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… auf Erden geschlossen

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Eine Statistik des Pariser Professors Jabot, welche die Erhebungen mehrerer Jahre umfaßt, versucht Aufschluß über den Zustand des modernen Ehelebens in Frankreich zu geben. Die Zahlen können erschrecken. Von 40.000 untersuchten Ehen aller sozialen Schichten wurden 33 Prozent im Zustande offenen Konflikts festgestellt. Ein weiteres Drittel der Ehen war angebrochen, die Partner scheuten jedoch aus äußerlichen Beweggründen vor der „letzten Konsequenz“ zurilck. Aber auch unter dem letzten Drittel waren, wenn man der Statistik des französischen Bevölkerungspolitikers glauben darf, tadellose Ehen selten. Als „wirklich glückliche“ wird nur eine recht geringe Zahl verzeichnet.

Man darf den Wert solcher Erhebungen, die in das Intime des inneren Familienlebens hineinzureichen suchen, nicht überschätzen. In der Tat erscheint Jabots Berechnung überspitzt. Unverkennbar bleibt aber die Tatsache, daß nicht nur in Frankreich, sondern den meisten europäischen Staaten die Ehescheidungen . eine nie zuvor erreichte Höhe zeigen und auf tiefere Ursachen der Umstand hindeutet, daß der größte Prozentsatz von Scheidungen auf kurzlebige Ehen entfällt. Schon innerhalb der ersten fünf Jahre geht ein sehr großer Teil der Ehen—; in Österreich 30 Prozent — in die Brüche.

Sieht man ab von den Ursachen, die auf dem sittlichen Gebiet liegen, vor allem von der bewußt vom Staate vollzogenen Abstreifung des religiösen Charakters der Eheschließung, so bildet zweifellos die soziale Umwälzung, die in der Stellung der Frau vor sich gegangen ist, in ihrer aus wirtschaftlichen und anderen Motiven erfolgten Entfremdung gegenüber dem häuslichen Berufe, die Hauptursache. Es ist vielsagend, daß in Österreich unter 700,000 Arbeitern und Angestellten, die gewerkschaftlich erfaßt sind, die Frauen 46 Prozent stellen. In der Bekleidungsindustrie sind hauptberuflich dreimal mehr Frauen als Männer beschäftigt.

In frühem Alter tritt das Mädchen in den Büro- oder Fabrikdienst. Die wenigen Gelegenheiten für den gesellschaftlichen Verkehr junger Menschen sind oberflächlich und flüchtig. Ein ernstes längeres Kennenlernen fehlt, wenn es zu Eheschließungen kommt. Vielen mangelt so sehr die Gelegenheit für eine sinngemäße, aus tiefer Neigung erfolgende Wahl des Lebenspartners, daß Bekanntschaften mit äußerlichen Mitteln konstruiert werden. Bei diesem weitverbreiteten Bedürfnis setzt heute die gewerbsmäßige Ehevermittlung ein, das Geschäft mit dem suchenden, gutgläubigen Herzen.

Die Rechtslage

Die alte, dem Buchstaben nach noch gültige österreichische Gesetzgebung kannte die Gefahr des Geschäftes mit Eheschließun-

gen und bekämpfte sie. Der § 879 ABGB bestimmt: „Ein Vertrag, der gegen ein gesetzliches Verbot oder gegen die guten Sitten verstößt, ist nichtig“ (Alinea 1) und weiter: „Insbesondere sind folgende Verträge nichtig: 1. Wenn etwas für die U n- terhandlung eines Ehevertrages bedungen wird." In der Sammlung von zivilrechtlichen Entscheidungen des k. k. Obersten Gerichtshofes (SlgNF ab 1900) ist die Bestimmung ausgesprochen: „Das Versprechen eines .Geschenkes' für den Fall des Zustandekommens einer Ehe mit der vom Vermittler lediglich .namhaft gemachten Person' ist ungültig" (9. März 1881, SlgNF 1822) und „desgleichen für das .Ausfindigmachen' eines Bräutigams“ (9. März 1881, SlgNF 1822). Die vom Obersten Gerichtshof gesetzten Anführungszeichen sind dabei vielsagend. Auf Grund des § 879 ist daher schon eine Entscheidung der Handelskammer Steiermark im Jahre 1932 erflossen, welche die Ungültigkeit der Vereinbarung eines Honorars für eine solche Art der Vermittlung vertritt, ein Entscheidung, die vom Handelsministerium bestätigt wurde. Selten sind Absichten des Gesetzgebers und einer von gesunder Ethik erfüllten Judikatur so zu bloßem Papier geworden wie auf dem Gebiete des § 879, des „Ausfindigmachens eines Bräutigams". Ein sehr ausgedehnter Gewerbebetrieb hat sich der Ehevermittlung bemächtigt. Er ist unkontrolliert und frei wie die Vögel im Walde.

