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Auf Umwegen durch die Zeit

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WENN MIR DER HIMMEL BLEIBT. Gedichte von Andreas G r y p h i u s. Herausgegeben und mit einem Nachwort von Wolfgang Kraus. Jakob-Verlag, 1962. 222 Seiten. Preis 16.80 DM.

Diese umfangreiche Auswahl der Lyrik des Andreas Gryphius darf mit viel Resonanz rechnen. Denn uns, die wir unter dem Schatten der atomaren Vernichtungswaffen stehen, ist das Lebensgefühl des Barock vertraut: Jenes bedrängende Bewußtsein der Vergänglichkeit alles Irdischen, die Allgegenwart des Todes, Angst, Verzweiflung und Unsicherheit, denen Gryphius in einer verwandten Epoche gewaltig und gültig Ausdruck verliehen hat.

„Die Herrlichkeit der Erden

muß Rauch und Aschen werden ...'

,Was sag ich? Wir vergehen wie Rauch von starken Winden ...“ Das ist die Grundstimmung dieser Dichtung I Aber Gryphius hat uns das eine voraus, das für ihn alle Nöte und Bedrohungen in einem noch unangefochtenen christlichen Glauben und in der Hoffnung auf Gottes Barmherzigkeit an Gewicht verlieren:

„Laßt Erd und Welt vergehen,

wenn mir der Himmel bleibt...“ Und in einem seiner schönsten Gedichte besingt er die Vermählung von Zeit und Ewigkeit.;,;.-,jr , ,-,3_ 9_J,

Dies' wohl, die Inbrunst Seines Glaubens, läßt Gryphius, im Grund gelassen alle Leiden annehmen. Und hier ist sicher auch der Grund dafür, daß jene andere Seite der Barockdichtung — das Bekenntnis zum Genuß des Augenblicks, gerade weil „alle Lust vergänglich ist“ — in seiner Lyrik viel weniger hervortritt als etwa bei Opitz oder Hofmannswaldau. Gryphius hält sich mehr als sie an die Verleugnung der Welt:

„O Nlchtsl O Wahn! O Traum! Worauf wir Menschen bauen ...“ Oder jene ergreifende Zeile:

„Wo Lust ist, da ist Angst...“ die heute geschrieben sein könnte.

So werden viele Leser in dem Dichter des 17. Jahrhunderts einen Repräsentanten ihres eigenen Lebensgefühls entdecken, dessen Ausweg aus den Nöten der Zeit — der seinen und der unseren — für den heutigen Menschen freilich nicht einfach nachvollziehbar ist.

*

MIT DEM POSTSCHIFF. 24 Geschichten. Von Hans Bender. Sonderausgabe der „Bücher der Neunzehn“. Carl-Hanser-Verlag, München, 1962. 288 Seiten. Leinen. Preis 8.80 DM.

Neben den „dicken Wälzern“ scheint sich in zunehmendem Maß die kleine Prosa einen Platz auf dem deutschen Büchermarkt zu erobern. Nun fordern freilich die Novelle und die anspruchsvolle Erzählung mehr Konzentration als das langatmige Buch, vom Autor sowohl als juch vom Leser. Und die Fähigkeit zur Sammlung ist heute rar geworden. Wenn iber in solchen „short stories“ auf knappem Raum und doch prägnant Probleme md Erfahrungen unserer Zeit eingefangen Verden, sollte ihnen eine breite Resonanz m modernen Leserpublikum sicher sein. Man darf sie für Hans Bender erwarten, der nicht nur das literarische Handwerk souverän beherrscht, sondern auch mutig genug ist, in seinen Figuren das Herz und 3efühl sprechen zu lassen, was gar nicht io wenige Leser unserer Zeit fasziniert, und gewiß nicht nur die altfränkischen.

