Aug in Aug mit Gespenstern

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Dieser Bücherherbst wartet mit so vielen Kostbarkeiten auf, dass der Versuch, sich einen Überblick zu verschaffen, wieder einmal scheitern muss. Freilich fallen zunächst die alten Bekannten auf: Günter Grass etwa, dessen Buch "Grimms Wörter"(Steidl), weil schön gestaltet, vor allem das Herz der Bibliophilen höher schlagen lässt; auch Thomas Bernhards Erzählungen "Goethe schtirbt"(Suhrkamp) - ein Band, der zu Lebzeiten des Autors nicht zustande gekommen war -,werden ihre Leser finden. Ian McEwans Roman "Solar" greift das brisante Thema Klimawandel auf, Aufmerksamkeit ist ihm damit sicher. Und bei Jonathan Franzen konnte es sich der Verlag (Rowohlt) sogar leisten, erst sechs Tage vor Erscheinen die immerhin 730 Seiten starken Druckfahnen an die Redaktionen zu mailen und trotzdem damit zu rechnen, dass der Roman "Freiheit" von vielen Medien pünktlich zum Erscheinen besprochen wird. Arme Rezensenten! Die anderen Leserinnen und Leser haben es besser: Sie können sich jene Zeit nehmen, die das Lesen braucht.

Nachhaltige Lektüren

Der Schwerpunkt der Frankfurter Buchmesse machte es möglich, dass durch finanzielle Unterstützungen viele, auch kleinere Verlage argentinische Literatur anbieten können. Leopold Federmair übersetzte für den Wiener Verlag Klever die Essays von Ricardo Piglia "Der letzte Leser". Piglia schreibt sich an erfundenen Lesern von Borges bis Joyce entlang. Borges' Leser, so Piglia, nimmt sich "die Freiheit im Umgang mit den Texten, das heißt die Bereitschaft, die Lektüre an seinen Bedürfnissen und Interessen zu orientieren. Eine gewisse Willkür, eine klare Tendenz, schlecht zu lesen, vom Sinn abzuweichen, unmögliche Serien miteinander zu verbinden."

Die Einladung, im Lesen das Wirkliche und das Imaginäre zu verbinden, weiß die lateinamerikanische Literatur auf besondere Weise auszusprechen. Das wird auch in den Werken der argentinischen Literatur deutlich, die heuer auf deutsch erschienen sind. "Alles, was wir uns vorstellen können, existiert. Es existiert in einem anderen Maßstab, auf einer anderen Ebene, in einer anderen Zeit, deutlich und fern, wie in einem Traum." So sehr sich die Literaten auch mit der konkreten Vergangenheit plagen müssen, so sehr wird doch gerade in Literatur, die dem Fantastischen Raum gibt, deutlich, welche Kraft ihr innewohnt. Leser spüren den Unterschied, ob man ein Buch zuschlägt ohne Nachgeschmack - oder mit Verwirrung: Was hat man da gelesen, welchem Gespenst hat man in die Augen geschaut? Viele Werke des diesjährigen Gastlandes bereiten Lesestunden, die noch lange nachwirken: nachhaltige Lektüren.

Das nächste BOOKLET erscheint am 4. November 2010 als Beilage in der FURCHE Nr. 44/10

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