Die rechtliche Lage dieser Gewerbeunternehmungen ist überhaupt ganz unklar. Schon die Worthälfte, die von „Gewerbe“ spricht, ist unzutreffend. Das der Magistratsabteilung 63 unterstehende Gewerberegister weiß nichts von diesem Betrieb; das gleiche gilt für die Magistratsabteilung 63 für gewerberechtliche Angelegenheiten. Man hält hier fest, daß diese Vermittlungsanstalten nicht unter die Gewerbeordnung fallen; es fehlt denn auch der Behörde jede Übersicht über die Anzahl der in Betracht kommenden Unternehmungen und die Art ihrer Führung.

Auch die Kammer der gewerblichen Wirtschaft erklärt sich für die Erfassung dieser Unternehmungen nicht zuständig. Unter den mehr als fünf Dutzend Abteilungen oder der gleich großen Zahl der Innungen scheint die Ehevermittlung nicht auf. Man verweist in der Handelskammer in diesem Zusammenhang auf den § 879 ABGB, der gegen ein solches Gewerbe spreche. Diese Betriebe sind nur über die Finanzlandesdirektion, beziehungsweise die Finanzämter, also nur steuerrechtlich erfaßt. Dies trotz der Wichtigkeit, die ihnen sinngemäß aus bevölkerungspolitischen und allgemein ethischen Gründen zukommt.

Der Ehevermittlungsbetrieb

Wieviel derartige Betriebe in Österreich bestehen, darüber fehlt ein statistischer Ausweis. Sie gedeihen in Überfülle, große, kleine, sozusagen Ehe-Warenhäuser und Winkelbetriebe ohne Firmenschild in Privatwohnungen. Ihre Methoden sind verschieden. Das eine Unternehmen arbeitet in Ehevermittlung auf „psychographologischer“ Grundlage: die an sich schon schwierige Frage der Schriftendeutung und der Vergleich der Schriftzüge zweier Partner sollen die Grundlage für einen der wichtigsten Entschlüsse des ganzen menschlichen Lebens abgeben. Eine nicht geringe Rolle spielt bei einzelnen kleinen Betrieben die Astrologie, die den Ehebekanntschaftsuchenden beweist, daß sie zufolge dem Horoskop füreinander bestimmt sind. Ein anderes Büro arbeitet mit exakten Erhebungsvorschriften, geschäftsmäßig wie bei der Aufnahme eines Darlehens in einem Kreditinstitut. Die Hauptsache ist der Fragebogen. Auf der linken Seite sind die persönlichen Daten, die Fähigkeiten und Liebhabereien sowie die Vermögensverhältnisse des Ehewerbers verzeichnet, rechts die „Wünsche“, wobei an erster Stelle das Alter, in zweiter Linie die Stellung und an dritter erst die anscheinend nebensächliche Religion kommt: „Wünschen Sie eine Ehe nach Ihrer Religion?" heißt es da und noch weiter unten: „Eventuell auf welche Gesinnung?" Wieder ein anderes Unternehmen gibt „Ehevorschläge“ nach bestimmten Gesichtspunkten: neben der gesellschaftlichen Stellung werden Geburtsjahr, Größe und sehr genau die Besitzwerte erhoben. Der Schwerpunkt liegt auf den Realitäten (Häuser, Landwirtschaft mit Grundmaßen und beweglichem Gut), dann auf den Ersparnissen. Von 150 Vorschlägen weisen lockend 83 Realbesitz, 65 verschiedene Gewerbe und geschäftsmäßige Berufe auf — wobei die Angaben, ob der Besitz belastet oder sonst rechtlich beansprucht ist, natürlich fehlen. An keiner Stelle ist ebenso selbstverständlich von charakterlichen Werten oder weltanschauliche Haltung die Rede. Es geht rundweg um ein Geschäft. Ethisches Mumpitz …

