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Aufgaben österreichischer Geschichtsbetrachtung

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Die unmittelbare Auswirkung einer nichtösterreichischen, beziehungsweise österreichfeindlichen Geschichtsbetrachtung oder Geschichtsauffassung ist uns Österreichern von heute sehr spürbar. Wir erlebten die politische Vergewaltigung Österreichs durch das Großdeutsche Reich eines Staatslenkers, der durch seinen Geschichtelehrer in eine Österreich feindliche Ideologie gedrängt worden war. Und wir erleben es, daß die politischen Neugestalter der zweiten Nachkriegszeit Österreich in seiner Ver-gangenheits- und Gegenwartsbedeutung nicht mit der vollen Klarheit und dem wohlwollenden Verständnis erkennen, die unserem Vaterland als der ^„Drehscheibe Europas“ und dem „Herz des Abendlandes“ zukommen. Der Grund| ist 'sonnenklar: „Österreich hat sich ... nicht... ins Licht gesetzt durch überwältigende Leistungen und Darstellungen seiner selbst irr» Geschichtswerken“, wie vor Jahr und, Tag der Berliner Universitätsprofessor Rapp richtig feststellte. Grund genug für uns Heutige, alle Vorbedingungen zum schleunigsten Ausgleich dieses unverzeihlichen Versäumnisses zu schaffen, auf daß ein unserem Volke in einer glücklichen Stunde beschiedener ganz großer Verkünder der österreichischen Vergangenheit die Reihe der hoffentlich recht zahlreichsn Historiker von Format eröffnet und der Welt meisterhaft, schön und deutlich sagt: Das war Österreich! Das ist es! Das muß es werden!

Als bescheidener Beitrag zu dieser unab-weislichen Zukunftsnotwendigkeit seien die folgenden Programmpunkte gegenwärtiger und künftiger österreichischer Geschichtsbetrachtung gedacht, die all das umreißen sollen, was unserem Staate und Vaterlande in der Zukunft not tut.

Die österreichische Geschichtsbetrachtung hat die Daseinsgrundlagen Österreichs zu stärken. Aus dieser Aufgabenstellung heraus muß die Geschichtsbetraditung unserem Volke ein geschlossenes österreichisdies Geschichtsbild vermitteln! Mag der eine Zeitabschnitt unseres Vaterlandes von Lichtstrahlen umglänzt, der andere aber von düsteren Schatten umlagert sein, immer wieder ist es das eine Österreich. Angefangen yon den Tagen der mardiia orien-talis nach 955, den Zeiten „Ostarrichis“ nach 996, dem Donaustaat der babenbergischen Kulturblüte über den wachsenden habsburgischen Länderkomplex des Spätmittelalters mit seinen rund 88.000 Quadratkilometern über das Großösterreich des „Hauses Österreich“, der „Domus Austriae“ oder der „Casa d'Austria“ nach 1526 bis 1918, über die erste Republik der Kanzler Renner, Seipel, Schober, über den „Bundesstaat Österreich“ der Kanzler Dollfuß und Schuschnigg, über die Zeit des vorübergehenden Ausgelöschtseins • bis zur zweiten Republik Österreich unserer jüngsten Gegenwart. Immer ist es das eine Österreich mit seinen Leiden, aber auch großen Errungenschaften als Werk verantwortungsbewußter Lenker oder tüchtiger Volksmassen, “dessen kostbare Kunde dringen muß aus der §tudierstube des Geschichtsprofessors bis in die ärmlichste Vorstadtwohnung und die entlegenste Klein-keuschlerhütte. . .

Die österreichische Geschichtsbetrachtung hat darum das Wesen des Österreichers aus seiner geschichtlichen Entwicklung heraus zu. ergründen. Wir brauchen das klare Bild derVolksgestalt desÖsterreichers vor uns, damit wir besser denn in der Vergangenheit, erkennen, welcher Art wir sind, um uns vor dem Einbrüche anderer Art, aus welcher Richtung er immer kommen mag, zu sichern. Fern von einem scharf abzulehnenden Rassismus werden wir jene rassischen Gegebenheiten in unserem Volke zu berücksichtigen haben, die eine wissenschaftlich wohjfundierte und nicht haltlosen Trugschlüssen zuneigende RaÄenforschung vermittelt. Daneben wird die Volkstumsforschung, gestützt auf geschichtliches und sprachliches Rüstzeug, die tausenderlei feinen Verflechtungen aufzuhellen haben, die auf dem Boden unseres Vaterlandes rätisches, illyrisches, keltisches Volkstum, befruchtet durch die Ausstrahlungen des römischen und nahöstlichen Kulturbereiches, verwoben haben; die Maschen dieses Gewebes füllte germanisches Volkstum in vorwiegend bajuwarischer, im äußersten Westen alemannischer Ausprägung. Die geistige Verquickung dieser vielfältigen Volkselemente durch das Christentum, insbesondere durch den Katholizismus, wird ebenso darzutun sein wie das Einsickern italienischer, west- und südslawischer, burgundischer, spanischer und französischer Kulturelemente, die die Wesensart des Österreichers weder getrübt noch gar vernichtet haben und die gerade den Österreicher zu einem in sich ziemlich fest beschlossenen Europäertyp machen, der in die Weite denkt. Dennoch ist dieser Menschenschlag in sich wesenseins vom Neusiedler- bis zum Bodensee, von den Süd-ausläuferh des Böhmerwaldes bis zu den Karawanken. Oder mit anderen Worten: der österreichische Mensch lebt! Mag er auch von diesen oaer jenen aus solchen oder anderen Beweggründen hin weggeleugnet worden sein oder werden.

