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Aus dem Tagetudi eines Trappisten

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Innerhalb der vielen Priesterromane, die wihrend der letzten zwei Jahrzehnte erschienen, steht fast nie ein mönchisches Schicksal inmitten der Darstellung, sondern im überwiegenden Maß die Gestalt eines Pfarrers, Bis heute fehlt der mönchische „Bruder“ des „Tagebuchs eines Landpfarrers“._ Die Begründung für dieses Phänomen dürfte leicht zu finden sein: während eine pfarrliche Existenz auch von Außenstehenden erfaßt und beschrieben werden kann — die Autoren der Pfarromane sind zu fünfundneunzig Prozent Laien —, könnte das mönchische Leben, das immer ein tief verborgenes Leben ist, nur von Mönchen selbst beschrieben werden. Ein Beispiel dafür stellen die Bücher des amerikanischen Trappisten Thomas Mer ton dar, die keine Dichtung enthalten, sondern eine Schilderung seines Weges in die katholische Kirche und in den Trappistenorden sowie sein Leben in demselben. War schon sein erstes Werk „Der Berg der sieben Stufen“ ein „Best-Seller“, so dürfte sein neuestes Buch, aus dem wir einen kurzen Auszug bringen, „Das Zeichen des Jonas“ (deutsch im Benziger-V erlag, Einsiedeln), ebenfalls einem großen Erfolg entgegensehen.

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Innerhalb der vielen Priesterromane, die wihrend der letzten zwei Jahrzehnte erschienen, steht fast nie ein mönchisches Schicksal inmitten der Darstellung, sondern im überwiegenden Maß die Gestalt eines Pfarrers, Bis heute fehlt der mönchische „Bruder“ des „Tagebuchs eines Landpfarrers“._ Die Begründung für dieses Phänomen dürfte leicht zu finden sein: während eine pfarrliche Existenz auch von Außenstehenden erfaßt und beschrieben werden kann — die Autoren der Pfarromane sind zu fünfundneunzig Prozent Laien —, könnte das mönchische Leben, das immer ein tief verborgenes Leben ist, nur von Mönchen selbst beschrieben werden. Ein Beispiel dafür stellen die Bücher des amerikanischen Trappisten Thomas Mer ton dar, die keine Dichtung enthalten, sondern eine Schilderung seines Weges in die katholische Kirche und in den Trappistenorden sowie sein Leben in demselben. War schon sein erstes Werk „Der Berg der sieben Stufen“ ein „Best-Seller“, so dürfte sein neuestes Buch, aus dem wir einen kurzen Auszug bringen, „Das Zeichen des Jonas“ (deutsch im Benziger-V erlag, Einsiedeln), ebenfalls einem großen Erfolg entgegensehen.

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Das Zisterzienserleben ist voller Tatkraft. Es gibt bei uns Gezeiten von Vitalität, die durch die ganze Gemeinschaft fluten und selbst in faulen Leuten Energie wecken. Und hier in Gethsemane sind wir zugleich Zisterzienser und Amerikaner. In gewisser Hinsicht ist das eine gefährliche Kombination. Unsere Energie läuft mit uns davon. Wir ziehen zur Arbeit aus wie eine Studenten-Fußballmannschaft auf das Spielfeld.

