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Aus dem Martyrologium der neuheidnischen Tribunale

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Wir wissen, daß in den Zirkusarenen der Städte des römischen Weltreiches in den ersten Jahrhunderten christlicher Zeitrechnung Zehntausende von Christen ihr Leben opferten und daß ihr Blut in ungemessenen Strömen den Acker der Welt befruchtete. Von ihrem Leben und Sterben reden noch heute die Berichte von Augenzeugen, ihre Aussagen vor den heidnischen Richtern, ihre Briefe an ihre Verwandten und Freunde. Es sind die Martyrerakten (Acta Martyrum), sorgsam gehütet vor den Verfolgern, bei den jährlichen Gedenkfeiern ihres Todes in den Katakomben verlesen zur Erbauung und An-eiferung, und dann von Jahrhundert zu Jahrhundert übernommen als kostbarstes Vermächtnis und apologetischer Nachweis der Göttlichkeit des Christentums aus dem moralischen Wunder der Standhaftigkeit seiner Bekenner.

Vom 20. Jahrhundert wird im Buche der Weltgeschichte einmal als Charakteristikum vermerkt werden, daß in ihm die grauenhafteste und widernatürlichste Menschenverfolgung und Menschenausrottung inszeniert wurde, die je die Welt über sich ergehen lassen mußte. Wir wissen heute schon viel über die nie geahnten und bisher kaum vor-stellbaren Unmenschlichkeiten, deren Menschen fähig waren, die wohl alle das Merkmal der christlichen Taufe noch an sich trugen; wir wissen so viel davon, daß Ungezählte die Opfer eines unüberwindlichen Ekels, grenzenloser Menschenverachtung und eines Leben tötenden Pessimismus geworden sind; zuviel, als daß nicht sogar lebendige, optimistische, bejahende Jugend von diesem Wissen wie von einem tödlichen Pesthauch getroffen würde.

Aber wir wissen noch nichts oder im Verhältnis zu dem anderen rein negativen Wissen zu wenig von der Not und Tod überwindenden, sieghaften Kraft all der ungezählten Tausende, die in den Konzentrationslagern mit einem Heldenmut ohnegleichen jegliches Leid, jede Demütigung, jede Bestialität ertrugen und auf der Richtstätte in bezwingender und überzeugender Demut und Christenwürde ihr Leben opferten. Wir müssen außer der Aufdeckung und gerechten Abstrafung der begangenen himmelschreienden Verbrechen mehr Kraft, Geist und Mut, mehr Material und technische Mittel aufwenden als bisher, um den kostbaren Kraft-' quell freizulegen, der vom Leben und Sterben Zehntausender von Häftlingen der KZ.-Lager und den Opfern der Richtstätten ausgeht und sein reinigendes und heilendes Wasser auf uns Lebende ergießen will. Die Existenz- und Angstphilosophie, von der unser Geschlecht beherrscht wird, kann und muß überwunden werden durch die leidende und opfernde, niemals anklagende Liebe, deren Königshymne der Apostel Paulus im I. Korintherbrief, 13, 1—13, gesungen hat und die zu ungezählten Malen gelebt wurde von Helden und Märtyrern des 20. Jahrhunderts.

Vor mir liegen voll beglaubigte A b-schriften von Briefen eines zum Tode Verurteilten. Es sind Briefe, die der katholische Diasporapfarrer und Studentenseelsorger in der Universitätsstadt Greifswald (Pommern), Dr. Alfons Maria W a x m a n n nach seiner Verurteilung vor dem Volksgerichtshof bis zum Tage seiner Hinrichtung (21. Februar 1944) aus seinen Kerkerzellen an seine Schwester gerichtet hat. Die Briefe waren selbstverständlich zunächst nicht zur Veröffentlichung bestimmt, gingen aber nach seinem Tode in Abschriften durch Tausende von Händen deutscher Katholiken aller Gaue. Es kann noch gar nicht ermessen werden, wie viele Kräfte des Widerstandes gegen Tod und Teufel, wieviel Mut und Tapferkeit im Ausharren und Erleiden von Angst, Kummer und *Not, wieviel Glauben an den Endsieg des Guten und der göttlichen Gerechtigkeit, wieviel unbeugsamen Willen zum Christsein und Christbleiben diese Briefe in den Herzen ungezählter deutscher Katholiken geweckt haben.

Es ist wegen der Knappheit des zur Verfügung stehenden Raumes nicht möglich, die Briefe ganz abzudrucken. Nur einige Auszüge seien hier wiedergegeben.

