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AUF SEINEN WEGEN

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Zum zweiten Todestag des Gründers und Herausgebers der ,,Furche“, Dr. Friedrich Funder, am 19. Mai, setzt der Verfasser der untenstehenden Erinnerungen die zu Ostern des vorigen Jahres (siehe „Die Furche“ Nr. 16 vom 16. April 1960) begonnene Anekdotenreihe fort.

Improvisorium

Zeitungen. Jubiläen und — Titelbilder haben ihre Schicksale „wie die Bücher“. Das Titelbild des Blattes, anläßlich des 10. Geburtstages der „Furche“, ja also, das war so eine eigene Sache.

Es wollte und wollte nicht klappen. Viele Entwürfe lagen schon da, aber sie hatten durch die Bank keine Gnade gefunden. Dr. Funder hatte eine ganz bestimmte Vorstellung davon, die zwar jeder der Zeichner sofort begriffen und begeistert aufgenommen, aber nicht in für Dr. Funder befriedigender Weise in die Wirklichkeit hatte umsetzen können. Es war zum Verzweifeln. Nur noch Stunden fehlten zum Umbruchtermin.

Buchstäblich in letzter Minute kam die Rettung: ein herzlicher Brief Professor Clemens Holzmeisters an Dr. Funder mit persönlichen Glückwünschen zum Jubiläum seines Werkes. Und die künstlerische und Architektenhand hatte nicht geruht und den Brief mit einer kleinen Skizze geschmückt.

Professor Holzmeister erschrak nicht wenig, als ihn Dr. Funder noch in derselben Stunde um die Erlaubnis bat, diese Skizze als Titelbild der Jubiläums-„Furche“ verwenden zu dürfen. Des Meisters künstlerische Verantwortung revoltierte gegen die Zumutung eines solchen Improvisoriums. Er bot sich an, einen neuen, richtigen, gewichtigen Entwurf zu machen. Dazu aber war es bereits zu spät, mußten wir ihm schweren Herzens sagen.

Und so kam es, daß der künstlerische Schnörkel eines ganz persönlichen Briefes an Dr. Funder auf die Titelseite der letzten Jubiläums-„Furche“ geriet.

Er hat uns keine Schande gemacht.

Nein, das tu ich nicht

Unter den vielen Briefen — erzählt Dr. Funders langjährige treue Sekretärin Fräulein Hella Lainer, die ihre Dienste der „Furche“ widmet —, die eines Morgens auf dem Schreibtisch Dr. Funders lagen, war auch ein Schreiben des Gesandten Max Ritter von Hoffinger mit dem Datum vom 17. November 1952, in dem er seinen Wunsch anmeldete, das im Paul-List-Verlag, München, veröffentlichte Erinnerungsbuch Franz von Papens, „Der Wahrheit eine Gasse“, für die „Furche“ besprechen zu wollen. Die Arbeit wäre für ihn reizvoll, da er Herrn von Papen und seine Eigenheiten in den Jahren 1936 bis 1938 aus eigener Anschauung kennengelernt habe. Der Brief schloß mit den Worte : „Sollte die Redaktion eine schonende Kritik wünschen, so wäre ich wohl nicht der geeignete Mpnn dazu." .

Ohne Zögern antwortete ihm Dr. Funder, er Wolle ihm düs Amt abnehmen und die Kritik selbst schreiben: „Ich habe mir auf meine Privatrechnung durch unsere Buchhandlung das Buch besorgt, da ich mit Herrn von Papen noch ein persönliches Hühnchen zu rupfen habe. Ich habe vor und während seines Wiener Aufenthaltes wiederholt Begegnungen mit ihm gehabt, die letzteren über ausdrückliches Mandat seitens des Bundeskanzlers Schuschnigg. Es wird keine schonende Kritik werden, die ich zu schreiben gedenke“

Eine besondere Aufgabe — fährt Fräulein Lainer fort — ver- anlaßte Dr. Funder um diese Zeit, den bewegten Redaktionsbetrieb für kurze Zeit zu verlassen und sich in sein stilles Heim in Baden zurückzuziehen. In kurzen Intervallen brachte sie die Post in die Eugengasse und durfte so die Brücke zwischen Baden und der Strozzigasse machen. Einer dieser dienstlichen Besuche schenkte ihr ein Erlebnis — es ist, meint sie, heute noch so klar vor ihr, als wäre es gestern gewesen:

Durch die Fensterscheiben dringt die Abenddämmerung eines späten Herbsttages in den mit wohliger Wärme erfüllten Wohn- raum. Auf dem großen runden Tisch in der Mitte des Zimmers liegen Briefe, Manuskripte, Notizen, Bücher Nachdenklich schaut Dr. Funder vor sich hin, legt die Hand auf einige handgeschriebene Blätter und sagt:

„So, da habe ich nun das Papen-Buch zu Ende gelesen und die Rezension geschrieben. Ich veröffentliche sie aber nicht. Papen hat eine lange Haft und mehrere Jahre Arbeitslager hinter sich, er ist für seine menschlichen Schwächen und Irrungen durch eine Hölle gegangen. Und nach einer so harten Buße soll ich ihm jetzt noch eins am Zeug flicken? Nein, das tu ich nicht..

Das Hemd ist mir nahe

Man sagt das heute so leichthin: Aus der Gefangenschaft heimkommen, in Wattejacke und Pelzmütze, niemand daheim, alles verloren. Damals aber fühlte und faßte sich das alles ganz anders an. Frau und Bruder des Schreibers dieser Zeilen waren nach dem Westen verschlagen, ich wohnte (in Abwesenheit total ausgebombt) in einer bescheidenen Pension und „lebte von den Marken“. An neue Wäsche und Kleider war nicht zu denken, es gab sie nur „aus mitgebrachten Stoffen", in Wirklichkeit zu für den Heimkehrer unerschwinglichen Schwarzmarktpreisen.