Trappisten glauben, alles, was ihnen schwerfällt, sei Gottes Wille. Was einen nur leiden läßt, ist Gottes Wille. Wenn es Schweiß kostet, ist es Gottes Wille. Aber wir haben ernstliche Zweifel in bezug auf alle Dinge, die keinen Aufwand an körperlicher Energie verlangen. Sind diese wirklich der Wille Gottes? Wohl kaum! Sie brauchen ja keinen Dampf. Augenscheinlich meinen Wir, Gott wäre mit keinem Kloster zufrieden, in dem es nicht in jeder Beziehung zugeht wie in einer Munitionsfabrik unter dem Hochdruck von Kriegszeiten. Wenn es uns an etwas fehlt, reden wir uns leicht ein, das sei Gottes Wille, solange es sich als schwer erhältlich erweist. Was leicht ist, ist mein eigener Wille; was schwer ist, ist Gottes Wille. Wenn ich zufällig nach etwas verlange, was schwer zu bekommen ist, so bedeutet das, ich solle ein Opfer bringen, um den Willen Gottes zu tun. Kein anderer Maßstab gilt. Und weil wir aus unseren Schwierigkeiten Fetische machen, bringen wir uns selbst manchmal in geradezu phantastisch dumme Situationen und verbrauchen uns nicht für Gott, sondern für uns selber. Wir meinen, wir hätten Großartiges geleistet, nur weil wir erschöpft sind. Wenn wir uns in die Felder oder Wälder gestürzt, massenhaft Zerstörung angerichtet haben, sind wir zufrieden. Es ist uns egal, wenn wir alle unsere Maschinen verderben, solange wir nur betäubenden Lärm machen und eine große Staubwolke aufwirbeln. Man hat doch etwas geschafft.

Heute habe ich zwei neue Aufgaben bekommen. Vater Abt gab mir die Notizen für die revidierte Ausgabe der Ordensgeschichte, an denen P. Alberic gearbeitet hat. Und außerdem soll ich einen neuen Leitfaden für Postulanten schreiben. Das bedeutet, daß ich nicht weniger als zwölf Arbeiten in verschiedenen Entwicklungsstadien in Gang habe, wobei die Bücher von Leuten außerhalb des Klosters noch nicht einmal mitgezählt sind, die ich bis zur Druckfertigkeit betreuen soll, weil sie entfernt die Interessen des Ordens oder des Hauses berühren.

Wer weiß, was sie in Europa vorhaben? Angesichts all dieser Arbeiten stelle ich mir folgende Fragen:

Muß ein Kreuz nur deswegen, weil es ein Kreuz ist, unbedingt das Kreuz sein, das Gott dir zugedacht hat?

Muß eine Aufgabe, nur weil sie lästig ist, schon darum gut für dich sein?

Ist es ein Tugendakt für einen Kontemplativen, sich hinzusetzen und sich unter einer Lawine von Tätigkeiten begraben zu lassen?

Was mache ich in jenem Raum drüben: schichte ich Brennholz fürs Fegfeuer auf?

Macht die Tatsache, daß ich alles das aus Gehorsam tue, es wirklich Gott wohlgefällig? Das frage ich mich. Ich stelle diese Fragen nicht in einem Geist der Auflehnung. Ich möchte wirklich die Antworten darauf wissen.

Glücklicherweise sind die Weisungen des Vaters Abt immer so nett, unbestimmt und elastisch zu bleiben. Es kommt ihm ein Einfall, den er mir mitteilt, und ich greife ihn freudig auf; wenn ich ihn aber nicht ausführen kann, so versteht es sich, daß ich das sage, und man läßt die Sache fallen.

Gestern früh erwachte ich gegen ein Uhr mit der Ueberzeugung, ich hätte das Veni Creator Spiritus ganz laut im Schlaf gesungen. Später lasen wir am Refektorium Cläre Boothe Luces Reaktionen auf Freud in den Artikeln über ihre Konversion. Es war ein bißchen komisch, das alles vor einer Zuhörerschaft von Mönchen vorlesen zu hören, einschließlich Freuds Vorstellung von Traumsymbolik. Sie haben meistens herzlich gelacht, aber wahrscheinlich haben sie die Hintergründe nicht ganz erfaßt. Im ganzen,meine ich, schadet es Trappisten nichts, von Freud gehört zu haben, obgleich dieses bißchen, was da vorgebracht wurde, wahrscheinlich so oder so keine Wirkung bei ihnen haben wird, außer der selbstgefälligen Vorstellung, Psychoanalyse sei etwas viel Verrückteres, als es tatsächlich ist.

