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Aus dem letzten Akt 1945

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Der Krieg ist nach Deutschland zurüdk- gekehrt, die deutschen Heere, längst in hoffnungslose Verteidigung gedrängt, stehen vor dem Zusammenbruch. Der Chef des Generalstabes, Generaloberst Guderian, erscheint mit seinem ersten Ordonnanzoffizier, einem jungen, vielmals ausgezeichneten und verwundeten Rittmeister, Gerhard Boldt, zum Vortrag bei Adolf Hitler. Boldt, der den Untergang des Dritten Reiches im Bunker der Reichskanzlei miterlebte, hat Von den Irrungen und Schrecken dieser makabren Tage ein erschütterndes Bild gezeichnet.)

Bei diesem Besuche nun passieren die Offiziere ungezählte Kontrollen, ihre Aktentaschen werden eingehend untersucht, bis sie zum Vortrag vorgelassen werden. „Langsam“, schreibt Boldt, „stark vornübergebeugt, . kommt Hitler schlürfenden Schrittes auf mich zu. Er streckt mir die rechte Hand entgegen und sieht mich mit einem seltsam durchdringenden Blick an. Sein Händedrude ist schlaff und weih, ohne jede Kraft. Sein Kopf wackelt leiht. Dies ist mir später noch mehr aufgefallen, als ich mehr Muße hatte, ihn zu beobachten. Sein linker Arm hängt schlaff herunter und die Hand zittert stark. In seinen Augen liegt ein unbeschreiblich flackernder Glanz, der geradezu erschreckend und unnatürlich wirkt. Sein Gesiht und die Partie um die Augen mähen einen verbrauhten, völlig abgespannten Eindruck. Alle seine Bewegungen sind die eines Greises."

General Jodl trägt die Lage vor: „Jedes Wort, jede Bewegung ist auf die Laune Hitlers abgestimmt.“ Man steht noch ganz unter dem Eindruck der verlorenen Ardennenoffensive, Siegesmeldungen sind beim besten Willen nicht aufzutreiben. So hilft sih Jodl mit Mätzhen: „An dieser Höhe, hinter dem Dorfe Mesenicht, sagt der General auf die Karte weisend, gelang es einem Stoßtrupp von vier Mann unter der Führung eines Feldwebels, zwei Gefangene einzubringen." Als Jodl schließt, atmet alles erleichtert auf, der Jongleur hat seine Aufgabe geschickt gelöst, der gefürhtete Wutausbruch ist ausgeblieben. In dieser Atmosphäre finden die Beratungen der militärischen Führer des Dritten Reiches statt. Hitler ist von der Idee besessen, überall offensiv vorzugehen.

Aber die Luftwaffe ist hoffnungslos unterlegen. „Wie sollen auh die neuen Mashinen fertig werden? Kaum ist die Entwicklung eines neuen Flugzeugtyps abgeschlossen und mit der Massenerzeugung begonnen worden, kommt Hitler mit einem neuen Verbesserungsvorschlag, den ihm irgend jemand aufgeshwätzt hat, verbietet den Einsatz der fast fertiggestellten Mashinen und befiehlt eine neue Konstruktion." Guderian, ein genauer Kenner des russischen Kriegspotentials, will die Kur'ardarmeen, fünfhunderttausend Mann, zurückholen und an die Oder werfen. Dort steht, angriffsbereit, bei Küstrin, die Rote Armee. Obwohl er und Admiral Dönitz sich für den erfolgreihen Transport verbürgen, lehnt Hitler brüsk ab und der strategisch-politische Dilettantismus geht weiter. Denn Hitler fürchtet nicht etwa das nahe russische Millionenheer, sondern — ein Eingreifen Shwedens und das sollen die Kurlandtruppen bannen.

Die nähste Besprehung findet im Führerbunker statt. Dieser besteht aus zehn Räumen, darunter einen für Hitlers Shäferhündin mit ihren Jungen. An der Oder stehen indessen jedem Deutshen fünf Russen gegenüber. Guderian zeigt aufs genaueste die Möglichkeit, dreißig bis vierzig Divisionen und anderthalbtausend Panzer neu in diesen bedrohten Raum zu werfen. „Hitler erwidert kein Wort. Er stiert vor sih hin auf die Karten, als ob er nihts höre und sehe. Seine Hände sind ineinander verkrampft. Endlih erhebt er sih, mäht einige schleppende Shritte und blickt ins Leere. Plötzlih bleibt er stehen und ver-

1 Gerhard Boldt: „Die letzten Tage der Reichskanzle i." Europa-Verlag, Wien - Zürich - New York, 91 Seiten.

abshiedet sih sehr shnell und sehr kühl." — Die letzte Chance ist vertan. Hitler befiehlt statt dessen eine Offensive mit 1200 Panzern in Ungarn, die völlig zusammen- briht. Als diese Hiobsnahriht eintrifft, bekommt Hitler einen seiner Wutanfälle. Er hat bereits vergessen, daß er diesen sinnlosen Angriff selbst angeordnet hat, und wieder wird ein fähiger Armeeführer abgesetzt.

