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„Auf menschlicher Basis“

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Die Besinnung, die allerorts in der Kirche im Gang ist, stellt uns Priester gleichsam auf eine neue Weise in die Welt. Mit neuen Augen und einem neuen Herzen versucht der Ohrist von heute die Welt zu betrachten und er soll zugeben, daß er mehr Güte und Menschenfreundlichkeit entdeckt, als er vielleicht vermutet hätte.

Die Aufgabe des Priesters ist: So wie Christus Priester zu sein, auch hinsichtlich des Verkehrs mit den Menschen. In Seinem und durch Sein Menschsein ist Christus der Mittler zwischen Gott und den Menschen, und Er ist der einzige Mittler (Hebr. 2,5 ff.). Durch Sein Menschsein war Christus uns nahe, war Er unter uns. Durch Sein Menschsein band Er Menschen an sich, war Er direkter Kontakt zu den Mitmenschen. Durch Sein Sein folgte man Ihm, sah man in Ihm das Heil. Er war derart mit den Menschen und der Welt verflochten, daß Er sich den Menschensohn nannte. Für die Menschen war Er ein guter Mensch, der aus der Fülle der Gutheit in Seinem Herzen das Gute hervorbrachte (Luk. 6, 45). Und wer Ihm zuhört, erfährt, daß Er durch Christus in die wirkliche Welt zurückgebracht wird, — unter die Menschen, wo immer sie auch leben, um zusammen in Liebe zueinander Gott zu ehren.

Pastorale Grundhaltung

Wenn wir über die Pastoral des Menschseins sprechen wollen und die Konsequenzen, die diese Haltung mit sich bringt, kennenlernen wollen, ist es gut, die Grundhaltung abermals zu formulieren:

• Es geht der Pastoral um den Menschen, um den Menschen, wie er tatsächlich ist, unumwunden. Es geht nicht um ein Menschenbild im allgemeinen oder um einen Idealtyp, so wie er nach unseren religiösen Maßstäben und Normen sein sollte. Es geht um den echten, wirklichen Menschen. Vor diesem Menschen sollen wir Ehrfurcht haben, und seinem tatsächlichen Glück werden wir dienen müssen. Wir werden ihm helfen müssen bei den Lebensfragen, die er sich stellt und die seine Existenz bestimmen. Das werden nicht immer Fragen religiöser Art sein. Es werden Lebensfragen sein, auf die wir Priester auch keine fertige Antwort geben können. Fragen, wo wir ebenso unmündig sein werden, wie alle anderen Menschen, wo wir vielleicht eher schweigen müssen, weil wir uns noch zuwenig mit dem bestimmten Menschen und seiner Welt beschäftigt haben. Oft liegt in diesen Lebensfragen die Frage nach dem Religiösen verborgen. Die Frage, die gestellt wird, verbirgt die eigentliche Frage. Wenn wir nur die gestellte Frage beantworten, haben wir nicht verstanden, worum es geht. Manchmal verstehen wir die eigentliche Frage nicht, weil unser Kopf noch zu voll ist vom Gesetz und Recht und unser Herz noch nicht genügend voll ist vom Mitmenschen.

• Es handelt sich um den Menschen in seinem Bedürfnis nach Gott, um den Menschen, der bewußt oder unbewußt Gott sucht.

Das ist das Gebiet der Pastoral, dort liegt die typische Sendung Christi, also auch des Priesters. Der Priester wird alle menschlichen Werte schätzen müssen und auch von Herzen schätzen können. Das fördert sein Menschsein als Christ. Er darf diese menschlichen Werte nicht nur als Mittel zum Apostolat sehen. Er muß sie in dem Maß sehen, in dem sie das echte menschliche Glück fördern. Er wird entdecken müssen, was in all diesen Worten „Zeichen“ ist, das tatsächlich auf Gott hinweist (Mt. 16, 1). Er soll dieses Zeichen verstehen lernen. Er soll suchen und suchen helfen, wie die wirkliche, geschätzte und in der Wertschätzung erlebte Welt auf Gott hinweist: Die Welt der Ehe und der Familie, der Gesundheit, Arbeit, Freizeit, Freude,

Leid und Einsamkeit. Es geht darum, Gott zu sehen und zu zeigen in der ganzen Wirklichkeit unserer gewöhnlichen Existenz, um einer authentischen, christlichen Sicht auf sich selbst, auf einander, auf Welt und Wirklichkeit willen. Aber was ist christliche Sicht, christlicher Glaube im tiefsten Kern?

