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AUS GEHEIMNISVOLLEN QUELLEN

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Hermann Grab, einer der Jüngsten und Letzten des „Prager Kreises“ — 1949 in New York 46jährig gestorben —, entstammte einer reichen Prager Industriellenfamilie, die zur Zeit, als Böhmen noch zu Österreich gehörte, von Kaiser Franz Joseph mit dem Prädikat „Ritter von Hermannswörth“ geadelt worden war: er wuchs ganz im Stile eines jungen Adeligen jener Epoche auf, mit vornehmsten Sitten, in idealer Hinwendung zur Musik und zur Literatur, in deren Bereich der Pariser Marcel Proust, origineller Psychologe des französischen Romans, sein großes Vorbild geworden ist; den philosophischen Doktorgrad erwarb er 1927 mit einer Dissertation „Der Begriff des Rationalen in der Soziologie Max Webers — ein Beitrag zu den Problemen der philosophischen Grundlegung der Sozialwissenschaft“. Hermann Grab hatte sich bereits einen Namen als Musikpädagoge sowie als Konzert- und Opernkritiker von subtilstem Können gemacht, als 1935 im Zeitbild-Verlag Wien-Leipzig sein Roman „Der Stadtpark“ erschien.

Max Brod sagt in seinem Buch „Der Prager Kreis“ über Grabs „Stadtpark“: „Nur 110 Seiten. Aber was für Seiten! Man hat Grab mit Kafka, mit Proust verglichen. Die Wahrheit besagt ganz schlicht, daß er ein völlig Eigener ist — obwohl er selbstverständlich bei manchem Meister gelernt hat, was erlernbar ist. Aber die Hauptsache kommt — ich bin fast müde, dieses Selbstverständliche zu wiederholen — aus geheimnisvollen Quellen emporgeschossen, unbegreiflich, ewig entrückt, heilig. Grab weiß einem Teil unserer Erden-weit neue Bedeutung abzugewinnen, und zwar auf eine Art, die den rätselhaften Kern der Menschen und der wie Menschen lebenden Dinge sichtbar macht. A priori glaubt man, in die viele banale Literatur von eh und je verfangen, daß ein solcher Zugang zum Weltmittelpunkt gar nicht mehr möglich ist. Ist er dann im Werke eines Dichters gegeben, und zwar auf eine anscheinend leichte, rasche, selbstverständliche, durchaus nicht forcierte oder manierierte Art gegeben, wie dies eben in der Art der echten Kunst liegt, die aus dem Vollen — ex plenitudine — schafft: dann hat man plötzlich das beglückende Gefühl, daß es noch tausend andere solche neue Zugänge gibt, die auf die einfachste Art zu entdecken sind... man muß sich nicht einmal mehr anstrengen dabei, muß nur auf das einzig Wesentliche achten, dann ergibt sich das Neue unerschöpflich ganz von selbst. Diese Art der Betrachtung und Darstellung kommt bei Hermann Grab zur zartesten und nobelsten Wirkung.“

Im „Stadtpark“ — es handelt sich um den Park im einstigen Prager vornehmsten Viertel, an dessen Rand auch das Haus der Familie von Franz Werfel gestanden hat — gestaltet Hermann Grab Kindheitserinnerungen aus der Zeit des ersten Weltkriegs, da auch das Nobelquartier die Schatten von Armut und Elend der Außenwelt zu sehen bekommt. Ein 13- oder 14jähriger Knabe aus reichem Haus, der Hermann Grabs autobiographische Züge trägt, steht im Zentrum, Renate Martin: er geht im Stadtpark mit seiner englischen Gouvernante spazieren, erlebt eine Jugendliebe mit dem kleinen, dort ebenfalls mit einer englischen Gouvernante promenierenden Mädchen Marianne Gerard, dessen Mutter eine Frau ist, „von der man spricht“. Ein Mitschüler namens Felix wird zu Renatos Rivalen. Grab schildert mit unsagbarer Feinheit das große innere Erleben Renatos: wie seine Phantasie in der Vorstellungswelt vom englischen Königshaus umherschweift, weil die Gerard-Gouvemante einmal im Hause des Herzogs von Teck angestellt gewesen ist; wie die von Mama Gerard ausgehenden Gedankenassoziationen Renatos zu einer Verbindung von Größe mit ungeordneten finanziellen Verhältnissen führen; wie der Krieg in Renatos Denken Gestalt annimmt. „Mit einer ritterlichen Tat für den Rivalen, den er nicht einmal haßt“, schreibt Max Brod, „endet das beinahe ereignislose Buch, das aber mehr als irdisches Ereignis, das transzendente Wirklichkeit ist.“