Im März 1945 erklärt Hitler auf einen mit erdrückendem Material belegten Ost- vorshlag Gudcrians: „Ich lehne eine solhe Arbeit des Generalstabes ab. Die Absihten des Feindes erkennen und daraus führungsmäßige Schlüsse ziehen, können nur Genies und ein Genie wird sih niemals mit derartig handwerksmäßiger Kleinarbeit zufrieden geben." Den Einsatz des bewährten Generalfeldmarshalls von Manstein, des Bezwingers von Sebastopol, lehnt Hitler ab, „da diesem der Glauben an den Nationalsozialismus fehlt. Er kann also den Belastungen, denen heute ein Feldherr ausgesetzt ist, niht standhalten“. In diesem Gewebe von polnischem Fanatismus, Größenwahn und militärischem Analphabetismus werden seit Jahren alle Vorshläge, ja Beshwörungen der Fachleute erstickt.

Indessen zieht ein niht endender Strom von Flühtlingen durh und nah Berlin, eine Lawine des Elends. Zug um Zug bringt Flühtlinge aus dem Osten, viele auf offenen Viehwagen eingeshneit und erfroren. Hitler sieht davon so wenig wie von den Zerstörungen der Reihshauptstadt. Seit er im November 1944 seih Hauptquartier aus dem idyllishen Seengebiet von Rastenburg nah Berlin verlegt hat, hat er die Reihskanzlei, später den Führerbunker niht verlassen. Er ließ sich niht einmal Filme von den wahren Zerstörungen des Bombenkrieges vorführen, sieht niht die Leiden der Zivilbevölkerung, besucht niht die kämpfende Truppe. Dafür ließ er sih noh im März 1945 Entwürfe für einen neuen Orden vorlegen, und während die deutschen Städte, von Bomben zerwühlt und durh sinnlose Verteidigung „bis zum letzten Blutstropfen“ in Ashe sinken, entwirft er himärische Projekte für den Neuaufbau der Reichshauptstadt. Als Hitler auf dem Wege von Rastenburg durh die zerstörten Vorstädte von Berlin fuhr, äußerte er niedergeshlagen, er habe niht im entferntesten geahnt, daß die Wirkungen des Bombenkriegs derartig verheerend seien!

Als Pommern verlorengeht, fällt Himmler, der, wiewohl selbst militärisher Laie, dort befehligt hatte, in Ungnade. Wieder werden — wie in Ungarn der Leibstandarte — ganzen Elitedivisionen die Ärmelstreifen abgerissen. Daß das Unglück nicht an der Truppe, sondern an seiner Führung lag, sieht Hitler niht. In den letzten Wohen verlor Hitler unter dem Eindruck einer niht endenden Kette von Rückschlägen seine Entschlußkraft. „Er wurde unsiher und schwankend. Sein Körper und sein Geist zeigten starke Spuren von Zerrüttung. Das Wackeln seines Kopfes und das Zittern seiner linken Hand nahmen zu." Eine Panzerabteilung fiel im Westen fabrikneu in die Hände der Gegner, weil Hitler ihre Disposition unablässig änderte. Und immer noh keine Einsicht in die wahre Lage. Als die Spitzen der britischen Armee Münster erreihten, fuhr ihnen Kardinal Graf Galen entgegen, um die Stadt zu übergeben, ihre Einwohner und Heimstätten vor sicherer Vernichtung zu bewahren. Hitler tobte: „Wenn ich den Kerl noh einmal erwishen sollte, lasse ich ihn hän- gen!"

