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„AUF WIEDERSEHEN!“

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Man hat sich nie beachtet, sich nur gegenseitig lächerlich gefunden, wie alles, was man von daheim mitgebracht, Art und Sprache, jeder aus einer ändern Gegend.

Nun aber ist man zufällig dabei, wie einer Abschied nimmt. „Auf Wiedersehn!“ Ein Unbekannter sagt es zu einem Unbekannten. Aber unsere Seele schaudert zusammen bei diesem Wort.

Wir haben jeden Kontakt vermieden mit diesen Menschen, die mit uns die Kuranstalt bevölkern. Wir waren gegen alles gleichgültig, was auch um uns vorgehen mochte, aus Sorge (gewitzt durch viele Urlaube), wir würden uns ändern aufschließen und es nachher bereuen müssen. Unter uns haben wir allerdings über die Leute gesprochen, sie langweilig und „unmöglich“ gefunden, es sei schade, nur ein Wort an die zu verschwenden.

Warum sind wir nun traurig, wenn dieser etwas zu dicke Herr aus Westdeutschland in einem Jargon, vor dem wir uns die Ohren verstopfen wollten, „Auf Wiedersehn“ sagt? Und warum haben wir bittere Gefühle, da wir ihn, von seinen hier gewonnenen Freunden umringt und unser nicht achtend, in sein überlanges und breites Auto ein steigen sehen? Warum wühlt dieses Wort, das wir nicht sagen dürfen, nun in unserm Herzen?

Schon sitzt er reisebereit hinter dem Lenkrad. Noch einmal schaut er frohgemut auf die nicht minder fröhliche Gesellschaft. Und einen Augenblick begegnet sein Blick auch dem unseren. Es ist nur, weil wir eben auch da stehen. Aber da lächeln wir schon, und dankbar murmeln wir das Wort, das uns auf der Seele brennt: „Auf Wiedersehn!“

Dann rollt der Wagen die Straße langsam hinunter. Nur einer winkt ihm noch nach. Die ändern alle drehen sich sogleich dem Gebäude zu. Plaudernd gehen sie zum Mittagessen.

Wir kämpfen mit den aufsteigenden Tränen. Wir wollten ihn nicht kennenlernen. Nun ist es zu spät. Es ist nicht wieder gutzumachen. Ein Abschied für immer von einem, den wir nie kennen lernten. Nur, weil er wegen seines langen Wagens eingebildet war. Er war ein Mensch und mußte Abschied nehmen.

Aber ist das nicht...? Das ist doch zum Lachen, daß wir nun die einzigen sind, die sein Abschied traurig macht, während er und seine Freunde fröhlich sind. Wir, die wir ihn gar nicht kannten, wir möchten wohl am liebsten heulen. Ach ja, unsere Nerven sind kaputt. Wir hatten den Urlaub wirklich schon nötig.

Und wir grübeln noch weiter darüber nach, beim Umkleiden zum Mittagessen, und kommen zu dem Schluß: Ja, eben weil wir ihn nicht kannten, sind wir jetzt traurig. Denn, hätten wir ihn kennengelernt, seinen Charakter, seine üblen Seiten — und welcher Mensch hat die nicht, und nun gar ein solcher... Wieviel leichter wäre uns jetzt ums Herz. Wir hätten ihn dann wohl gerne ziehen sehen. Einmal wären wir gewiß von ihm beleidigt worden und wir hätten ihm nicht verziehen.

Wir aber haben uns in Gedanken mit ihm beschäftigt, haben ihn beobachtet, seine „typische“ Überheblichkeit erkannt. (Man denke nur an seine Protzerei mit den drei Schlafröcken, die er täglich wechselte.) Aber vor allem diese primitiven Bemerkungen, die man ihn bei Gelegenheit gegenüber seinen Freunden machen hörte, die sagten doch genug über ihn. Es war doch wirklich zu verrückt, daß man nun beinahe weint, als wäre er gestorben.

Man sollte aus dem peinlichen Abenteuer, von dem, Gott sei Dank, niemand etwas ahnen kann, die Lehre ziehen, in Zukunft sich auch in Gedanken nicht mit den Gästen zu beschäftigen. Am allerwenigsten aber mit diesen Neuankömmlingen von gestern, mit dieser schrecklich lauten Familie, die hinter ihrer übertriebenen Freundlichkeit bestimmt eiskalt sind. Man könnte freilich sein Italienisch bei der Gelegenheit etwas aufmöbeln. Aber lieber darauf verzichten. Nein, danke sehr dafür. Der Mann ist ja auch zu lächerlich. Was muß er kurze Hosen tragen bei seiner Behaarung? Am besten, jede Berührung mit ihnen meiden. Nur Ruhe und keine Verbindung mehr für den Rest des Sommers. Schrecklicher Gedanke, daß man am Ende beim Abschied dieser unmöglichen Leute wieder den unsinnigen Drang verspüren sollte, zu weinen, bloß weil sie vielleicht dabei versuchen werden, in ihrer Landessprache „Auf Wiedersehn!“ zu sagen.

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