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AUS DEM LITERARISCHEN LEBEN

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„Das Herz und das Kommende“, so betitelt A. Zechmeister sein kürzlich erschienenes Zeit- und Bekenntnisbuch. (Verlag Amandus-Edition, Wien.) Geschrieben von einem gläubigen Menschen, will es in der religiösen Not unserer Tage ein Trostbuch sein, will aus der Zwiespältigkeit der gegenwärtigen Situation einen Weg weisen. Dieses Heil für die kommende Endzeit ist „die Kirche des Gewissens“.

■ Es seien hier die Gedankengänge des Buches im Hauptsädilichen skizziert: Der Christ ist heute einsam geworden, zuerst durch seinen Glauben in einer Welt auf der Flucht vor Gott, dann aber auch in der historischen Kirche. So wird denn das Gewissen des einzelnen „der Ort der Begegnung mit Gott“! „Auf eigene Faust“ muß nun der einzelne „sein Heil wirken“, ein Leben aus dem Gewissen führen, „als Wagnis und als Glückspiel des Einsatzes auf Leben und Tod“. Der Christ muß sogar ein einzelner werden, um „über die Unreife des Christseins und über die Unmündigkeit in der kirchlichen Gemeinschaft herauszu-gelangen“. „Eine äußere bindende Gewalt gibt es nicht, wer Autorität sein will für den mündigen Christen, muß sich vor seinem Gewissen als solche legitimieren“. „Gewiß ist die dogmatische Entscheidung, das positiv geltende Kirchengesetz und die vermittelnde Autorität der Kirche da“. Aber . . . „damit ist dem Menschen alles erst aufgegeben!“ Es ist ein wirkliches Alleinstehen bis in die innerste Gesinnung. Die Kirche in ihrer gegenwärtigen Gestalt ist voll äußerer, auch politischer Betriebsamkeit, zu sehr auf „Repräsentation“ bedacht. Sie kann für den Christen der Endzeit nicht mehr sein als blof Bereich der Sakramentenspendung. Wenn auch Kulturkatholizismus abgelehnt wird, so ist der Christ doch weltoffen und sieht in der wachsenden Profanierung der Öffentlichkeit „ungeahnte Endmöglichkeiten im Guten wie im Bösen“. Er wartet daher die vollständige Profanierung ab, um dann eine neue „christliche politeia“ zu betreiben, die sich wesentlich von jener des Mittelalters unterscheiden wird. Träger dieser neuen verchristlichten Kultur werden nicht mehr Kaiser und Ritter sein, sondern die Laienwelt insgesamt. Der Weg dahin wird „eine bisher noch unver-t irk'ichte religiöse Diskretion“ sein, von Gott wird öffentlich nicht gesprochen wer-

den, das religiöse Leben wird bei „geschlossenem Vorhang“ sich abspielen . ..

Unschwer läßt sich bei den verschiedenen Bausteinen dieser „Kirche des Gewissens“ der Einfluß der gegenwärtigen Zeitströmungen feststellen. Das wirtschaftliche, politische und religiöse Chaos der Nachkriegszeit wurde zum üppigen Nährboden apokalyptischer Stimmungen Die Situation der Kirche: Entfremdung der Massen, kaum merklicher Einfluß auf das öffentliche kulturelle und politische Leben scheint gleichfalls auf eine Endzeit hinzudeuten. Diese wenig imponierende äußere Gestalt des Christentums ist zugleich Ursache einer gewissen Ghettostimmung und resignierter Passivität, die noch durch die Müdigkeit nach dem letzten Kulturkampf gefördert wird. Obendrein fühlt man sich verpflichtet, jede Störung des Burgfriedens, der vom politischen auch auf das religiöse Gebiet übertragen wurde (Nathan der Weise!), zu vermeiden — auf Kosten der Öffentlichkeit seines Bekenntnisses. Um so mehr, da vielleicht bei manchen die äußere S' uation der Kirche sich nachteilig auf das eigene Glaubensleben als Glaubensleere und Glaubensunsicherheit auswirkt. Zu dieser äußeren Vereinsamung kam die Vereinsamung innerhalb der Kirche, ausgelöst durch eine vielfach unpersönliche Seelsorge in der Großstadt. Darüber half auch eine große äußere Betriebsamkeit nicht hinweg. Andererseits ist durch die Propaganda der letzten Jahre sine gewisse Überdrüssigkeit an der Gemeinschaft eingetreten. Man will wieder allein sein, nach all der Knebelung menschlidier Persönlichkeit. Ja man empfindet ab und zu den Betrieb in der Pfarre als einen Ableger völkischer Gemeinschaftspropaganda.