Es ist: Gott ist uns in Christus absolut nahe, in erlösender, verzeihender, helfender Gegenwart. Es ist das Mysterium der Güte Gottes, für die Christus das Zeichen ist.

Im ganzen Menschsein spricht Gott, der Vater gibt sich gleichsam kund im Menschen Jesus Christus. Auf diese Weise kann sich Gott auch in den Menschen kundtun. Auch unser Leben kann ein Ausdruck Gottes sein. Und dann' meinen wir damit nicht, daß Gott sich nur in einigen, spezifischen Aspekten des menschlichen Lebens ausdrückt, in denen, welche wir religiöse Aspekte nennen, sondern unser ganzes menschliches Leben ist, so wie das Leben Christi, Material für das Wirken Gottes, also Material für das Ohrist-sein; das ganze menschliche Leben ist Ausdrucksmöglichkeit des Christentums. Im Menschsein Christi wurde die Nähe Gottes konkret faßbar. braucht zwar Strukturen, nur sollen wir die Strukturen, die hinderlich sind, ersetzen. Überlegung Hat immer mehr Wert als fertige Lösungen.

Im tiefsten Kern werden wir dem Menschen helfen müssen, als wenn er aus echtem Glauben uns um Hilfe bittet. Es würde aber falsch sein, zu meinen, daß die praktische Seelsorge hier im Gegensatz zur Hierarchie stehen würde, als ob diese Hierarchie nur die Strukturen zu beachten hätte. Praktische Seelsorge und Hierarchie zusammen werden eine Lösung finden müssen.

Menschlichkeit als Zeichen

Christus wollte uns zeigen, daß das ganze menschlich gelebte Leben Ausdruck für Gott sein kann. So hat Er Sein menschliches Laben gelebt, ertragen im Mysterium der Wirklichkeit Gottes.

Hat unsere Pastoral aber nicht zu viel und zu einseitig die rein kirchlichen Formen betont, wodurch das Christentum oft neben das reale, wirkliche Leben zu stehen kam? Mit anderen Worten: Haben wir die nicht ausdrücklich kirchlichen Formen der wirklichen, menschlichen Problematik nicht zu viel außerhalb unserer Interessen fallen lassen? Der Inhalt der Offenbarung knüpft immer irgendwo bei den echten Lebensfragen an.

Wie trifft die Frage Gottes auf den Menschen?

Wenn die liebevolle Nähe und Güte Gottes für uns eine Glaubenswirklichkeit ist, von Christus als frohe Botschaft mitgeteilt, dann können wir sagen, daß darin der Mensch in seiner Dimension von Gott angesprochen wird. Der Mensch kann — in gratia Dei — eingehen auf dieses Angebot Gottes, und zwar auf verschiedene Arten: durch die evangelische Nachfolge des Herrn im ganzen täglichen Leben. Manchmal wird der Mensch zweifeln, ob er antworten soll und wie. Manchmal wird er es ablehnen. Wie oft wird der Mensch ein bißchen Klarheit über die Frage, die Gott ihm stellt, suchen. Die Frage, die auf verschiedene Arten auf ihn zukommt: durch uns selbst, durch unsere Mitmenschen, Ereignisse der Freude oder des Verdrusses, Glück oder Einsamkeit.

Pastoral heißt dann: Dem Menschen Hilfe anbieten, dadurch, daß man dieses Ansprechen Gottes für diesen Menschen zu verdeutlichen sucht. Was sagt mir Gott in diesem

Augenblick, und was gebe ich als meine ganz persönliche Antwprt, Antwort, die von innen heraus wächst. Das heißt, diesem Menschen helfen und ihn begleiten, damit er allmählich entdeckt, was Gott fragt.