Wieviel davon Dr. Funder wohl gewußt, wieviel er davon geahnt hat?

Ich glaube: viel, sehr viel.

Denn eines Morgens lagen neben der üblichen zugewiesenen Ration an Briefen und Manuskripten auf meinem Schreibtisch — ein sauberes Hemd und eine hübsche Krawatte.

Ich habe sie geliebt und gehütet und so lange getragen, bis sie buchstäblich zerfielen. Ein Stück davon habe ich noch heute.

Ein Freudentag

Dr. Funder ist oftmals ein Polyhistor genannt worden, ein Viel-, ein Alleswisser. Und wenn man seine profunden Kenntnisse in Fragen der Politik, Religion, Geschichte, Jurisprudenz und Kunstgeschichte kannte, war etwas Wahres daran.

Eine eigentümliche Befangenheit allerdings verriet er freimütig selber allem gegenüber, was Literatur, Theater und Musik der jüngsten Gegenwart betraf. Richtigen Abscheu aber hatte er vor dem hemdärmeligen, vulgären Jahrhundertsieg des Films und des Kinos. Meinen verzweifelten Versuchen, ihn wenigstens für die eminente soziologische und psychologische Bedeutung des Films und des Kinos zu interessieren, hörte er immer wieder höflich, aber etwas abwesend zu Ich muß es ihm aber noch heute hoch anrechnen, daß er mir für den Filmteil in der „Furche“ angemessenen Raum verschaffte.

Mit welcher heroischen inneren Überwindung das geschehen ist, sollte ich erst spät erfahren, als ich Dr. Funder einmal bei der Spiegelung, das heißt bei der Spaltenberechnung zu einem bevorstehenden Umbruch des Blattes, eröffnete, es sei im Kunstreferat diesmal so viel los, daß ich meine eigene Filmkritik zu opfern gedenke.

Monatelang Gestautes scheint sich in ihm befreit zu haben, als mit einem unüberhörbaren Seufzer der Erleichterung die ehrlich und zutiefst freudige Antwort kam: „Aaaah, da bin ich aber froh"

Tempo, Tempo

Der Kongreß fand in Barcelona statt und Dr. Funder sollte ihn präsidieren.

Nun war damals gerade die Zeit, da sich erstmals bei dem Hochbetagten schwere Herzattacken meldeten. Eine mehrtägige Fahrt nach Spanien bedeutete eine Lebensgefahr für Dr. Funder. Wie es ihm beibringen? Der Doktor war nicht nur ein Pflichtmensch, der von dieser Aufgabe vermutlich nur sehr schwer abzubringen sein würde; er war auch zeitlebens ein reiselustiger Mensch gewesen, für den ein solcher Ausflug auch noch in hohem Alter einen großen Genuß bedeutete.

Was blieb uns anderes übrig, als im Bunde mit der Sekretärin den Termin an Dr. Funder vorbeizuschleusen. Wir informierten Dr. Funders Vertreter am Kongreß und gestanden dem Doktor selber unsere List erst, als der Kongreß in vollem Gange war.

Sei es nun, daß sich Dr. Funder an diesem Tage besonders schlecht fühlte, sei es, daß er unsere Sorge richtig zu würdigen wußte: er verzieh den kleinen Betrug.

Trotzdem aber konnte es sich der mehr als Achtzigjährige nicht versagen, vorwurfsvoll brummend hinzuzufügen:

„Na gut, wenn ihr schon wegen der 48stündigen Bahnfahrt Angst gehabt habt, aber — gibt es denn keine Flugzeuge nach Spanien?"

Die Spur

Das alles ist jetzt verstummt, aber nicht vergessen. Ja, das Chefzimmer ist von keinem Nachfolger mehr bezogen und in ein Funder-Archiv umgewandelt worden. Der Schreibtisch steht noch da, die lederne Sitzgarnitur, die Bücherkästen, die Blumen am Fenster. Vieles vom Schriftennachlaß und von der gewaltigen Korrespondenz harrt noch der Sichtung und Einordnung. Rechts von der Eingangstüre steht die treue ektrische Standuhr. nach der einstmals — Sinnbild eines starken, lenkenden Willens — alle Uhren des Hauses gerichtet wurden. Sie tickt nq,ch heute( ihr ,pjntön.?s Lie}; eit.eit. Zeit.“ Manchmal klingt s wie „Ewigkeit — keit — keit .

ttrSitzt man in dem-tiefen .Lehnstuhl neben dem Schreibtisch, meint man „ihm“ gegenüberzusitzen, ihn zu sehen und zu hören. Und geht man in diesen Frühlingstagen, da sich sein Todestag schon zum zweiten Male jährt, zur Maria-Treu-Kirche, meint man ihm mit seiner Frau Arm in Arm zu begegnen.

Es ist wie einst, auch in Dr. Funders einstiger Dienstwohnung im Hause Herold.

Ich stehe vor dem gewaltigen verglasten Bücherkasten und sehe ihn im Geiste lesen, schreiben, arbeiten. Ich sehe ihn essen, schlafen, leben, sterben.

Denn ich esse, schlafe, lebe, wohne seit kurzem, wo er gewohnt hat.

Weiß Gott, ich bin ihm so nahe wie nur eh und je.

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