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Aus den Aufzeichnungen Anton Meisners

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Vor mir liegt ein Jahresbericht des „Wiener Conservatoriums“ für das Schuljahr 1878/79. Auf Seite 62 finde ich meine Klasse für Harmonielehre als Hauptfach des Herrn Professors Anton Bruckner verzeichnet. Welche Fülle von Erinnerungen aus der Jugendzeit steigt da auf! Von den sechzehn Schülern erhielten sechs die Klassifikation Eins: Brischar Franz, Burgharth Franz, Denhof Ernst, K o r n g o 1 d Julius, Meißner Anton und Schalk Franz. Ich befand mich also zwischen zwei hochberühmten Namen der Wiener Musikwelt! — Meine erste unvergeßliche Begegnung mit Bruckner war schon zwei Jahre früher erfolgt. Es war an einem heißen Vormittag gegen Ende Juni, als wir zur Aufnahmsprüfung in den großen Musikvereinssaal geführt wurden. An der Schwelle trat — gleich einer Erscheinung aus einer andern Welt — ein Herr auf uns zu, der augenscheinlich schwer unter der Hitze litt und mich in seiner äußern Erscheinung an den Schauspieler Bernhard Baumeister in seiner Rolle als ländlidier Pächter in Ifflands „Hagestolz“ erinnerte. Es war Anton Bruckner, der uns mit folgenden Worten ermunterte: „Kinderln, habts nur ja ka Angst, es wird scho guat gehn!“ Erst später erfuhr ich, daß dieser Bruckner, der Orgel und Theorie wußten davon! Und zu dieser Zeit hatte er Symphonien komponiere. Wieviel Menschen wußten dies! Und zu dieser Zeit hatte er bereits fünf Symphonien komponiert! (Die Zeit der Messen lag schon weit zurück!) Als Konservatorist war ich nicht wenig stolz, von den Professoren mit „Herr“ angesprochen zu werden. Nur Bruckner sprach uns meist mit „Du“ an. Und wenn er besonders zufrieden mit mir war, nannte er mich vertraulich „mein lieber Antonius“, „Schlankl“ oder „Waudi, Waudi!“ Es war die Zeit, da der Meister gerade an seinem Streichquintett arbeitete, das Dir. Hellmesbcrger, der Primarius des berühmten Quartetts, bei ihm bestellt hatte. Fast jede Woche spielte er uns Partien daraus vor, besonders häufig auf die Gesangsperiode der Bratsche verweisend, die er gewöhnlich mit seiner angenehmen Baritonstimme mitsang. Bruckner war in seinen Jugendjahren Sängerknabe gewesen, und — wie er mir in späteren Jahren, während seiner Krankheit stolz erzählte — ein „guter Altist“. Bruckner war kein übermäßig guter Klavierspieler; seine dicken Finger waren ihm für die Geläufigkeit ein Hindernis. Er spielte immer ein regelmäßiges Legato und mit singendem Anschlag, also stets sehr ausdrucksvoll und ohne Kraftmeierrum. Als das Quintett erstmals aufgeführt wurde, begegnete ich demselben bereits als gleichsam guten alten Bekannten. Damals waren die bei den Orgelkonzertreisen nach Paris und London gewonnenen Eindrücke in ihm noch besonders lebendig. Die Namen der französischen Meister, zu denen er in Beziehung getreten war, Ambroise Thomas und Charles Göunod, sprach er wie ein waschechter Franzose aus; und das Wiener Konservatorium nannte er jetzt nur „Conservatoire“. Seine englischen Eindrücke schienen sich nur auf eine Episode mit einer begeisterten Lady zu beschränken, die meinte, daß „Organisten, die Geld verdienen wollten, nur nach England gehen sollten“. Bruckners Lieblingsopern waren „Don Juan“ und „FideKo“. Bei Erklärung des „Leittones“ zitierte er im Unterricht gern Leporello: „Wo der Herr hingeht, geht auch der Diener hin“. Was den Fidelio anbelangt, konnte er es nicht verwinden, daß die zeitgenössische Kritik — wie er selbst wenigstens fest behauptete —, Beethoven ein „musikalisches Schwein“ genannt habe; dabei wurde er immer ganz ernst und nachdenklich ob dieser schrecklichen Blasphemie. Bruckners erster Freund, der sich ihm nach seiner Übersiedlung von Linz auf Wiener Boden anschloß, war sein Kollege und engerer Landsmann Professor Wilhelm Schenner; ein feinsinniger und ausgezeichneter Lehrer, der zu seinen Schülern

