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Auf meiner Station

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Meine Lampe zeichnet, einen kleinen Kreis sachlicher Helle; darin lebt meine Uhr und ein Buch — treue Schwestern meiner Nachtwache. Mehr läßt der sorglich hüllende Schirm nur ungern zu; sie sollen ja ruhig schlafen, die Müden und Schmerzvollen da um uns.

Der hohe Raum hält dämmrige Dunkelheit an sich wie ein weiches Tuch. Irgendwie dämpft sich darin der Schritt der grellen Tageswirklichkeit — man kommt behutsamer zu allen Dingen. Dennoch stehen die weißen Konturen der Betten in unveräußerlicher Forderung: jedes dieser kleinen Häuser will helle Hut und Wachsamkeit. Denn in jedem wohnt ein einmalig Kostbares «— das Leben.

Die stille Welt um mich mit dem in dieser Stunde so ruhigen Atem — sie hat die gleichen brandenden Wogen, die draußen vor den Fenstern langsam in der Nacht verebben. Menschen und Mensdien-schicksale sind hier zusammengeflutet. Ein wenig in Atemlosigkeit verhaltend, die der jähe Wechsel ihnen schafft, hoffen sie schon bald wieder auf die neue Flut, die ihnen Kraft zur Weiterreise zutraut. Manchmal holt ein launiges Wellchen sehr schnell seinen Gast; wollt's ihn nur necken und erschrecken, weil er nicht fügsam war? Mag sein, daß er nun williger wandert.

Mein stiller Strand am Meer des Lebens — er hegt in bleichen Häusern auch manchen müden Gast.

Da drüben die junge Frau kann heut so ruhig schlafen, • die Spannung war auch groß, die bei der vormittägigen Untersuchung an ihr riß. Nun trägt eine wohltätige Erschöpfung sie in Frieden und Gelöstheit, sie weiß ja noch nichts. Freilich, bald wird sie fragen, immer öfter, immer dringlicher, bis dann die uner-messene Seelennot das Wort von ihrem Herzen jagt: Muß ich sterben?

Ja, liebe junge Schwester, du mußt sterben.

Eine kleine Zeit bleibt dir noch und vielleicht trägt sie den rosigen Schimmer der Hoffnung, aber es ist versinkendes Abendrot. Bald weißt du selbst es besser als wir andern: das Leben will verlöschen.

Wie mag wohl einem Menschen zumute sein, der einmal so weit ist? Nicht jeder ist bei seiner letzten Überfahrt wach und wissend. Manchmal nimmt eine gütige Macht den Müden in die Arme und sdiirmt seine Augen, dann entschlummert er sanft wie ein ahnungsloses Kind. Vielleicht, weiß hier der Schöpfer um besondere Zartheit; vielleicht erspart der mütterliche Gott seinen schwächsten Kindern den Priifungs-sturm, der sie zerstören könnte.

Und manchmal neigt sich eine reife Frvcht zum Sterben wie zu einem Fest der Ernte. Die wundersame Süße und Sattheit der Seele scheint die Hülle des Leibes in seltsamem Behagen zu sprengen — das leuchtende Auge dieser Vollendeten lobpreist die Todesnot. Die arme Not des Leibes, der unter vielfachen Gebrechen vergeht, und den die sieghafte Seele dennoch überstrahlt wie tausend Sonnen. Nie •st ein Mensch so schön wie im Frieden eines solchen Todes! Und der ist nidit selten.

Es ist etwas Eigenes: so vielfach Ziel und Fahrten der Mensdien auch sein mögen, am Ende sind sie alle daheim.

Ganz wenige sind, die auch in der letzten Stunde in wildem Wahnwitz aus den Armen des Vaters jagen.

An den Sterbebetten der Menschen wird offenbar, daß die Erlösung im Weltplan steht. Hier kann auch Nietzsche sein Wort nicht halten: „Erlöster müßten die Christen aussehen, daß ich an einen Erlöser glauben könnte.“ Denn hätte er den heim gekehrten Toten im Antlitz geforscht, er hätte ihre Erlöstheit zu ewigem Leben sehen müssen!

Das freilich ist wahr: es braucht viel angespannten Kampf, ehe der Frieden sich schenkt. Nirgends aber wird härter gerungen als an der Stätte, wo die letzte Entscheidung fällt.

Wie wird es jener jungen Todgeweihten ergehen in der großen Qual des letzten Kampfes?

