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Aus dem MUhlviertel und dem alten Prag

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DER LANDARZT. Roman. Von Hermann Friedl. Sigbert-Mohn-Verlag,Gütersloh, 1962. 235 Seiten. Preis 16.80 DM. — GESAMMELTE NOVELLEN. Von Oskar J e 11 i n e k. Mit einer Einführung von Franz Karl G i n z k e y. Paul-Zsolnay-Verlag, Hamburg-Wien. 378 Seiten. Preis 59 S. - DAS ELEFANTENBLATT. Erzählungen. Von Johannes U r z i d i 1. Verlag Albert Lan-gen-Georg Müller, München, 1962. 315 Seiten. Preis 16.80 DM.

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DER LANDARZT. Roman. Von Hermann Friedl. Sigbert-Mohn-Verlag,Gütersloh, 1962. 235 Seiten. Preis 16.80 DM. — GESAMMELTE NOVELLEN. Von Oskar J e 11 i n e k. Mit einer Einführung von Franz Karl G i n z k e y. Paul-Zsolnay-Verlag, Hamburg-Wien. 378 Seiten. Preis 59 S. - DAS ELEFANTENBLATT. Erzählungen. Von Johannes U r z i d i 1. Verlag Albert Lan-gen-Georg Müller, München, 1962. 315 Seiten. Preis 16.80 DM.

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Vor drei Jahren erschien als Veröffentlichung der „Carl-Bertelsmann-Stiftung“ zur Förderung junger Autoren ein bescheidener Erzählungsband eines bis dahin nur wenigen Eingeweihten bekannten Autors: „Die Visitation“. Seither zählte, wann und wo immer von österreichischer Literatur die' Rede war, Hermann Friedl als geheime Potenz mit. Nun, da der erste Roman des 1920 Geborenen vorliegt, erfüllt sich das Versprechen in beglückender Weise; seit Lebens „Wolfshaut“, 1960. erschien kein gleicherweise komplexes Werk um eine geschlossene bäuerlich-dörfliche Gemeinschaft, die in der dichterischen Gestaltung zur Welt erweitert und erhöht wird. Auf Friedl läßt sich das Wort E. M. Forsters anwenden, daß geistiger (Welt-) Rang stets aus stofflicher Bescheidung auf das Lokale erwächst.

Hermann Friedl, erst seit kurzem in Linz lebend, arbeitete selbst jahrelang als Gemeindearzt im oberösterreichischen Mühlviertel. „Der Landarzt“ ist die Summe seiner bisherigen Lebenserfahrungen, empfunden und gefiltert durch eine starke und eigenwillige Persönlichkeit.

Der Ort der Handlung liegt dreißig schnelle Autominuten von der Hauptstadt. Man spürt die Nähe der Stadt an den Menschen und ihrer Unzufriedenheit mit der Armseligkeit ihres Daseins, von dem sie fälschlich und sehnsüchtig annehmen, es wäre im größeren Wohlstandsgetriebe erfüllter. Aus der Masse der Dorfbewohner lösen sich einige Figuren, die allmählich durch die Stränge ihrer Schicksale zum Gefängnis des Doktors werden.

Der äußeren Handlung nach ist der Landarzt ein packender, ungewöhnlich „stimmender“ Ärzteroman, mit dichten, beklemmenden Szenen um Geburt, Krankkeit und Tod: eine subtile Dichtung von Graden ist er innerlich, gewachsen aus der österreichischen Erzählertradition, und doch durchaus eigenständig, verwandt in schöpferischer Hinsicht den großen Arzt-und Dichterkollegen Schnitzler und Schönherr, denen es auch zeitlebens darum gegangen war, Oberflächen aufzureißen.

Friedls Stil einzuordnen, auch nur zu kennzeichnen, ist außerordentlich schwierig. Die Dialoge vermitteln, fern davon, naturalistisch zu sein, ein jeweils genaues Bild des Sprechenden. Di* Gedanken fließen schwer, ballen sich zu erratischen Blöcken, fächern sich jedoch vielfach auf, spalten sich nach der Tiefe zu in einer seltsam spröden Sinnlichkeit, bewirken konzentrische Kreise in der Art eines Steins, den man ins Wasser wirft, schaffen Unruhe, noch nachdem sich das äußerliche Bild längst geglättet hat.