Dies ist der zeitbedingte Hintergrund der Kirche des Gewissens. (Beim Verfasser ist freilich mehr noch ein rein persönliches Erlebnis bestimmend, wie aus mehreren Stellen des Buches klar hervorgeht.) Auf diesem Hintergrund verstehen wir auch, daß dem Werke Zechmeisters auf dem neuen Büchermarkte eine gewisse Aktualität zukommt. Es spricht aus dem Buche die Glaubensnot unserer Tage. Wir anerkennen das ehrliche Bestreben, mit dieser Krise vom Glauben her fertig zu werden. Richtig ist auch die Ansicht des Verfassers, daß eine neue Verchrist-lichung der Kultur nur durch die Verinner-lichung des einzelnen Gläubigen herbeigeführt werden kann. Was seine Erfahrun-

religiöser Gemeinschaft überzeugt, wenn auch in den letzten Jahren dieser Begriff so mißbraucht wurde und die Gefahr des Kollektivismus noch nicht überwunden ist. Auch sind wir vom Werte unseres Glaubens zu sehr durchdrungen, als daß wir meinen könnten, der Menschheit einen Dienst zu erweisen, wenn wir uns freiwillig in ein Ghetto zurückziehen, um nicht durdi unser1 Andersdenken und Anderssein aufzufallen.

Nun zur Kirche des Gewissens selbst. Ihre Aufstellung kommt einer Leugnung der Sichtbarkeit der Kirche gleich.

Wir fragen nach dem Sinn der Sichtbarkeit. Sichtbarkeit ist zunächst eine Forderung der Katholizität, das heißt ihrer Bestimmung für alle da zu sein. Wir anerkennen den guten Willen vieler Menschen außerhalb der Kirche, geben mit dem Verfasser gerne zu, daß es auch außerhalb unserer Religionsgemeinschaft „neue Profanität“, edles Menschentum mit objektiver Wertschätzung der Weltdinge gibt. Aber damit ist weder für die Neuheiden die Pflicht aufgehoben, sich der Kirche anzuschließen noch ist die Kirche des Auftrages entbunden, das Evangelium so zu predigen, daß alle leicht die Möglichkeit haben, es zu hören. Und diese Möglichkeit vermag nur eine sichtbare Kirche zu bieten. „Was man euch ins Ohr gesagt, das predigt von den Dächern!“ Die Apostel haben sich an diesen Befehl Christi gehalten und sich trotz ihrer Endzeitstimmung nicht in die Kirche des Gewissens zurückgezogen — zu unserem

Glück.

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Es klingt wie ein Widerspruch, aber es ist dennoch so, daß für den Menschen als Sinnenwesen das Sichtbare, Konkrete, Historische zugleich auch das Wirkliche, Objektive, Klane bedeutet. Eine Flucht in die Unsicht-barkeit bedeutet zumeist Gefahr der Unklarheit, des Irrtums. Und tatsächlich rechnet auch der Verfasser mit der Möglichkeit des Irrtums in seiner Gewissenskirche. „Der selbstgewählte Weg hat die Möglichkeit des Irrtums im Denken und Handeln.“ Dann er-

dieser Zusammenstellung, da er das echte Herrenwort entwertet! Offenbar hat Christus an dieser Stelle der sichtbaren betenden Gemeinschaft seinen Segen verheißen. Und dieses Versprechen ist auch in Erfüllung gegangen: es strömt auch heute noch von der religiösen Gemeinschaft Stärkung des Glaubensbewußtseins aus.

Das vorliegende Buch stellt die Forderung auf: Der Christ muß über die Unmündigkeit der christlichen Gemeinschaft hinausgelangen, weil „man nur Kinder bemuttert“. Dagegen steht freilich das, Schriftwort: „Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder“. Würde Mündigkeit vollständige Unabhängigkeit bedeuten, welche Aufgabe bliebe dann noch der historischen Kirche? Wenn es keine äußerliche bindende Autorität gibt, wenn sich jede Autorität erst vor dem Gewissen des einzelnen legitimieren muß, wozu dann noch ein unfehlbares Lehramt, dessen Einsetzung durch Christus auch der Verfasser nicht leugnet. Gewiß gibt es letzte Entscheidungen des Gewissens, welche die Kirche niemandem abnimmt. Aber bei diesen Entscheidungen geht es dodi um die Anwendung bestimmter Grundsätze auf einen konkreten Fall. Wenn aber erst über die Grundsätze selbst, über ihre Rechtmäßigkeit, über die Legitimität der Autorität, die sie aufgestellt hat, entschieden werden r '!, dann erübrigt sich jedes kirchliche Lehramt. Was wollen weiter die Worte besagen: „In ihr (der Kirche des Gewissens) ist aufgehoben Gottes Wort“? Die Offenbarung ist buchstäblich Gottes Wort, nimmt teil an seiner Unveränderlichkeit. Darum wurde es einer sichtbaren, unfehlbaren Gemeinschaft anvertraut, um es dem Subjektivismus zu entreißen. Sind nicht 500 christliche Sekten ein beredtes Dokument, wie in einer Gewissenskirche Gottes Worte aufgehoben sind?

Vielleicht sind wir Katholiken uns noch zu wenig der Bedeutung des Dogmas von der Unfehlbarkeit der Kirche bewußt. Zu wenig freudig bewußt, daß wir heute dem

weltanschaulichen Chaos die Geschlossenheit und Klarheit unseres Glaubens entgegensetzen können. Zugleich aber auch zu wenig bewußt der Pflicht zur Zucht und Disziplin in unserem theologischen Denken, die eine

Kirche mit einem solchen Lehramt als selbstverständlich erwarten darf. Wollten wir innerhalb der katholischen Kirche heute noch „auf eigene Faust“ unser Heil wirken, wi hätten das Vatikanum nicht verstanden.

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