Ihre Züge sind jetzt entspannt, und den großen Augen scheint im Traum eine selige Erfüllung zu werden — sie lächelt leicht. Die schmalen Hände aber liegen gefaltet über der jungen Brust; mein Gott, wie rührt einen immer wieder dieses unbewußte Zeugnis schlafender Menschen l Denn sie beten ja — wenn sie nichts als sie selbst sind und die Tiefe ihres Seins in ihnen mächtigen kann.

Ja, liebe junge Schwester, jetzt ist die Stunde, dir Trost an die - Seele zu tragen. Jetzt bist du ohne Abwehr, und dein Herz kann Kraft trinken aus den Worten meines Herzens. Es kann ja auch eine Mutter ihrem Kindlein, das noch nicht zum Licht erwacht ist, schon vieles in die Seele sagen. Und uns verbinden tiefere Beziehungen; die Einheit übernatürlichen Lebens.

Schau, es ist wirklich der letzte Flerbst, den du erlebst. Wie immer fallen die Blätter, bunt im Übermaß der Erfüllung. Dir ist das Leben diese Erfüllung eigentlich schuldig geblieben? Du hast die Tat deiner fleißigen Hände, die Taten deiner Pläne und Ideale und die Tat deiner Liebe noch nicht vollendet? Das ist ein bohrendes Leid, und mein eigenes armes Herz hat dafür keinen Trost... Denn wem ward Vollendung hier auf Erden? Kein noch so reiches Leben ist zum Ziel gekommen, „ehe es ruhet in Gott“. Gott Ist unsere Vollendung, und das ist kein Trost — das ist sieghafter Jubel! L>ein Werk, soweit es jetzt ist — Gott bringt es zu Ende, wenn du nur einen guten Anfang hast. Und selbst wenn der weit zurückliegt, vielleicht bis in die Kindertage: ergreif ihn wieder mit allen Sehnsuchtsarmen deiner Seele — dann hältst du schon ein Gutes in Händen.

Aber es ist noch ein anderes, das dir Leid bereiten wird. Immer wieder rührt es an das Menschenherz: wenn die Schwalben sich für ihre große Reise sammeln; wenn die Herbstsonne mit jener Klarheit im Blau steht, die nur die Ferne wirkt; wenn liebe Menschen aus dem Kreis um uns sich lösen — immer wieder ist es das Scheidenmüssen, das uns wundmacht. Aber dieses Leid hat eine Notwendigkeit, die es aufhebt.

Es muß sein, daß wir alles Geliebte einmal hergeben — damit wir es tiefer empfangen.

Dir bietet sich nun bald eine köstliche Gelegenheit dazu: nimm doch alle deine Lieben im Geiste als Geschenk zu Gott mit! Das füllt dir von neuem die Hände, und so gibt es auch keinen Abschied! Nein, es ist nur ein seliges Sich-finden in dem, der uns alle in sich trägt seit Urbeginn unseres Seins.

Ja, wir sind in ihm. Im Dunkel dieser Nacht legt sich die Welt in seiner Hand zur Ruhe — in maßlosem Vertrauen. Es ist wie ein Wunder, daß wir nach der angstvollen Jagd des Tages nicht Riesenbrände entzünden. Denn wir sind wie gehetzt von Geistern der Unsicherheit, von Fremde und Verlassenheit — keiner ist daheim.

Aber die Welt wagt sich immer wieder in die Nacht.

Da reichen sich Berge in noch tieferer Einsamkeit dem Ewigen hin. Waldwipfel weben in erfülltem Schweigen — die Nadit eint das All. So ist die Seele in Gott.

Er umschließt sie wie der geheimnisvolle Sternenhimmel, und ihr Atmen ist wie würziger Duft, der in seine Klarheit strömt. Und sie schlummert — eine lange Nacht. Daß sie ihn nicht sieht und seine traute Stimme nicht hört, das kann nicht anders sein. Aber wenn er sie wecken will, wird ihre Wonne nicht enden — wenn sie ihn .bräutlich empfängt.

Die Nacht deines Erdenlebens will sich erhellen, meine Schwester. Du schläfst dem Morgen deines Heils entgegen — du weißt nicht, wie nahe du der Gesundung bist. Du weißt nicht, daß der Vater schon erzittert in Sehnsucht nach seinem Kinde — er wird kommen wie der junge Tag.

Das ist das Schönste auf meiner Station: die Wandlung. Die Nacht wird zu Licht, Not findet den Frieden und über alle Leiden siegt ewige Gesundheit.

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