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Oswald Egger, der diesjährige Peter-Huchel-Preisträger, überrascht mit einem in jeder Hinsicht außergewöhnlichen Gedichtband.

Es blieb in Österreich fast unbemerkt, dass Oswald Egger, der aus Südtirol stammende Poet und Anreger der Poesie, der lange Jahre in Wien gelebt hat, in diesem Frühling mit dem Peter-Huchel-Preis ausgezeichnet wurde - dem prominentesten Lyrik-Preis, den Deutschland zu vergeben hat; neben Ernst Jandl ist Egger bislang der einzige Österreicher, der ihn erhalten hat. Ein literarisches Großereignis ist auch sein neuer Gedichtband nihilum album. "Weißes Nichts" bedeutet der lateinische Titel wörtlich. Dahinter verbirgt sich jedoch ein Fachausdruck, der die Zinkblumen meint: Ausflockungen, die bei der Verhüttung von Zink entstehen. Im Klappentext heißt es dazu: "Zinkblumen aus Erde und Rede, Zink, in Fitzchen, das sich im Glosen und Focus des Ungegenständlichen verliert und wie lichtflüchtige Wollflocken in Luft aufgeht."

Zinkblumen, lichtflüchtig

Ausnahmsweise darf man hier den Klappentext zitieren, denn er stammt vom Autor selbst. Er hat, wie er im Furche-Gespräch feststellt, "einen emphatischen Buchbegriff", und das heißt: Entstandene Gedichte einfach edieren, das ist noch kein Buch. Dafür braucht es kompositorische Kriterien, und die sind für Egger "mathematisch, rhythmisch und visuell". Auch im visuellen Bereich hat er nichts dem Zufall überlassen, sondern alles selbst gestaltet, und so hebt sich schon die quadratische Form, die auch an ein Würfelspiel erinnern mag, von allen anderen Büchern des Suhrkamp Verlages ab. Und den Umschlag ziert ein aus acht Linien gebildetes Zeichen, das Egger in endlosen Variationen als Strukturelement des Buches gezeichnet hat.

Jede dieser Variationen beschließt die Gedichtfolge eines Tages; nihilum album ist nämlich so etwas wie ein poetisches Jahrbuch: je zehn Gedichte für jeden der 365 Tage des Jahres, in Summe also genau 3650 Gedichte. Auf den ersten Blick sind es einfache Vierzeiler, wie sie in der Volkspoesie üblich waren: Schnaderhüpfler, Couplets oder Stanzen. Aber sie verbinden sich nicht zu einem Zyklus, sondern ein jedes beansprucht seinen eigenen Raum, ist autark wie ein Haiku. Darum muss man sie auch nicht unbedingt in ihrer Reihenfolge lesen. Man kann durch diese Gedichte auch hüpfen wie eben über ein Brettspiel. Man kann natürlich auch die Gedichte für den jeweiligen Tag suchen, an dem man das Buch gerade liest. Oder man schlägt das Buch einfach irgendwo auf und sucht so lange, bis man an einem Gedicht hängen bleibt. Dabei wird man gelegentlich über die Grenzen des üblichen Wortschatzes zu Überraschungen wie diesen geführt:

Pingeln,

Pinsüffeln

Pitt-Pitsche, und

sie fischten nichts.

Oswald Egger ist ein großer Worterfinder und Wortsammler, und oft weiß man nicht: hat man nun ein seltenes, ein ausgestorbenes oder ein Dialektwort vor sich oder hat er es erfunden. Egger will sich dabei auch nicht in die Karten schauen lassen, sondern arbeitet gerade mit dieser Unbestimmtheit. Und zwingt einen so auf sanfte Weise zum langsamen Lesen und dazu, sich von den festgefügten und schon immer klaren Wortbedeutungen zu lösen, sich auch von Klängen verzaubern zu lassen.

Nachklang der Lieder

Wie wichtig ihm der Klang ist, weiß jeder, der ihn schon bei einer Lesung gehört hat. So ist auch die CD im Buch mehr als eine modische Beigabe; sie zeigt, dass die gedruckten Texte hier wie Noten funktionieren, die sich sehr verschieden realisieren lassen; und wie sehr sich Egger den alten Liedern genähert hat. Schade nur, dass man dabei nicht einfach auf Eggers Stimme gesetzt, sondern mit Echo-Effekten und akustischen Spielereien gearbeitet hat.

Oswald Egger spricht nicht in komplizierten Theorien, sondern in handwerklichen Bildern vom Flechten, Weben oder Klöppeln über seine Gedichte; oder vom Ackern. Die Gedichte dieses Bandes sieht er als Furchen, bei denen der Pflug außerhalb des Ackers gewendet hat und man daher die Kehre nicht sieht. Wenn man darauf aus ist, alles zu "verstehen", scheinen diese Gedichte manchmal sehr schwierig. Egger meint, sie seien ganz einfach zu lesen: "wenn man es nicht mit dem Kopf, sondern mit dem Herzen hört." Und er vertraut darauf, "dass jeder, der zum Buch greift, schon das eine oder andere Wort oder die Stelle für sich finden wird - die Öse, den Zugang".

Und manchmal findet man ja auch Gedichte, die es einem ganz einfach machen - zumindest auf den ersten Blick und was die einzelnen Wörter betrifft:

Selten ist solches,

Heidekraut,

das weiße Blüten hat,

heimlich.

Immer sind es Vierzeiler mit wenigen Versen, Egger hat, wie seinerzeit Ernst Jandl mit seinen stanzen, eine Form variiert, ohne sich in den Reimzwang der Vorlage zu begeben. Doch entfaltet er einen unheimlichen Reichtum an Assonanzen, komponierten Klängen. Und bringt auf kleinstem Raum Kurzzitate aus Märchen und Mythologien unter. Aber sie sind nicht als Rätsel unter den Gedichten verstreut, die es zu entziffern gilt. Egger versichert, "dass in meinen Gedichten nichts zwischen den Zeilen steht. Da ist alles in den Wörtern. Das ist anders als etwa in der Zeitung: Da muss man lernen, zwischen den Zeilen zu lesen. Ich brauch das nicht, weil ich diese Mitteilungen nicht habe, und da ist man gut beraten, wenn man in der Zeile bleibt und in den Wörtern, denn da steht alles."

Aber Oswald Egger warnt davor, sich so auf Gedichte einzulassen, denn es ist wie mit dem Schwimmen und Radfahren: "Wenn man Radfahren gelernt hat, dann kann man nie mehr nicht Radfahren. Und wenn man Gedichte lesen gelernt hat, dann kann man es nie wieder nicht. Darum soll man sich gut überlegen, ob man Gedichte lesen will, denn das verändert das ganze zukünftige Leben."

NIHILUM ALBUM

Lieder & Gedichte. Von Oswald Egger

Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2007. 152 S. mit CD, geb., € 23,50

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