Die Kosten sind verschieden, aber nie unerheblich. Der sofort zu erlegende Beitrag wird hier als „Regiebeitrag", dort als „Einschreibgebühr“, „Anmeldebetrag“ oder „Evidenz" bezeichnet, und schwankt, angeblich zur Deckung der „Selbstkosten“, bestimmt, zwischen 50 und 200 Schilling, bei einer „bevorzugten Behan d 1 u n g“, die bedeutet, daß dem Bewerber die finanziell besseren Partien, . die reichen Bräute, vorbehalten werden, bis 280 Schilling. Außerdem werden mitunter Postspesen bis 40 Schilling pro Jahr erhoben — ein Betrag, der, wie die Anmeldegelder, von beiden Partnern eingenommen wird. Die Hauptsache ist in allen Fällen schließ-

lich das sogenannte „Erfolgshonorar“, das den Vermögensverhältnissen beider Teile angemessen sein soll und mindestens 100 Schilling beträgt und in sehr ansehnliche Höhe steigt, wenn der „Erfolg" des Ehewerbers im Erhaschen einer sehr ertragreichen Verbindung besteht. Hier verwandelt sich das Gewerbe zum brutalen Menschenhandel. Die Art der geschäftsmäßigen Behandlung erläutert — wenn dies noch nötig wäre — ein Satz in einer Ankündigung: „Herren ohne materielle Hauptabsicht, niedrigster Sondertarif."

Einzelne dieser Geschäftsunternehmungen verfügen über ein engmaschiges Netz von Zweigstellen in Wien und in den Bundesländern. Dazu kommen noch „ausländische Verbindungen“, nicht immer klarer Art. Das Publikum rekrutiert sich aus allen Ständen, überwiegend aus städtischer Bevölkerung.

Soviel ist klar: es ist aus ethischen Gründen höchst bedenklich, wenn sich in die Bildung von Familien das Zweckgeschäft einschiebt. Dieses wird letzten Endes, schon aus Selbsterhaltungsgründen, immer um die Vermittlungsprovision gehen; man wird immer den Stand, den Titel, die Jochzahl, das Sparkassenbuch vergleichen — aber nie den Menschen. Die charakterliche Lage entzieht sich dem Geschäft. Es mag sein, daß Ehewerber, die vorsichtig sind und Glück haben, zu einer guten und dauerhaften Verbindung kommen. Es ist selten. In den meisten Fällen fehlen die Voraussetzungen. „Die Liebe ist die Leidtragende des Krieges gewesen“, sagte vor kurzem P. Lombardi in Wien. Die Liebe, das An- einanderbilden zweier Menschen, entzieht sich der gewerbsmäßigen Vermittlung und dem „Erfolgshonorar“. Wie aber könnten Ehen dauerhaft bestehen, denen von Anfang an das starke seelische Band fehlt. Der jetzige Jahrmarkt der Ehegründungen bedeutet Ausverkauf kostbaren Gutes der Gesellschaft und des Staates. Alle, die für das soziale und seelische Wohl der Gemeinschaft Verantwortung tragen, sollten sich für die stumme Tragödie, die sich in unserer Mitte durch den Verfall der Grundeinrichtung der Gesellschaft, der Familie, vollzieht, nicht länger mit Blindheit verschließen. Positive Maßregeln sind notwendig: der Verfolg einer Volkspolitik, welche die Frau den Frauenberufen wieder zuzuführen trachtet, den jungen Menschen erlaubt, wieder nach ihrer freien Wahl die Ehe zu suchen, einer Volkspolitik, die um der Gesellschaft und des Staates willen der Ehe wieder ihren Beruf zurückgibt, die feste Grundlage der Familie und der physischen und sittlichen Gesundheit der neuheranwachsender Generation zu sein.

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