weiteren Export unserer Kultur: Investitionen, Marktwirtschaft, parlamentarische Demokratie. Trojanow meint, Afrika trage noch seine Vergangenheit in sich, noch könnten wir die kulturelle Einbahnstraße von Nord nach Süd verlassen. Die Beziehung zwischen Afrika und Europa sei bislang von einer gegenseitigen Täuschung geprägt gewesen: „Die Europäer gaben vor, Gutes zu bringen,-und die Afrikaner gaben vor, es anzunehmen ... Nur wenn wir die Gedanken und Gefühle Afrikas mit ihrer ganzen Fremdheit wahrnehmen und diesen Kulturen helfen, sich an die technische Moderne anzupassen, ohne sich selbst zu verlieren, kann dieser -vernachlässigte und geschundene Kontinent wieder zu seiner vergangenen Lebensfähigkeit finden. Daß sich das Zuhören lohnt, möchte dieses Buch in einem bescheidenen Ausmaß zeigen."

Die Gespräche mit Altesten wie Mike Matsosha Hove geben Einblick in die natur- und menschennahe Philosophie Afrikas. Er spricht von Tabus und ihrem Sinn, Enthaltung zu üben und so die Ordnung der Welt aufrechtzuerhalten, oder vom Kinship System, wonach alle einer Generation Brüder und Schwestern sind, was sich positiv auf das Zusammenleben auswirkt. Chenjerai Hove schreibt, die Zimbabwer hätten, wie alle Afrikaner, ihre individuelle und soziale Philosophie aus den Beziehungen des menschlichen Körpers zu anderen Körpern und zur Natur entwickelt -„Kunzi munhu vanhu" (ein Mensch wird von anderen Mensch genannt), sagen die Ältesten. Sub-Chief Kadere von Mount Darwin meint: „Unsere Menschlichkeit, ,hunhu', besteht aus Demut, aus einem tiefen Schamgefühl, das den Hang zur Maßlosigkeit zügelt. Einen schlechten Charakter zu haben, ist, wie nackt vor den Augen des ganzen Dorfes herumzulaufen. Respekt der anderen wird von Respekt für andere hervorgerufen. Andere geben deiner Menschlichkeit Namen, nicht du selbst."

Viele afrikanische Künstler und Denker glauben, so Trojanov, an einen gemeinsamen kulturellen Nenner Afrikas. Daher scheuen sich die Autoren nicht vor der Nähe zu Pauschalurteilen. Sie wollen, daß die Äußerungen der Alten, die in diesem Buch gelegentlich vom „Afrikaner", von seiner Verbindung zu den Vorfahren, seinem Streben nach Harmonie und seiner Verschmelzung mit der Gemeinschaft sprechen, zumindest ein bißchen als für Afrika allgemeingültig angesehen werden.

„Die Landfrage", so Chief Ndiwe-ni aus dem Matabeleland, „bereitet den Menschen in diesem Land viele schlaflose Nächte. Wir haben Ehrfurcht vor der Erde." Heute sei, so der Alte, alles eine Frage des Geldes. Wer Geld habe, könne Land kaufen, und es tue weh, das eigene Geburtsrecht kaufen zu müssen. Die Menschen stünden sich gegenseitig auf den Füßen, weil sie kein Geld haben. „Diese Erde", sagt Ndiweni, „gehört den schwarzen Menschen. Das bedeutet aber nicht, daß die Weißen das Land verlassen müssen. Wir müssen es nur gerechter verteilen, und nicht ein riesiges Stück einem einzelnen überlassen. Landlosigkeit zerstört uns, den Kern unserer Persönlichkeit."

Zweifellos ist in Afrika das Verhältnis der Menschen zur Erde sehr stark entwickelt. In einem Gespräch mit Aiden Tevera Manwa, dem „Hüter des Geistes" von Dzimba Dzem-abwe, einem steinernen Heiligtum, „dessen Geschichte auch die Geschichte der Überlieferung des Landes in sich trägt" und dem das Land auch seinen Namen Zimbabwe verdankt, erfahren wir von der Verbundenheit der Menschen des Lahdes mit dem Stein. Thomas Mukarobwa, ein siebzigjähriger Lehrer für Bildhauerei und Malerei, träumt das, was er dann in Stein meißelt: In ihm sieht er Leben und Tod, die Verschmelzung der Lebenden und der Toten zur geistigen Welt, in ihm die Geschichte seines Volkes, weitergetragen von Generation zu Generation. „In der ganzen Welt," so der Bildhauer, „stellen Galerien die Werke zimbabwi-scher Bildhauer aus."