Denn Pastoral heißt nicht, jemandem von oben her oder von einem anderen her etwas auferlegen. Es heißt dem Menschen so zu helfen, daß es ihm allmählich gelingt, selbst zu erkennen, was Gott von ihm will. Erst dann wird der Mensch die Konsequenzen der Frage Gottes sehen und den Versuch wagen können, sie zu akzeptieren. Die Konsequenzen der Beziehung, die der Mensch zu Gott sucht, sollen von innen her wachsen durch Ubergabe und Einsicht des Glaubens. Hier zu helfen ist eine spezifisch priesterliche Aufgabe. Hier steht er deutlich im Dienste des Menschen in seinem Verhältnis zu Gott. Der Priester kann nicht jedem Menschen auf die gleiche Art helfen. Hier kann eine große Schwierigkeit entstehen: Ist dieses echte' Dienen am Menschen in seiner Glaubensentäecküng in. Übereinstimmung zu bringen mit den kirchlichen Strukturen?

Zwei Dinge sollen hier deutlich und klargestellt werden:

• Der Priester steht im Dienst der Menschen innerhalb oder außerhalb der Kirche und nicht im Dienst der kirchlichen Strukturen als solche. Es wäre falsch, die Strukturen zu retten und die Menschen zu ver-1 Heren.

• Der Priester darf nicht den Fehler machen, die Gebote Gottes zu gebrauchen, als kämen sie für jeden Bezug in Betracht. Das wird immer zum Nachteil für den Menschen sein.: Aber es ruft schon die Frage nach der authentischen Interpretation der Gebote Gottes hervor. Man darf nicht sein eigenes Gewissensurteil den anderen auferlegen. Man

Folgerungen für die Funktion des Priesters

Auf dieser menschlichen Basis, erfüllt von der Nähe Gottes, soll der Priester dienstbar für die Menschen werden. Sein eigenes Menschsein spielt dabei eine große Rolle. Er muß sich dessen bewußt sein, daß er nicht sich selbst verkündigen soll, sondern den Herrn. Er muß sich aber auch der Tatsache bewußt sein, daß man ihm zuerst als Menschen begegnet. Man will in ihm einen guten Menschen sehen, der gerade aus seinem Christsein heraus ein Auge hat für die menschlichen Werte. Herzensbildung und äußere Kultur spielen dabei eine große Rolle. Man will aber auch erfahren, ob dieser Mann Gottes wirklich aus einem Glauben lebt und ob dieser Glaube inspirierend und formgebend wirkt hinsichtlich seines eigenen Menschseins.

Wenn wir heute sagen, daß wir neue Wege suchen müssen, um die Ausübung der priesterlichen Funktion sinnvoller zu gestalten, werden wir dies suchen müssen in neuen Formen der Nähe. Früher war die Nähe nahezu geographisch bestimmt. Die neuen Formen der Seelsorge haben eine andere Nähe zur Grundlage. Wir werden in der kommenden Zeit nach neuen, vielleicht tiefergreifenden Formen der menschlichen Nähe suchen müssen und sollen entdecken, wie sie zur Grundlage für die Seelsorge werden können.

Es soll deutlich werden, daß die Pastoral ein ernster Appell an die Treue des Priesters zu seinen Mitmenschen und zur Kirche ist. Eine Treue, in der der Priester dauernd mitwachsen soll mit den Menschen, die er begleitet. Aus, dieser, wirklich dynamischen Treue wächst das Vertrauen in den Menschen und in die Zukunft. Der Priester wird bescheiden und niedrig den suchenden Menschen gegenübertreten müssen, Wehn er dem Glück der Mitmenschen dienstbar sein will, in all den menschlichen Dimensionen, in denen Gott wirken kann, kann er nicht mehr viele seiner alten historischen Vorrechte aufrechterhalten. Er soll dienen und begleiten, und das ist eine geduldige und niedrige Arbeit. Dehn nicht der Priester bestimmt, was im Kontakt mit den Menschen am wichtigsten ist, sondern der Mensch. Und horchend wird der Priester die Lebensfragen seiner Mitmenschen verstehen. Damit ist die Funktion der Priester nicht verringert. Im Gegenteil, sie ist zurückgebracht zu einer echt evangelischen Proportion.

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