Die Herausgabe von Oskar Jellirteks ..Gesaminelten Novellen“ in einer überaus preiswerten „Jubiläumsausgabe“ muß dem Zsolnay-Verlag hoch angerechnet werden. Jellinek, unbegreiflicherweise bis heute nicht nach Verdienst erkannt und gewürdigt, wird hier mit seinen großen Novellen vorgestellt, deren erste, „Der Bauernrichter“ — Jellinek war selbst Jurist — ins Jahr 1924, und deTen letzte, „Der Freigesprochene“, in die Zeit der Emigration fällt. Zuchtvoll und zurückhaltend wie wenige andere, hat der Dichter zu seinen Lebzeiten nur wenig zur Veröffentlichung freigegeben, darunter „Die Mutter der neun“, „Der Sohn“, „Hankas Hochzeit“, „Die Seherin von Daroschitz“, Erzählungen, die zum Besten zählen, was an österreichischer Prosa in der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts geschrieben wurde. Am eigenständigsten sind die Werke, die stofflich der mährischen Bauernwelt verbunden sind; aber auch der altösterreichischen Militäratmosphäre („Valnocha, der Koch“) versteht Jellinek Dichte und kräftige Farbigkeit zu verleihen. Jede Zeile drückt seine Verbundenheit mit jeglicher Kreatur aus, leidenschaftlich formt sich die Kraft seines Gefühls, seiner Erfindung und seiner Sprache. Auffällig und bei einem österreichischen Dichter selten ist sein Sinn für das Dramatische (eine jüngst für das Fernsehen unternommene Dramatisierung der Novelle „Valnocha, der

Johannes Urzidils Erzählungen fehlt diese dramatische Spannung. Seine Dichtung ersteht aus der Erinnerung, aus Menschen- und Naturbeobachtung, aus Reflexion, Traum und Irrationalität. Verhaltenheit des sprachlichen Ausdrucks, konservative Form und seine Geistigkeit zeigen ihn in der Nachfolge Stifters, zu dem er sich auch in der Erzählung „Der Trauermantel“ bekennt. Urzidil hat, trotz früher, expressionistisch beeinflußter Lyrik, erst spät zum wahren Ausdruck seiner dichterischen Möglichkeiten gefunden. Es ist das Nacherleben seiner böhmischen Heimat seiner Kindheit und Jugendzeit, aus der er seine schönsten Dichtungen schöpft. De Erzählungsband „Das Elefantenblatt“ be weist es einmal mehr.

Die erste Geschichte, „Taubenfutter' eine Rahmenerzählung vom Tod eine Kindes im Häusermeer von New Yorl paßt in ihrer erzählerischen Technik un Eigenart nicht zum Milieu der fremde Großstadt. Näher und vertrauter ist ihi schon England — eine Station seine Emigration —, wo er eine Weihnachtsge schichte ansiedelt („Der Schattenspieler“ Aus dem alten Prag jedoch, aus bohm sehen Städten und Landschaften und ihre Menschen erwächst Urzidil die DichtunIn all den Schicksalen und Begebenheitei von denen er erzählt, waltet eine geheim Führung, die über Schuld und Verstrickurt hinweg die mögliche Ausgewogenhe menschlicher Lebenserfahrung erweist. M der Gestaltungskraft intensiver Erinnerur fühlt er sich ein in die Erlebniswelt dKindseins („Anton ist fortgegangen“), i vergangene Zeiten („Das Elefantenblatt die Lebensgeschichte des Kupfersteche Wenzel Hollar) und in alte Geschichtet die er irgendwo einmal gehört hat, so da man mit Recht sagen kann, Urzidil i ein Dichter des alten Österreichs, mag -auch seine Geschichten heute in New Yoi schreiben.

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