Auch das Führen einer guten Ehe soll in Zimbabwe stark mit dem Land zusammenhängen. Ambuya Mhurai Matatsauke, eine etwa siebzigjährige Frau, äußert sich zu diesem Thema: „Ehe ist ständiges Lernen. Die Frau muß lernen, wie sie mit ihrem Mann Frau sein kann. Der Mann muß lernen, wie er mit seiner Frau Mann sein kann. Gewisse Dinge sind in der Ehe heilig. Ehe ist Harmonie. Ohne Har monie gibt es keine Ehe. Eine Frau, die mit verschiedenen Männern schlief: Das war Tod. Mit vielen Frauen oder Männern zu schlafen, bedeutet, das Land zu entweihen. Das Heilige der Erde stirbt."

Die Ältesten meinen, früher hätten das Leben und der Reichtum allen gehört, jetzt hätten einzelne Geld. Sie alle seien jetzt einzelne, da sie nichts mehr hätten, was sie einen gemeinsamen Besitz nennen könnten. Bespekt sei etwas, das einem andere entgegenbrächten, heute respektierten die Menschen sich aber selbst, statt von anderen respektiert zu werden. Eines ihrer Probleme sei die neue Weisheit, denn sie biete keinen Platz für die alte. Die Weisheiten lägen im Widerstreit. Die neue sei eine der Eroberung, der Vertreibung der anderen Weisheiten. Die alte Weisheit kämpfe nicht um ihren Platz, sie habe sich zurückgezogen und erwarte den Tag, an dem sie wieder aufgesucht werde. Der Schlüssel dazu sei die Achtung der Bräuche und Rituale.

Ein Kapitel handelt vom Besuch in der Serima Mission, wo traditioneller und christlicher Glaube eine Verbindung eingegangen sind. Das Innere der Kirche ist von afrikanischen Jugendlichen gestaltet worden. Der Bahmen der biblischen Charaktere und Geschichten war natürlich vorgegeben, aber Formen und Symbolik wurden den neugetauften Schülern überlassen. Die Figuren - überwiegend Holzschnitzereien -tragen afrikanische Gesichtszüge. Diese Heiligen würden sich auch außerhalb der Kirche zu Hause fühlen.

„Die künstlerische Intensität der Altäre,", so die Autoren, „Taufbecken und Säulen, die Beseeltheit des gesamten Innenraums zeugen von der Kraft der Harmonie zwischen zwei Fremden, die beschlossen haben, Freunde zu werden." Die Zahl der unabhängigen afrikanischen Kirchen, die das Traditionelle und das Christliche gleichberechtigt nebeneinander stehen lassen, steigt und könnte vielleicht den Weg einer Gleichberechtigung der Weisheiten weisen. „Heute sind die Stimmen tot, denn keiner hört ihnen zu", beschreibt eine Frau das Verhältnis zu den Vorfahren. „Leben", so die Auto-ren,"entsteht immer aus wechselseiti -gen Beziehungen. Die Beschwörung erweckt den Beschworenen zum Leben, und der Zuhörer gebiert den Be-denden. Gegenseitigkeit müßte auch für die Beziehung zwischen Afrika und Europa gelten."

Das Verhältnis zwischen 'Text und Fotos ist ausgewogen, die Länge der Gespräche gerade richtig. Die einfache, verständliche Schreibweise und die Klarheit der Buchgraphik machen den Text sehr gut lesbar.

HUTER DER SONNE Begegnungen mit Zimbabwes Attesten - Wurzeln und Visionen afrikanischer Weisheit. Von Chenjerai Hove und llija Trojanoir. Frederking & Thaler, München 1996. 128 Seiten, 119 Farbfotos, geb., öS 429,-

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung