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Digital In Arbeit

Aus dem Innsbrucker Kulturleben

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Die kulturelle Arbeit, die in Innsbruck geleistet wird, zeigt sich derzeit genau wie an allen andern Orten in verschiedenen Sektoren von materiellen Schwierigkeiten gehemmt und beeinflußt. Um so höher ist es zu werten, wenn das Landestheater (Intendant Robert P1 e ß) vor etlichen Wochen doch einen schon lange gehegten Plan verwirklichen und unter dem Namen „Kleine Bühne” in dem sehr hübsch adaptierten Kolping-Saal eine Art Kammerspiele einrichten konnte. Das „Unheilige Haus” von Naderer als Eröffnungs-1 stück war ein glücklicher Griff, denn es erzielte auch in Innsbruck den verdienten Serienerfolg. Besser als das große Haus hätte man diesen kleinen und intimen Rahmen auch für den „M onsieur Lamberthier” benützt; einst von Bassermanns unerreichter Kunst getragen, wirkt dieses Zwei-Personen- Stück von V e r n e u i 1 heute eher veraltet und verquält. Die ganze Frische französischer Geistigkeit hingegen sprudelte aus dem „Cyrano von Berger ac”, den Paul Schmid rings um die meisterhafte Leistung Harms Kraßnitzers als Titelhelden inszenierte. Ein Klassiker soll erst wieder im Sommer zu Worte kommen, dann allerdings unter den schönen alten Bäumen des Hof- gartens. Siegfried Süßenguth, der nur mehr als Gast aus der Schweiz an die Stätte seines langjährigen Wirkens zurückkehrt, wird dort eine Freiluftaufführung des „Sommernachtstraums” leiten, von der man sich viel erwarten kann. Sein Hamlet im heurigen Winter ist noch unvergessen, unvergessen auch Toni van Eyck als Ophelia. Daß man nicht Gelegenheit hatte, diese vielseitige und wandlungsfähige Schauspielerin in einer ihrer besten Rollen, der Anouilhschen Antigone zu sehen, sondern sie nur im Radio Innsbruck zu hören bekam — schon das ein großer und nachhaltiger Eindruck —, ist bedauerlich. Erfreulich, daß man sich bei der Oper zu einem restlos gelungenen Experiment entschloß und dem „Bajazzo” die „Kluge” von Carl Orff gesellte (Dirigent Siegfried Neßler, Regie Rudolf Großmann), dieses rhythmisch so faszinierende moderne Märdienspiel, das in den bezaubernden Bühnenbildern Stephan Hlawas seinen ganzen primitv-raffinierten Reiz entfaltete. Die Operette hält sich in braven, sanften, sauber ausgearbeiteten und sehr beliebten Bahnen.

Bei den Konzerten ist es immer wieder Musikdirektor Weidlich, der bewährte und befeuernde Leiter der Symphoniekonzerte, der dafür sorgt, daß neben der klassischen auch internationale zeitgenössische Musik bekannt wird (de Falla, Zandonai, Eigar) und der selbst einen Klavierabend den Werken Hindemiths widmete. Ausländische Gäste wurden in der letzten Zeit am bemerkenswertesten durch die Geigerin GinerteN e v e u repräsentiert. Der englische Klavierspieler John Hunt gastierte im Rahmen de British Council.