Hugo Wolf, Felix Mottl, Arthur Nikisch, Guido Peters, Ernst Decsey, Josef Hellmes-berger, Speidel, Paula Mark und viele andere oft hatte ich ihm von Bruckner die Botschaft zu überbringen, in welchem Gasthaus er sich heute abends mit ihm zu treffen wünsche. „Sag dein Professorl, er soll heut zum Gause (zum Igel oder zum Kühfuß) kommen!“ In dieses Jahr fiel auch die Erstaufführung von Wagners „Siegfried“ und „Götterdämmerung“. Diese Vorstellungen waren für Bruckner besondere Festtage, die er auf der vierten Operngalerie, links über dem Orchester, selig strahlend, verbrachte. Auch sein letztes öffentliches Aufreten als Konzertorganist fiel in dieses Jahr. Es war ein Konzert im Verein mit einer jungen, nachmals hochberühmten Sopranistin, Kammersängerin Bianca Bianchi, die damals gerade als „Sonnambule“ geradezu unerhörte Triumphe feierte. (Johann Strauß hatte ihr den „Frühlingsstimmenwalzer“ gewidmet.) Dieses Konzert war von der Fürstin Pauline Metternich als Wohltätigkeits-Matinee veranstaltet worden. Bruckner setzte sich zu einer Improvisation an die damals noch recht schlechte Musikvereinsorgel. Er schien äußerst unruhig und nervös. Einer seiner Schüler, der ihm bei der Registrierung behilflich war, versuchte ihm Ruhe einzuflößen, indem er Bruckner die Bemerkung zuflüsterte: „Regen Sie sich doch nicht so auf, Herr Professor! es hört ja eh niemand zu.“ Diese Worte brachten ihn sofort ins seelische Gleichgewicht ... — Im Hörsaal saß ich dem Herrn Professor immer direkt zur Seite. Und da reichte er mir oft aus seiner silbernen Dose eine Prise Schnupftabak, der angenehm nach Veilchen duftete. Es war spanischer Tabak aus der Spezialitätentrafik. Fast bei jedem Zusammentreffen verulkte er mich in derben, wenn auch harmlosen Spaßen, die dann immer in die begütigenden Worte ausklangen: „San ma wieder guat, Antonius!“ indem er mir gleichsam zur Versöhnung die Hand entgegenstreckte. Bruckner war ein guter Lehrer, wenn ihm 2uch das Stundengeben eine Last war. Wie ein Hoher Priester verwaltete er die Sech-tersche Theorie vom Fundamentalhaß. Noch bei seiner „Neunten“ äußerte er sich mir gegenüber hinsichtlich einer besonders kühnen Harmoniewendung: „Du, dös kann i a vorm Sechter verantworten!“ Bald war das Studienjahr zu Ende und es standen die gefürchteten Prüfungen in Aussicht. Bruckner war selbst der Prüfende; und da hoffte ich heimlich, daß er nicht zu schwierige Prüfungsfragen stellen werde. Doch da irrte ich mich gründlieh. — Mit der unvergleidilichen 'Wagnersängerin Bertha E h n n, die unter Hans Richters Leitung hinreißend poetisch die Sieglinde sang, tanzte er, wie er mir erzählte, in Linz die „erste Quadrille“. Der linkische Tondiditer scheint aber, wie aus seiner Erzählung hervorging, wenig Eindruck auf die gefeierte Künstlerin gemacht zu haben. — Bruckner war ein begeisterter Verehrer L i s z t s. Besonderen Eindruck machte auf ihn der langsame Satz („Gret-chen“) in des Meisters „Faust-Symponie“. Anläßlich einer Aufführung der „Graner Festmesse“ durch den Akad. Ridi. Wagner-Verein unter Josef Schalk mußte ich ihm den Klavierauszug dieses Werkes besorgen.