Der im Rahmen der „Bücher der Neun-tehn“ erschienene Erzählband enthält Geschichten aus dem inzwischen vergriffenen Buch „Wölfe und Tauben“, dazu eine Reihe neuer, bisher nur in Zeitschriften und Zeitungen erschienene Erzählungen. Am eindrucksvollsten sind immer noch die Seschichten aus Krieg und Gefangenschaft: „Die Schlucht“ etwa, „Jurkas lahre“, „Ilgas Tauben“, „Die Wölfe kommen zurück“. Aber auch Geschehnisse aus der Nachkriegszeit — „Die Hostie“ gehört :u den großartigsten — oder Erinnerungen aus der Kindheit sind von unverwechselbarer Eigenart und großem Zauber. Bender versteht es, in kleinen Alltagsepisoden die Tragödien und Komödien menschlichen Daseins transparent zu machen. Ja er hat

noch den Blick für das Menschliche in einer immer unmenschlicher werdenden Welt, den Sinn auch für die kleinen Dinge, in denen sich so oft das Große, die Tiefe der Existenz, offenbart. „Wenn ich eine Weltanschauung zu verkünden hätte, dann wäre es eine Weltanschauung der Zärtlichkeit“, heißt es in dem Roman „Eine Sache wie die Liebe“. Bender ist diesem Konzept treugeblieben. Er schwimmt damit, von außen betrachtet, gegen den Strom, aber auf lange Sicht spricht er für die Zeit und die Zukunft. Denn — was bleibt, ist der Mensch. *

BENJAMIN UND SEINE VÄTER. Roman. Von Herbert Heckmann. S.-Fischer-Verlag, Frankfurt am Main, 1962. 370 Seiten. Preis 19.80 DM.

Herbert Heckmann ist für den Roman „Benjamin und seine Väter“ der Literaturpreis der Stadt Bremen zuerkannt worden, den der Senat seinerzeit — mit reichlich fadenscheinigen Begründungen — Günther Graß für seine „Blechtrommel“ verweigerte. Dieses Vorspiel bringt es mit sich, daß dem Kritiker bei der Lektüre Heckmanns, zumal auch dieser von einer Kindheit erzählt, Vergleiche mit Graß in den Sinn kommen. Ob Oskars Blechtrommel bei Benjamins quäkender Kindertrompete, mit der sich der kleine Held einen Weg nach Amerika zu blasen versucht, Pate gestanden- hat, bleibe dahingestellt. Die Ähnlichkeit des Vorwurfs könnte auch Zufall sein, aber da sie nun einmal besteht, schneidet der neue Preisträger nicht gerade gut ab. Dabei bietet sein Zentralthema, die Suche nach dem Vater, interessante Ansatzpunkte genug.

Dies ist die Fabel: Der vaterlose Junge Benjamin, der früh auch seine Mutter verliert, hat das Glück, einen ungewöhnlich verständnisvollen Adoptivvater zu finden, der den Knaben ungebunden, aber nicht ungeborgen aufwachsen läßt. Und doch bleibt da ein leerer Raum in Benjamins Leben, den auch der väterliche Freund und Ratgeber Jonas — weitaus die stärkste Figur des Buches — nicht auszufüllen vermag. Der Junge beschäftigt sich ständig mit seinem unbekannten Vater, der in seinen Träumen einmal als anbetungswürdiges Idol, nicht selten aber auch als halber Teufel herumgeistert und ganz zum Schluß von dem inzwischen erwachsenen Sohn in Paris als arbeitsloser Clown entdeckt wird. „Benjamin wußte nun, wer sein Vater gewesen sein könnte, und er wußte, wer er selbst war.“ Das ist der letzte Satz des Buches.

Wenn der Leser zu Beginn erwartet, hier Wesentliches und Grundsätzliches über das Phänomen der Väterlichkeit und das Problem der Vaterbindung zu erfahren, sieht er sich bald getäuscht. Benjamins Erfahrungen in dieser Hinsicht sind ganz persönlicher Art und so geschildert, daß die innere Beteiligung des Lesers an seinen Schicksalen ziemlich matt bleibt. Uberhaupt fehlt diesem Buch der Schmelz der großen Knabenromanzen, in denen der Zusammenprall der kindlichen Traumwelt mit der Realität echte Tragik auslöst. Es fehlt dem Autor auch an plastischer Formkraft, so daß die äußeren und inneren Geschehnisse blaß und vage bleiben. DfJ gilt auch für die Problematik unserer jüngsten yer-gangenheit, mit der sich der Autor am Rand einläßt.

Am Ende fragt man sich: Wozu das alles? Die Ehrlichkeit gebietet, das festzustellen.

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