Am 16. April 1945 begann die langerwartete Schlacht an der Oder. In der

Morgendämmerung dieses Tages erzitterte der Boden östlih von Berlin unter einem Trommelfeuer von unvorstellbarer Gewalt. Die russishen Batterien standen auf viele Kilometer Breite tief gestaffelt buhstäblih Geshütz an Geschütz. Der letzte Akt des Dramas hatte begonnen. Das letzte Aufgebot des Volkssturms hastete zu den Sammelstellen. Gleihzeitig stehen die Engländer vor Lüneburg, amerikanische Truppen haben die Elbe zwischen Magdeburg und Dessau übersdiritten und stehen damit näher vor Berlin als die Russen. Am 20. April aber — Hitlers Geburtstag — verliest Goebbels im Rundfunk eine Proklamation: „Berlin bleibt deutsh — Wien wird wieder deutsch!" Hitler phantasiert vom Entsatz Berlins durh die Armee des Panzergenerals Wenk, von deren neun Divisionen aber sehs auf dem Papier stehen. Der Rest besteht zu neunzig Prozent aus 17- bis 18jährigen kriegsunkundigen Offiziersanwärtern und bei manchen Gruppen ist niht einmal die Hälfte der Leute mit Waffen versehen.

Am 21. April explodieren in den Straßen Berlins die ersten russishen Granaten. Hitler sagt zu seinen Mitarbeitern: „Der Krieg ist verloren... ih erschieße mich.“ Desungeahtet gebietet er dem nutzlosen Gemetzel niht Einhalt. Die russische Armee beginnt die Hauptstadt zangenartig zu umfassen, das deutsche Heer beginnt sih aufzulösen. Hunderte von Soldaten und Offizieren, viele mit Tapterkeitsauszeichnungen, werden noh an Bäumen und Laternenpfählen aufgeknüpft, da sie die Waffen niederlegen. Hitler kämpft bis fünf Minuten nach Zwölf. Er ist noch gebeugter, das Flackern seiner Augen ist verschwunden, seine Gesihtszüge sind gänzlih shlaff. Das Mienenspiel Goebbels’ verrät quälende Sorgen. Wenk, auf dessen Armee der verzweifelte Spieler Hitler alle Hoffnung setzt, soll angreifen: „Bis morgen muß die Verbindung Wenks mit Berlin hergestellt sein." Eitles Hirngespinst, während die russishen Panzer Berlin umklammert haben, sih die Rote Armee zum Angriff auf die Stadt an- schickt! Nun mißtraut Hitler schon seinen Prätorianern: „Ih kann diese arroganten, langweiligen, entschlußlosen SS-Führer niht gebrauhen.“ Die Meldung eines alliierten Senders über Meinungsverschiedenheiten zwishen den Alliierten elektrisiere Hitler: „Jetzt kann ich nicht Frieden schließen."

Am 26. April traf Görings Funkspruh ein, daß er die Regierungsgeshäfte übernehme. Hitler weinte erst wie ein Kind, dann tobte er wie ein Wahnsinniger: „Man werfe Göring in die Festung Kufstein“, und wenn er, Hitler, den Krieg nicht überlebe, solle Göring ermordet werden. Unter Bränden und Rauh, Hunger und Durst hausen die Berliner Kinder, Frauen und Greise seit Tagen in Kellerlöchern. Auf dem Gelände der Reihskanzlei geht ein

Trommelfeuer nieder, daß der Führerbunker wie unter einem Erdbeben erzittert. Die Ventilatoren müssen abgestellt werden, da sie nur Schwefeldampf, vermisht mit stickigem Kalkstaub, bringen. Tn der ganzen Stadt ist gleihsam die Hölle los. Um weitere Umgehungen der Kampftruppen durch die Shähte der U-Bahn und der S-Bahn zu vermeiden, läßt Hitler dieselben unter Wasser setzen. Tausende von Verwundeten, die in den Tunnels liegen, ertrinken.

In dieser Lage noch verspricht Bormann den Offizieren nach dem Sieg Rittergüter! Der Kommandant von Berlin verpflichtet - sih, Hitler noch heil aus der Stadt herauszubringen, um der Stadt den vernihtenden Endkampf zu ersparen, doh dieser lehnt ab. Im Führerbunker bricht Weltuntergangsstimmung aus, der Wein fließt in Strömen. Wüste Streitigkeiten entspinnen sih zwishen Offizieren und SS-Leuten. Der Aufenthalt im Bunker wird aus Mangel an. frischer Luft unerträglich. Kopfschmerzen, Atemnot und Schweiß werden immer ärger. Die Russen stehen noh tausend Meter von der Reihskanzlei entfernt. Als sie nah neuen furchtbaren Kämpfen nur noch einen halben Kilometer vom Führerbunker entfernt sind, fassen Boldt und sein Chef,' Major von Freytag-Loringhoven, den verzweifelten Entschluß, sih durh die feindlichen Linien durhzushleihen- Am 29. April stimmt Hitler dem mit den Wor-

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