Nach längerer Pause traf ich Bruckner kurz nach dem Ringtheaterbrand in seinem Hörsaal der alten Universität, der im dritten Stock gelegen war. (Er dozierte als Universitätslektor jeden Montag von fünf bis sieben Uhr abends.) Als er mich nach der Vorlesung wieder erblickte, schloß er mich — wie ein Vater seinen verlorenen Sohn — liebreich in seine Arme, erzählte mir von seinen Arbeiten und spielte mir auf dem alten, im Hörsaal stehenden Klavier vor. Er erzählte mir audi, daß er in der Heßgasse 7, gegenüber dem Ringtheater, wohne und an jenem unglücklichen 8. Dezember, nadidem er am Abendgottesdienst in der Votivkirche teilgenommen habe, daheim arbeitete, als er plötzlich durch die furdit-bare Katastrophe überrascht wurde. Ich erzählte ihm, (und das interessierte ihn lebhaft), daß mein älterer Bruder, der im dritten Rang des Theaters seinen Platz hatte, nach dem Ausbredien des Brandes durch den zufälligen Besitz eines Pakets Wachszünder nicht nur sich, sondern auch etwa dreißig andere Menschen vom sidieren Tode errettete.

Auch nach der Übersiedlung in dk neue Universität arbeitete Bruckner mit Vorliebe im seinem Hörsaal der alten Hochschule; dort fühlte er sidi ungestört. Er spielte mir dort häufig aus seinen Symphonien vor. Dann gingen wir regelmäßig durch die Wollzeile und durchquerten den Stadtpark. Ungefähr dort, wo heute sein. Denkmal steht, fütterte er die Schwäne, deren graziöse Schwimmbewegungen ihn besonders beeindruckten. (Bruckner war selbst vein vortrefflicher Schwimmer.) Dann wanderten wir längs des Wienflusses dem „Riedhof“ z, wo er meist mit jungen Ärzten toupierte“. Nicht selten kamen wir auf Brahmt zu jpredien. Als ich äußerte, daß ich halt bei Brahms nie recht warm werden könne, ließ Bruckner meinen Arm, in den er sich eingehängt hatte, los, blieb sinnend vor mir stehen und sagte dann: „Weißt, Antonius, wir zwei sind halt feurige temperamentvolle Naturen und — katholisch. Der Brahms aber (und da hängte er sich wieder in meinem Arm ein) ist kalt und ein — Protestant.“ Große Freude bereitete ihm ein Brief Felix Mottls aus Karlsruhe, in dem ihm dieser mitteilte, daß er mit Franz Liszt seine Symphonien am Klavier durchnahm. Aufs tiefste erschütterte ihn die Nachricht von dem tragischen Tod Königs Ludwigs IL, dem er bekannlich die VII. Symphonie gewidmet hatte. „Beim Adagio habe ich seinen Tod vorausgeahnt...“ sagte er mir. Als rumal der gefürditete Kritiker Speidel die Brucknerschen Symphonien liebevoll würdigte, glaubte der Meister seine Erkenntlichkeit dadurch erweisen zu sollen, daß er ihm ein Stück oberösterreichisches G'seichtes sandte.

Richard Wagner war und blieb bis zu seinem Lebensende sein Abgott. In dem galligen, stets eifersüchtigen Brahms erblickte er, mit vollem Recht, seinen ärgsten Feind, in H a n s 1 i c k des letzteren gefährlichstes Werkzeug, das ihm oft das Leben zur Hölle madite. Dankbarst verbunden war er N i k i s c h und insbesondere Hermann Lcwi, dem Bayreuther Parsifal-Dirigenten, der ihm in München mit einer Aufführung der „Siebenten“ einen der größten Triumphe seines Lebens erfocht. Auch Felix M o 111 und der Berliner Chordirigent Siegfried Ochs genossen seine besondere Verehrung. Gegen die Gebrüder Schalk und auch in gewissem Sinn gegen Löwe, ist er mit zunehmendem Alter etwas mißtrauisch geworden. Besonders der nachmalige Opein-direktor Franz Schalk, dem Bruckner übrigens für sein eifriges Eintreten zeitlebens dankbar blieb, erfreute sich im Grunde nicht seiner persönlichen Sympathie. Hatte er sonderbarer Weise ' von früher Jugend auf eine gewisse Antipathie gegen alle, die einen Zwicker auf der Nase trugen (nur Mottl machte da eine. Ausnahme bei ihm), so stießen ihn bei dem Genannten gewisse Charaktereigenschaften, wie zum Beispiel seine Spottlust, ab. Vielleidit mögen dabei auch die unausgesetzten, sidier gutgemeinten Bemühungen des erfahrenen Dirigenten, ihm weitgehende Umänderungen und Striche in seinen Symphonien abzunötigen, eine Rolle gespielt haben.

Wir schließen die Aufzeichnungen Meisners in der nädisten Folge der „Furche“ ab.

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