Persönlich habe ich immer das Gefühl, ein tieferes Verständnis des Unbewußten würde den Priestern helfen, bessere geistliche Führer zu sein.

Zum Thema ,,Berg der sieben Stufen“: drei Buchklubs haben den Absatz von vierzehntausend Stück garantiert. Die zweite Auflage ist schon in Vorbereitung.

Und ich rufe mir selber zu: AchtungI Vielleicht wird diese Sache dein ganzes Leben tatsächlich auf den Kopf stellen!

Ich ertappe mich bei dem Gedanken: Wenn sie einen Film daraus machen, wird Gary Cooper den Helden spielen? Oder vielleicht gibt es gar keinen Gary Cooper mehr. Jedenfalls ist das die Art von Narrheit, vor der ich jetzt auf der Hut sein muß. So weit bin ich heruntergekommen. Ich wage nicht, allzu scharf zu horchen, aus Angst, ich könnte hören, wie der zweite Abt von Gethsemane, der gefürchtete Dom Benedikt, sich im Grabe umdreht. j\ber ich bitte ihn, mir zu helfen, in dieser ganzen Sache schlicht und ruhig und still zu bleiben, wie es Gottes Wille sowohl für mich als auch für Gethsemane ist. Das ist nun das Buch, aus dem ich vor zehn Jahren nichts machen konnte — nun ist es ein Erfolg, gerade wo ich in Gethsemane bin und Gethsemane Geld braucht ...

Nimm dich in acht, daß du dich nicht unwillkürlich von dem Vergnügen an deinem eigenen Werk vergiften läßt! Du sagst, du machst dir nichts daraus, aber es geht dir trotzdem ins Blut. Du kostest nicht von dem Gericht, aber sein Duft steigt dir zu Kopf und verdirbt dich, du berauschst dich, indem du am Korken der Flasche schnüffelst.

Früher dachte ich, es müsse gut sein, jung und rasch zu sterben, jetzt aber komme ich zu der Ueberzeugung, daß ein langes Leben mit viel Mühe und Leiden für Gott die größere Gnade wäre. Aber wie auch immer, in concreto ist die größere Gnade für jeden einzelnen das, was Gott ihm bestimmt hat. Wenn Gott dir einen jähen Tod schickt, so ist das für dich eine größere Gnade als irgendein anderer Tod, weil es der ist, den Er, im Hinblick auf alle Umstände deines Lebens und auf Seine Verherrlichung, für dich gewählt hat.

Im Winter wirkt die kahle Landschaft des Nelson-Distriktes schrecklich arm. Eigentlich gelten ja wir als die Armen. Aber ich denke an die Menschen in einer Baracke, dicht bei dem Fabrikgelände von Brandeis, Brook Street, Louisville. Wir mußten dort warten, während Vater Abt Traktorenteile kaufte. Die Frau, die dort wohnt, stand vor der Tür, frostzitternd, in Lumpen gehüllt, während ein verdächtig aussehender, anonymer Lastwagen irgendwelche Schmuggelkohle in ihrem Hof ablud. Ich fragte mich, ob sie es in diesem Winter schon je warm gehabt hat. Und ich dachte an Gethsemane mit unserer Dampfheizung, wo wir zur Essenszeit regelmäßig unsere Mahlzeiten bekommen, wie sie nun einmal sind, und wo ich abgeschlossen in jenem Raum mit Inkunabeln und Handschriften lebe, die man in keinem Millionärshause findet! Kann ich denn niemals einem be-hae'ichen, sorglosen, gepflegten Dasein entgehen? Die Welt ist entsetzlich, Menschen ver-* hunsern und erfrieren und fahren voll Verzweiflung zur Hölle, und hier sitze ich wohl-gehorcen und schreibe Bücher und bekomme von allen Seiten Leserzuschriften, die mir sagen, was für ein wundervoller Mensch ich bin, weil ich so viel aufgebe. Ich möchte sie fragen, was ich denn eigentlich aufgegeben habe, außer

Kopfschmerzen und Verantwortung?