Sowohl die Englisch- wie die Französischere eine neu gegründete Italienisch-Österreichische Gesellschaft sind lebhaft um kulturellen Gedanken- und Interessenaustausch bemüht. Die Französisch-Österreichische Gesellschaft veranstaltete unter anderem eine Reihe überraschend gut besuchter Abende, bei denen Probleme der modernen Kunst zur Diskussion standen (die Fresken des modernen Tiroler Malers Weiler in der Hungerburgkirche und damit moderne religiöse Kunst überhaupt; Picasso; moderne Architektur). Eine besondere Aufgabe fällt dem Institut Franęais zu. Es werden dort nicht nur Kurse und Vorträge gehalten, man hatte Gelegenheit, die außerordentlich interessanten neuartigen französischen Künstlerfilme über Matisse und Maillot zu sehen, außerdem verfügt es neben einer reichhaltigen Bibliothek über Räume für Ausstellungen, an denen in Innsbruck leider sonst großer Mangel ist. So gelang es dem in der Leitung des Instituts unermüdlich tätigen jungen Professor Maurice Besset, dort eine Schau von Werken Georges Rouaults zusammenzubringen, die nicht nur für Innsbruck einmalig war. Es handelte sich um eine Auswahl graphischer Blätter aus der großen Serie des Miserere, deren Echtheit, Ernst und religiöse Intensität in der Kunst unserer Zeit kaum eine Parallele finden wird. Die Herkunft Rouaults vqn der großen Kunst mittelalterlicher Glasmalerei ist offensichtlich. Aber wenn auch formal eine Aufgliederung durch stärkste Konturierung verwendet wird, die derjenigen durch die Bleifassung gleichkommt, so entspricht doch die weitere Gestaltung durchaus persönlichem, religiös-mystischem Erleben, einer inneren Schau, die sich bis zur prophetischen Vision steigert. Die Blätter stammen aus den zwanziger Jahren, aber alles Leid, das der Menschheit bevorsteht, scheint darin schon beschlossen, alle Todesnähe durchgekostet, alle Kreuzigungen erlitten. Zugleich aber kündigt sich an, was das Werk Rouaults nun in seinem Alter immer mehr erfüllt: innere Ruhe und Frieden, der Sinn für die stille Majestät des Göttlichen und der Schöpfung. Ausgezeichnete farbige Reproduktionen aus der Serie der „Stella Vespertina” gaben einen Begriff davon, wie stark auch die duüdiglühten Farben Rouaults Ausdruck einer dem Rationalen enthobenen inneren Stimmung sind.

In nächster Zeit_.wird das Institut die Gruppe moderner Künstler aus Tirol, deren Werke heuer im Wiener Konzerthaus gezeigt wurden, gastlich in seinen Räumen aufnehmen. Im Museum Ferdinandeum konnte man die schönen Zeugnisse echter Sammlertätigkeit und wahren Kunstverständnisses kennenlernen: mittelalterliche Plastiken aus der Sammlung des Prof. Colli (jetzt meist in den Besitz des Museums übergegangen), darunter ein prachtvolles romanisches Triumphkreuz aus Seckau.

Daß Radio Innsbruck (Leiter Dr. Arthur Schuschnigg) sich am kulturellen Leben durch ausgezeichnete Hörspielbearbeitungen maßgeblich beteiligt, wurde schon anläßlich der „Antigone” erwähnt. (Es brachte auch die österreichische Uraufführung von Zuckmayers „Des Teufels General”.) Hervorzuheben aber ist besonders noch eine zweite Einrichtung. Radio Innsbruck machte als erstes den inzwischen von vielen Sendern nachgeahmten Versuch, von guten Vortragskünstlern Romane in Fortsetzungen lesen zu lassen und hält, durch den großen Erfolg bestärkt, auch heute daran fest. Die ausgewählten Romane sind meist Werke bedeutender Autoren, die dem österreichischen Leser anderweitig noch nicht zugänglich sind (Werfels „Lied der Bernadette” wurde schon 1945 im Sender gelesen) und die gleichzeitig eine bestimmte, religiös betonte Weltanschauung vertreten. (Werfel, „Der veruntreute Himmel”; Cronin, „Die Schlüssel zum Königreich”, und andere.)

Um eine vom Religiösen her bestimmte Stellungnahme zu aktuellen Fragen bemüht sich weiter in großem Ausmaß das Katholische Bildungswerk, das neben der Innsbrucker Hauptstelle . dreizehn örtliche Nebenstellen hat und dessen Vorträge größte Anziehungskraft ausüben. „Fluch und Segen der Atomkraft” (Prof. Margreiter), „Wirtschaft und Gewissen” (Bischof Dr.’ Rusch), „Ehe und Familie in der Krise” (Pater Provinzial Dr. Swoboda), „Die wahre Revolution” (Dr. Zangerle), „Kirche und Arbeiter” (Prof. Pfliegler) waren einige der behandelten Themen; ein grundlegendes Bild von der „Christlichen Sendung heute” aber gab Professor Urs von Balthasar, Schweiz, in einem hinreißenden und meisterhaften Vortrag, der die Tore zu tiefsten Erkenntnissen öffnete.

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