Tegel, 23. Dezember 1943. Liebe Schwester Maria! Morgen ist der heilige Abend. Ich bin m großer Sorge, wie Du die heiligen Tage verleben wirst. 1897 verloren wir Weihnachten den Vater; vor zwei Jahren rief gerade zu Weihnachten Gott unsere geliebte Mutter heim. In diesem Jahr ist Dir der Bruder genommen, der auf Erden unter allen Menschen nur Dich innig geliebt und jetzt hoch verehrt. Bei mir ist der Rahmen hier klar und fest umgrenzt: die Kerkerzelle. So arm wie in diesem Jahre habe ich noch nie an der Krippe gekniet. Mir ist alles abgesprochen: mein Heim, meine Ehre, mein Leben. So will ich nun an der Krippe dessen knien, der nichts hatte, wohin er sein Haupt legen konnte, der als Freund seines Volkes zum Tode verurteilt wurde, der sein Blut als Trankopfer ausgoß für das Heil seines Volkes und der ganzen Welt. Als Gaben trage ich zur Krippe: Hunger und Kälte, Einsamkeit und Verlassenheit. Mein einziger Schmuck sind die blanken Fesseln. So will ich mein Leben, das im Dienst des Weihnachtskönigs stand, ihm geben, der mich mit seinem kostbaren Blut erlöst hat. Mit den reichen Tränen der Reue will ich abwaschen, was Schuld und Sünde in mir geworden ist. In solcher Gesinnung pilgere ich zur Krippe. Ich hoffe mit der Gnade Weihnachten so tief im Herzen im Geist zu feiern wie nie zuvor im Leben. Kein Geschenk und kein Festbissen wird mich ablenken. Keine Kerzen leuchten, keine Tannen duften; nicht einmal die heilige Messe ist mir vergönnt. Aber das Jesukind in der Eucharistie wird als herrliche Weihnachtswirklichkeit mich mit dem Ewigen Licht durchleuchten, mit der Wärme erbarmender Liebe erfüllen. Ich werde das Brevier beten, so langsam und innig, daß ich die Süßigkeit jedes Wortes schmecke. Das primo tempore werde ich leise singen. Viel werde ich Rosenkranz beten und in der Heiligen Schrift lesen. So hoffe ich, daß Christi Friede mein Anteil und seine Gnade meine Herr-

Aufnahme H. Brühlmeyerlichkeit sein wird. Ich bin ohne jede Bitterkeit: ich trage alles mit der Geduld, die mir Christus gibt. Ich hoffe, daß mein Gebet und das Gebet Vieler erhört wird: daß ich wieder das Gloria anstimmen darf am Altar... In Dankbarkeit und Treue und inniger Liebe Dein Bruder Alfons Brandenburg-Görden, 11. Februar 1944. Liebste Maria! Wenn Du diese Zeilen empfängst, sind wir schon in der Fastenzeit. Sie in diesem Jahre zu gestalten, ist durch die Situation gegeben. Ich faste ja schon über acht Monate, habe also Übung darin. Ich will daher dieses Fasten heiligen, besonders im Gebet. Manchmal möchte ich müde werden wie einer, der nicht mehr kann. Dahn hilft Gott mit seiner Gnade. Als besondere Buße will ich in Geduld die Fesseln tragen, die ich schon über siebzig Tage trage, die midi furchtbar quälen und schmerzen. Was ich mit den Händen gesündigt habe! Um mich zu trösten und zu stärken, denke ich oft daran, wie Christus Fesseln trug, wie Petrus und Paulus in Ketten lagen. Im März ist es der neunte Herz-Jesu-Freitag! Ich weiß, daß Du alles mit mir trägst, aber bitte, faste Du nicht! Sorge, daß Du gesund bleibst. Wir wollen zusammen beten, daß Gott uns barmherzig sei. An die Einsamkeit habe ich mich gewöhnt und fange an, sie zu lieben. Ich entdecke langsam Talent zum Mönch! Als Trost und Spruch der Woche merke Dir von Bloy: Es gibt nur eine Traurigkeit, diejenige, kein Heiliger zu sein ... Im Herzen werde ich noch ruhiger. Mein Leben liegt in Gottes Hand. Meine Exi-stens ist geborgen in der Gnade dessen, der am Kreuze hingerichtet ist. Die Form meines Lebens: Zu hoffen auf die Barmherzigkeit und Treue Gottes. Die Passion ist die Weise, wie der Mesch von der geistigen Einsicht zur Realisierung Christi gnadenvoll geführt wird. Ein schmerzlicher, aber doch süßer Weg! Am schwersten wird mir die Geduld. Oh, was kann ich noch ungeduldig beten! All meine Sorgen und Schmerzen opfere ich für die Gemeinde auf... Dir selbst die herzlichsten Grüße und den gestammelten Dank von Deinem Bruder, dem nichts mehr gehört, nicht einmal das Leben.