Die österreichische Geschichtsbetrachtung hat jeglicher Zerklüftung der Österreicher selbst entgegenzuwirken. Wenn Ludwig der Bayer von den Habsburgern etwas über deren innerfamiliären Zwiespalt sagte, so gilt dies etwas abgewandelt für alle Österreicher: Die Österreicher kann man nur durch sich selbst besiegen! Mit anderen Worten, die Erscheinungen unter uns müssen ausgemerzt werden, die sich selbst», manchmal aus gutem Wollen heraus, zu Verfechtern fremder, Österreich schädigender Interessen machen. Und hören wir doch endlich einmal auf, die Menschen nach der politischen Farbe einzuteilen. Österreich muß für jeden Österreicher das Ziel sein, gleidiviel, welcher politischen Richtung er angehört! Die Programme politischer Parteien dürfen nichts anderes mehr sein, als die verschiedenen Wege zu dem einen Dom des Vaterlandes.

Die österreichische Geschichtsbetrachtung hat den Mut, die österreichische Wirtschaft zu beleben: die Leistungen der österreichischen Wirtschaft in Vergangenheit und Gegenwart klar herauszustellen. Denken wir da an die aufsteigende Wirtschaft der Zeit nach dem ersten Weltkrieg, als das zum Binnenstaate gewordene, aus großen Wirtschaftszusammenhängen herausgerissene Österreich sich schwer, aber dennoch in dem neuen Rahmen zurechtfand; oder denken wir allein an die erfreuliche Entwicklung des österreichischen Außenhandels von 1934 bis 1938, obwohl unser Vaterland eine vom Norden her blockierte Festung war. Wieviel bittere Notzeiten überwand Österreich in seiner tausendjährigen Vergangenheit. Sollte es darum ohne weiteres an der Gegenwart zerbrechen? Dies wäre nur dann zu befürchten, wenn auch der Wille zur österreichischen Wirtschaft zerbräche. Sdiließlich wird immer wieder auf die sinnvolle Wirtschaftsordnung des alten, großen Österreich verwiesen werden müssen, um unter Einbau des heutigen Österreich in eine sinnvolle neue Wirtschaftsordnung innerhalb des Donauraumes und Mitteleuropas, ja Europas den Weg aus den chaotischen Zuständen zu finden, die mit der Zertrümmerung Österreich-Ungarns 1918 ihren Anfang nahmen, deren Folgen die Staats- und Wirtschafts-. baumeister bis jetzt wahrlich noch nicht überwunden haben.

Die österreichische Geschichtsbetrachtung hat das Lügengewebe der kleindeutsch-preußischen und nationalsozialistischen Geschichtsklitterung . zu zerreißen. Wenn Österreich bis zum Jahre 1806 dem „Heiligen Römischen Reich“, das erst in seinen letzten Jahrhunderten durch den Zusatz „Deutscher Nation“ bezeichnet wurde, an-gehönte, so ergibt sich daraus, daß dieses „Reich“ kein Nationalstaat, sondern ein übernationaler staatlicher Zusammenschluß verschiedener Völker im Geiste abendländischer Gemeinsamkeit war. DieserfT gehörte Österreich an und hat in Erfüllung seiner europäischen Sendung ihm bis zur Selbstaufopferung gedient, frei.ich dabei auch dem deutschen Volke im besonderen beste Dienste geleistet, indessen das norddeutsche Staatsgebilde lediglich seinen engstirnigen eigenen Interessen nachjagte. Daraus ergibt sich die Feststellung: Niemals war Österreich, abgesehen von 1938 bis 1945, Bestandteil eines von Berlin - Potsdam “ aus regierten deutschen Nationalstaates. Damit verblaßt auch das Märchen von der „Heimkehr ins Reich“; denn Österreich konnte, ungeachtet seiner kulturellen Wechselbeziehungen, niemals dorthin „heimkehren“, wo es nie geweilt hatte. Am allerwenigsten war die Voraussetzung der „Heimkehr“ beim „Dritten Reich“ gegeben.