Heute in der zweiten Nokturn hatten wir die Massa damnata und violette Gewänder zur Messe. Wir machten alle eine Menge Fehler. Im Kapitel hörten wir, was mit Kardinal Mind-szenty in Ungarn geschehen ist. Während ich am Fuße des Altars stand, die Patene, in das Schultertuch gehüllt, vor meinem Gesicht, begriff ich, daß ich es bin, der in Ungarn gefangen isti und daß ich eben aus diesem Grunde in diesem Augenblick hier stehe, denn was Christus geschieht, das geschieht mir. Was Christus leidet, das leide ich, und was ich in Christi Namen tue, das tut Christus, und diese Messe ist ein Teil von Christi Kreuzigung in Ungarn und von Christi Triumph über den Antichrist. Und bei der Konsekration bedachte ich, wieviel in mir noch den Aposteln vor der Kreuzigung gleicht, die sich nur ruhmreiche Siege vorstellen konnten und nicht an Leiden oder Niederlage glaubten.

Kardinal Mindszentys Bild mit riesigen, aus dem Kopf quellenden Augen ist an der Tür des Arbeitszimmers angeschlagen, dicht neben einer feinen, friedlichen Darstellung von dem, wie er aussah, ehe die Roten ihn mit der Injektionsnadel behandelten.

Pius XII. hat gesagt, die Kirche bedürfe mehr der Zeugen als der Apologeten.

Warum sollte ich mich fürchten, das Martyrium zu erleiden? Ich erleide es ja schon. Mein Leib wird in Ungarn und Jugoslawien und China getötet und ist zuvor in Mexiko und Spanien und Deutschland getötet worden. Und in Frankreich vor hundertfünfzig Jahren und noch früher in England und Irland und Skandinavien Ich werde ständig getötet.

Sobald ein Mönch ein Buch schreibt und es erscheinen läßt, geht das Gerücht um: „Sie wissen ja, er ist aus dem Kloster ausgetreten.“ Mit mir ging es los, sobald ich die „Thirty Poems“ veröffentlicht hatte.

Immerhin besteht eine solche Gefahr - aber nicht deswegen, weil ich ein Schriftsteller bin. Sondern ich neige zum Stolz und zum Versagen, weil ich ein gewöhnliches menschliches Wesen bin. Eine Menge Leute, die keine Schriftsteller waren, sind aus diesem Kloster wieder ausgetreten, und in früheren Zeiten, als viele Mönche kaum ihren eigenen Namen schreiben konnten, gab es viel mehr Austritte und sogar richtige Apostasien.

Meine meisten Schwierigkeiten kommen von einem geheimen Mangel an Armut. Ich meine die Schwierigkeiten bei der Arbeit — die Korrespondenz, die mich vom Schreiben dieses Buches abhält. Ich will immer zu viele Dinge erwerben, besonders Bücher. Natürlich ist es alles „für das Kloster“ oder „für die Neugründungen“, und alles ist „durch Gehorsam geweiht“, aber letzten Endes ist doch alles meine eigene Idee, und tatsächlich fröne ich den Trieben von Besitzwünschen und Erwerbsgier, auch wenn die Handlungen selbst gesetzlich in Ordnung sind. Daher kommen alle diese Komplikationen — die Bücher-Tauschgeschäfte mit dem Bibliothekar in Achel und dem Bibliothekar in Viaceli und dem Bibliothekar in Bricquebec und P. Anselm in Tamie und den Mönchen der Historischen Kommission in Aiguebelle. Manches davon ist allerdings unvermeidlich. Und Dom Dechanet in Brügge verlangt von mir, die Varianten in unserer Handschrift von Wilhelm von St. Thierrys Goldener Epistel auszugraben, damit er sie durch die „Familie“, zu der sie gehört, identifizieren kann. Er weiß Bescheid.