Hermann Grab floh nach der Besetzung Prags durch Hitler im März 1939 und gelangte auf Umwegen nach den Vereinigten Staaten. Diese „Umwege“ gaben ihm Anlaß zu seiner zweitbedeutendsten Schöpfung, der Erzählung „Ruhe auf der Flucht“, welche T. W. Adorno 1949 mit einem hervorragenden Nachruf für den in jenem Jahr verstorbenen Hermann Grab in der „Neuen Rundschau“ veröffentlicht hat. „Ruhe auf der Flucht“ prägt die Atmosphäre der aus dem besetzten Frankreich nach Portugal geflohenen Emigranten, die auf ein Visum nach den Vereinigten Staaten warten, und die psychophysischen Wechselwirkungen, welche aus der dämonischen Allmacht des amerikanischen Konsuls in Lissabon erwachsen. Die Erzählung ist packendste Klage über menschliches Versagen, eine leidvolle Offenbarung. Sie ist auch in dem Band „Hochzeit in Brooklyn“ enthalten, sieben Erzählungen, erschienen 1957 im Bergland-Verlag, Wien. In der Zeitschrift „Das Silberboot“ wurde 1946 Grabs „Taxichauffeur“ gedruckt. Im Nachlaß, den Hermann Grabs Bruder Leo betreut, findet sich ein Romankapitel aus der Prager Zeit, etwa 38 Seiten umfassend, ebenso musikpädagogische und musikhistorische Vorträge und Artikel, zum Teil aus Prag, zum Teil in New York entstanden. Max Brod äußert sich noch begeistert über einen Essay von Grab, der 1934 in einem Sammelband zu Brods 50. Geburtstag „Dichter, Denker, Helfer'“ stand; er heißt „Die Schönheit häßlicher Bilder“ und befaßt sich mit einer 1913 erschienenen Studie „über die Schönheit häßlicher Bilder“ von Max Brod. Hinweise auf Hermann Grab stammen in den letzten Jahren noch von R. Schönwiese in „Wort in der Zeit“ (Mai 1958); Josef Strelka in „Brücke zu vielen Ufern“, Europa-Verlag, Wien-Frankfurt-Zürich, 1966; H. G. Adler in „Franz Baer-mann Steiner, Eroberunge^“, Lambert-Schneider-Verlag, Heidelberg, 1964; Peter Härtung in „Vergessene Bücher“, Goverts-Verlag, Stuttgart, 1966.

„Man“ kannte in Prag „die Grabs“' und so kannte auch ich Hermann Grab schon von früher Jugend an „vom Sehen“, ohne mit ihm je ein Wort gewechselt zu haben. Ein unvergeßliches Erinnerungsbild: wir erschienen — gleichen Jahrgangs und gleichen Familiennamens-Anfangsbuchstabens — an einem gleichen Tag des Jahres 1924 zu gleicher Stunde zur „Assentierung“ für den tschechoslowakischen Militärdienst im Rekrutenmusterungslokai auf einer Moldauinsel — wobei Hermann Grab von einem Diener begleitet auftrat. In den Jahren 1932 bis 1938, da ich verantwortlicher Redakteur des „Prager Montagsblatt“ war und Hermann Grab dessen Musik- und Opernkritiker, kamen wir einander beruflich nahe. Grab war kein leichter Mitarbeiter: sein Dienst am Wort, das er sich jedesmal mit höchstem Verantwortungsgefühl abrang, wenn er eine Besprechung niederschrieb, stieß immer wieder mit den Postulaten des Zeitungsnachtdienstes zusammen, der notwendigen Raschheit, der allfälligen Kürzung, der Pein der Druckfehler. Seine menschliche Noblesse kam in der Tadellosigkeit und Soigniertheit seines Äußeren trefflich zum Ausdruck: die blauen Augen seines schnurrbartgezierten Blondkopfes waren Musterbeispiele wohlerzogener Bescheidenheit und grundsätzlicher Rücksichtnahme auf den andern — einer Rücksichtnahme, die freilich dann aufhörte, wenn es um geistige Werte ging, als die er seine Beiträge mit vollem künstlerischen Bewußtsein auffaßte und aufgefaßt wissen wollte. Ein Besuch in der Prachtvilla seiner Familie, in der sich die ganze Wohn- und Lebenskultur der altösterreichischen Gesellschaft widerspiegelte, hat mir seinerzeit echte und große Freude bereitet. Nach dem Krieg kam ich von der Schweiz aus mit Hermann Grab wieder in Kontakt: er schrieb aus New York, Klavierlehrer, mit einer belgischen Musikerin verheiratet. Die nächste Botschaft war die Todesnachricht.

Aus der literarischen Welt

• Als Delegierte des österreichischen Pen-Clubs hat die Dichterin Martha Hofmann Österreich auf dem internationalen Pen-Club-Kongreß in New York vertreten und dort eine vielbeachtete Lesung aus eigenen Werken gehalten.

• Die französische Akademie hat ihren mit 20.000 Francs ausgestatteten großen Literaturpreis an den 75 Jahre alten Journalisten und Schriftsteller Emmanuel Berl verliehen, der zahlreiche schöngeistige, politische und historische Werke und Essays geschrieben hat.

• Der Berliner Ullstein-Verlag beging den 90. Jahrestag seiner Gründung. Seit 1960 gehört der Verlag jedoch mit Aktienmehrheit dem Hamburger Verlagshaus Axel Springer an.

• Nelly Sachs, Nobelpreisträgerin für Literatur, erhielt vom deutschen Kulturattache in Stockholm die Ehrenbürgerschaftsurkunde der Stadt Berlin überreicht.

• Die Werke von Mao Tse-tung stehen auf der französischen Bestsellerliste 1966 an dritter Stelle. Den ersten Platz nimmt alljährlich wie immer der Goncourt-Preisträger ein, diesmal Edmonde Charles Roux mit „Oublier Palerme“.

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