21. Februar 1944. Liebe Minka! Nun ist die Stunde gekommen, die Gott in ewiger Liebe für mich bestimmt hat. Ich sterbe um drei Uhr. Der gute Scholz hat mir meine Beichte gehört und die Wegzehrung gereicht. In einer Stunde gehe ich hinüber, in die Herrlichkeit des lebendigen Gottes. Ich habe mich ganz und restlos und ohne jeden Vorbehalt Gott ergeben. In seiner Hand bin ich geborgen. In seinem heiligen Herzen wird mich Christus hinüberreißen zum Vater. Maria wird mich beschützen und Sankt Josef midi begleiten. Nun muß ich noch Abschied nehmen von Dir. Hab herzlichen Dank für alles, alles, was Du im Leben mir Gutes getan hast. Sei gesegnet für die Liebe, die Du mir geschenkt, für die Nachsicht und Geduld, die Du mit mir gehabt. Besonders herzlich bitte ich Dich um Verzeihung, daß ich Dir in den letzten acht Monaten so viel Herzweh verursacht habe. Ich lege Dich hinein in das Herz Christi. Gott wird für Dich sorgen. Sei nicht mutlos. Vertraue auf Gott. Er hat mich nicht verlassen. Die acht Monate der Vorbereitung auf die Ewigkeit waren schwer, aber doch sehr schön. Nun muß ich durch die enge Pforte der Guillotine heim gehen. Ich bin überzeugt, daß Vater und Mutter auf mich warten. Grüße alle Schwestern ... Ahnungslos, daß ich heute sterben muß, las ich von Reinhold Schneider die drei ersten Erzählungen aus „Dunkle Nacht“. Liebste Maria, es segne Dich der allmächtige Gott, der Vater, der Sohn und der Heilige Geist. Auf Wiedersehen im Himmel! Alfons

Bekenntnisse und Zeugnisse, geschrieben in dieser Haltung und aus diesem Geiste heraus, gibt es sicher viele in Deutschland und Österreich, von Geistlichen und Laien. Die Stunde scheint mir gekommen zu sein, sie aus den Schubläden und Schreibtischen, aus den Kanzleien und Archiven herauszuholen, sie mit viel Pietät und Rücksicht auf die Hinterbliebenen zu sichten und zu sammeln und sie dann einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen, damit sie Zeugnis ablegen von der todüberwindenden Kraft christlichen Bekennermutes. Vor allem sollten sie aber, gesammelt, einer skeptisch gewordenen Weltöffentlichkeit vorgelegt werden als Beweis dafür, daß politischer /Vktivismus zwar die schier übermenschlich groß und unüberwindlich scheinenden Konstruktionen Nietzscheschen Übermenschentums vernichten kann, daß man aber beim Aufbau einer neuen Welt- und Lebensordnung auch und vor allem jener Kräfte bedarf, die, ermuntert und begeistert durch neue Beispiele christlichen Opfermutes und schöpferischer Leidenskraft, an der Prägung des Antlitzes einer neuen Erde mitzuschaffen berufen und befähigt sind. Diese Kräfte stehen sowohl im Lager der Sieger als auch der Besiegten.

Im Verlag A. P u s t e t, Salzburg, befindet sich ein bedeutsames Werk in Vorbereitung „Priester in Dachau“, das der Verfasser des vielgelesenen Buches „Die Himmel rühmen“, P. Lenz, S. J., geschrieben hat. Es wird dies die erste Darstellung der glorreichen Massentragödie sein, deren Helden in dem Konzentrationslager von Dachau viele Tausende glaubens- und berufstreue Priester in den Jahren 1938 bis 1945 waren. Es ist das opferreichste priesterliche Martyrium, das die Annalen der katholischen Kirche aus ihren Reihen verzeichnen. Die Schilderungen stammen aus schwerem Miterleben und den Berichten von Leidensgenossen. Es seien hier nur einige Überschriften aus den Kapiteln 8 und 9 angeführt, um den Inhalt anzudeuten:

Priester in Arbeit, In der Plantage, Unsere erste Pflicht? Priester im Strafblock, Protestanten, Jenseits der Grenzen, Am Kreuze getötet, Märtyrergeist, Bischöfe im Lager, Winter 1941/42, Kirche aus Polen, In Not und Tod, Die schwere Karwoche, 310 Priester vergast, 440 + 60 Priester verhungert.,.

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