Das alles bringt Ablenkungen und Scherereien aller Art mit sich und zehrt seit Monaten an meiner geistigen Energie — oder versucht es doch. Und hier sitze ich, entschlossen, dem ein Ende zu machen, und die Spottdrossel dort oben in der Zeder höhnt mich.

Das Problem des Priestertums ist für mich unter anderem ein Problem der Armut. Ich weiß, daß nicht alle Priester durch ihren Beruf zur absoluten Armut verpflichtet sind. Für meinen Teil aber cheint es mir, daß beides zusammenhängt.

Priester zu sein bedeutet, zum mindestens in meinem besonderen Fall, nichts zu besitzen, nichts zu begehren und nichts zu sein als Eigentum Christi. Mihi vivere Christus est et mori lucrum. Um alles zu besitzen, begehre nichts. *

Rilkes Notizbücher sind so voller Kraft, daß ich mich fragen muß, warum niemand in einem Kloster so schreibt. Nicht etwa, daß in Klöstern nicht schon bessere Bücher geschrieben worden wären, Bücher voll tieferer Heiterkeit. Aber Mönche scheinen nicht fähig, so gut zu schreiben — es ist, als verschleierte unsere berufsmäßige Geistigkeit zuweilen den Kontakt mit der nackten Wirklichkeit in uns. Es ist eine allgemeine Schwäche von Mönchen, sich in einer beruflichen Kollektivpersönlichkeit zu verlieren, sich in eine Form pressen zu lassen. Dennoch scheint diese Form nicht mit dem aufzuräumen, was unnötig oder sogar unerfreulich an einer Persönlichkeit ist. Wir halten an unseren Absonderlichkeiten und unserem Egoismus fest, aber in einer Weise, die nicht mehr interessant ist, denn sie ist schließlich doch nur mechanisch und gewöhnlich.

Ich bin in die Schande verfallen, die ich in meinen Schriften bekämpft habe: ich bin ein Kontemplativer, der nahe daran ist, unter Ueberarbeitung zusammenzubrechen. Ich glaube, das ist eine Sünde und eine Sündenstrafe, aber jetzt muß ich es zum Guten wenden und mich auf irgendeine Weise dadurch heiligen lassen.

Das beste für mich ist klare Stille, die sich nicht einmal einbildet, zu irgend jemandem zu sprechen. Eine Stille, in der ich keinen Gesprächspartner sehe, für niemand eine Mitteilung ersinne, kein Wort formuliere, weder für Menschen noch für das Papier. Es wird doch reichlich genug zu sagen sein, wenn die Zeit zum Schreiben kommt, und was ich schreibe, wird schlichter und fruchtbarer sein.

Morgen ist das Fest des heiligen Silvester, und wieder ist ein lahr zu Ende. Ich wünschte, ich wüßte, was ich getan habe, um meine Existenz in diesem Jahr zu rechtfertigen, außer Honorare einzusammeln, mit denen das Kloster General Motors durch den Kauf von neuen Lastkraftwagen unterstützt. Es gibt nur eines — das ist freilich besser als alles andere, was ich im Leben ge':an habe. Seit sechs Monaten lese ich jetzt Messe. Dieses eine lehrt mich, so zu leben, daß ich nicht nach Leben oder Tod frage.

Aber es gibt auch eine sündige Art, auf den Tod gefaßt zu sein. Nämlich mitten im Leben, an der Quelle des Lebens zu stehen und dabei im Herzen jene kalte Hinneigung zum Tode zu spüren, die fast bereit ist, dem Leben zu entsagen — jene tote, moderige Säure, die mit Entmutigung und Furcht den Kern unseres Wesens zerfrißt!