So hat denn die österreichische Geschichtsbetrachtung der Entwicklung eines kraftvollen neuösterreichischen Staatsgedankens zu dienen: Für Österreich ist es ja schicksalhaft, daß die längste Zeit seiner Vergangenheit über zwei hochverdiente Dynastien und dann im vorigen Jahrhundert bis knapp über die Schwelle unseres Jahrhunderts nur das Offiziers- und Beamtentum die bewußten Träger des österreichischen Staatsgedankens waren. Die Demokratie und vielleicht nidit zuletzt die republikanische Staatsform eröffnen die

Möglichkeit, den Willen zum und die Teilnahme am Staat in den breitesten Volksmassen zu verankern. Ist schon die österreichische Eigenstaatlichkeit trotz der losen Beziehungen zu einer übergeordneten Staatlichkeit höherer Ordnung bei nüchterner Betrachtung klar sich ergebende Tatsache, so gilt es für die Zukunft, entsprechend der von der Wissenschaft längst erarbeitenden Begriffsbestimmung, den Willen zur Bildung der österreichischen Nation (im politischen Sinne) zu stärken; hiebet erklären wir im Geiste der von der

Wissenschaft ermittelten Begriffsbestimmung Nation als eine Menschengruppe mit dem Willen zu staatlicher Gemeinsamkeit, durch den sie sich von anderen Menschengruppen unterscheidet. Daß bei der universellen Art des österreidiers und angesichts der Volkssprache kulturelle Fäden immer wieder in die übrigen deutschsprechenden Räume reichen werden, ist jedem Einsichtigen völlig klar.

Die österreichische Geschichtsbetrachtung hat auch die ersprießlichen Beziehungen Österreichs zu seiner unmittelbaren Umwelt klarzulegen. Daraus ergibt sich die Aufgabe, Österreich als politischen Retter und Kulturvermittler für zahlreiche nicht-deutsche Völker in Mittel- und Südeuropa darzustellen. Hier soll nur ein Wort eines unserer Großen, Hermann B a h r s, angeführt werden: „Österreich war ein Völkerbund in völliger Ausgewogenheit von Freiheit und Ordnung, von Recht und Pflicht, von Selbstbehauptung und ^lbstentsagung der einzelnen Glieder gedacht. Dieser Grundgedanke des alten Österreich allein kann der Keim des künftigen Abendlandes sein.“ Solche Stimmen finden sich aber auch genugsam aus dem slawischen und romanischen oder dem ungarischen Siedlungsraume innerhalb der einstigen österreichisch-ungarisdien Monarchie, bis verblendeter Chauvinismus den' klaren Rück der Völker trübte und den Kampf alfer gegen alle bedingte. Es unterliegt auch keinem Zweifel: Mochte Österreich als kulturelles Bollwerk der Vergangenheit gegen das Nomadentum des Ostens zuerst mit manchem Volke militärisch gerungen haben, so hat es schließlich nach dem Siege dieses Volk liebreich in den Kreis der abendländischen Kulturvölker «eingeführt, ohne ihm sein eigenes Wesen zu rauben. Mit Stolz blickt der Österreicher auf diese völkerversöhnende Tradition, die nichts weiß von Haß oder unangebrachter Gewaltanwendung, die Klüfte verschloß und Brücken baute, über die edles Menschentum von Volk zu Volk wanderte, heilend, fördernd, segnend.

Ohne Wunden aufzureißen, wird österreichische Geschichtsbetrachtung irrtümerreiche Legenden verstummen madien müssen. Solcher sind viele, zumal innerhalb des deutsdien Volkes, innerhalb -Deutschlands. Eine zielstrebige Geschichtsentstellung hat ja dem deutschen Volke ein grausam verzerrtes Geschichtsbild vorgesetzt, in dem Österreich in reichlich unvorteilhaftem Lichte erscheint und vor allem Preußen und seinen Lenkern eine Größe angedichtet wurde, die mit dem Streben nach objektiver Wahrheit so gut wie nichts mehr zu tun hat.

Darüber hinaus hat die Geschichtsbetrachtung zu verkünden, was Österreich Außerordentliches im Dienste der gesamten Mensdiheit und der Menschlichkeit leistete: angefangen von unseren Entdeckern und Erfindern, die die Menschheit um beglückende Zivilisationsgüter bereicherten oder ihre Leiden lindern halfen, wird die Darstellung die Hochleistungen auf dem uns Österreichern ureigenst vertrauten Gebiet, dem Reich der schönen Künste, ins richtige Licht zu stellen haben. Vielleicht wird dann all das Mißtrauen schwinden, das heute die Wege in eine lichtvollere Zukunft unseres Vaterlandes vernebelt, vielleidit erkennen I dann die Mächtigen dieser Erde, daß jeder der Menschheit einen Dienst erweist, der unserem Volke zu einem frohen, sonnigen Dasein verhilft.

Letztlich aber wird und muß österreichische Geschichtsbetrachtung die Zukunftssendung Österreichs klar umreißen: Mögen heute Meinungen verbreitet werden, Österreich habe keine Sendung, so gilt dies nie und nimmermehr. Denn jeder Staat, der mitarbeiten will am Erdenglück aller Völker, muß von einer Sendung, einem Sendungsbewußtsein durchdrungen sein. So auch Österreich, zumal es ein“'tausend Jahre altes Kulturland ist. Gesdiichte und Lage schreiben Österreich seine politische, soziale und kulturelle Sendung vor, der es nachgehen muß, ohne daß es andere zu kränken braucht, es seien denn diese anderen einem unstillbaren Machtrausch verfallen.

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