Ob es nicht in Klöstern Hunderte von Menschen mit jenem allerunseligsten Leiden gibt? Da möchte man sich lieber eine anständige Krankheit mit richtigen Schmerzen wünschen wie Krebs oder Gehirntumor, äs,, m'. ät •

Es gibt einen Durst nach Demütigung, der nichts anderes ist als ein von innen nach außen gekehrter Durst nach Bewunderung. Es ist ein aufrichtiges Verlangen, verachtet zu werden, und vielleicht wird dieses Verlangen gerade von denen gehegt, die Heilige sein könnten. Aber ist es nicht ein Verlangen, von den Engeln bewundert zu werden? Und zwar nur von den Engeln? Ist es nicht auch ein Verlangen, das zu verachten, was die Menschen bewundern? Und verachten wir nicht oft das, was die Menschen bewundern, nur aus Rache, weil man uns die Bewunderung versagt? Ist es nicht im Grunde noch demütigender, sich für das bewundern zu lassen, was Menschen bewundern, als für das verachtet zu werden, was Engel bewundern?

Die Leute, die ein bißchen Stille ertragen können, sollten andere finden, die ebenfalls die Stille lieben und einander Stille und Frieden schaffen. Ihre Kinder dazu erziehen, nicht soviel zu schreien. Kinder sind von Natur aus ruhig, wenn man sie in Ruhe läßt und sie nicht von der Wiege an aufreizt, damit sie sich zu Bürgern eines Staates entwickeln, in dem jeder schreit und angeschrien wird.

Sorgt für Orte, wohin die Menschen gehen können, um still zu sein — Herzen und Geister in der Gegenwart Gottes zu entspannen —, Kapellen auf dem Lande oder auch in der Stadt. Leseräume, Einsiedeleien, Einkehrhäuser ohne ständigen Betrieb lärmender „Exerzitien“ — sie schreien sogar die Stationen des Kreuzwegs, und das nicht gar zu fern von Gethsemane.

Für viele würde es große Selbstverleugnung und Disziplin bedeuten, auf diese Geräuschquellen zu verzichten. Aber sie wissen, daß es das ist. was sie brauchen. Sie haben nur Angst, es zu tun, weil ihre Nachbarn sie für stumpfsinnig halten könnten.

Zum mindesten aber sollten Klöster Orte der Stille seini

Je mehr ich meine Scholastiker kennenlerne, um so mehr Achtung habe ich vor ihrer Individualität und um so mehr begegne ich ihnen in meiner eigenen Einsamkeit. Die Besten von ihnen, denen ich mich am nächsten fühle, sind auch die einsamsten und zugleich die gütigsten. Alle diese Erfahrungen verdrängen meine Theorien über Einsamkeit. Ich brauche keine Einsiedelei mehr, weil ich eine dort gefunden habe, wo ich sie am wenigsten erwartete. Gerade als ich meine Brüder noch weniger gut kannte, verstrickten meine Gedanken sich in sie. Jetzt, wo ich sie besser kenne, sehe ich etwas von den Abgründen von Einsamkeit, die in allen menschlichen Wesen sind, von denen aber die meisten Menschen nicht wissen, wie sie sie vor sich selbst oder vor anderen oder vor Gott aufdecken sollen.

O Menschenkinder! Wißt ihr nicht, daß Gott sich weigert, geschaut zu werden? Wenn ihr nur erkennen könntet, wie ungleich unsere Ehre Seiner Ehre ist, würdet ihr aus Liebe zu Ihm sterben. Aber wie können wir glauben, wir, die einer beim anderen Ehre suchen? Wüßten wir nur, daß Gott Ehre sucht, indem Er Ehre gibt. Er fordert von uns nicht, daß wir Ihm irgendeine Ehre geben sollten, die wir nicht von Ihm empfangen haben ... Und wo können wir Ihn finden, um Ihm zurückzugeben, was wir von Ihm empfingen? Im Augenblick, da wir Ihn gefunden haben, ist Er schon vorübergegangen!

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