Aus Gerichtsakten geschöpft

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Das Leben einer Schweizer Frau im 18. Jahrhundert formt Margrit Schriber zu einem interessanten Roman.

Gerichtsakten sind die sachliche Quelle, aus der die Schweizer Schriftstellerin Margit Schriber für ihren vierten Roman schöpft und ein berührendes Frauenporträt erschafft:

Eine Frau wird in Schwyz 1724 zum Tod durch den Strang verurteilt, die Protokolle, fein säuberlich geführt, verraten viel über das Reglement, die unüberbrückbaren sozialen Grenzen der Kantone, die sich gern europaweit als freie Länder verstanden und präsentierten. Zu dem Zeitpunkt ist Anna 19 Jahre alt, eine Waise, die sich schon in den Jahren zuvor kleiner Diebereien, vor allem aber einer ungewöhnlichen Unangepasstheit schuldig gemacht hat.

Als Kind vergattert, Wäscherin zu werden, Freiwild für den Herrn und aller Rechte enthoben, läuft sie mehrmals weg. Sie ist neugierig und versucht, an die wenig ältere Tochter des Landvogts heranzukommen, durch Beobachtung und Nachahmung die Grenzen ihres Standes zu sprengen.

Natürlich wird ihr übel genommen, was bei bürgerlichem und adeligem Nachwuchs als Lerneifer und Aufmerksamkeit gefördert wird. Denn Anna will mehr, als man ihr zugesteht, und sie weiß, dass die Enge von Schwyz nicht nur hinderlich ist, sondern tödlich sein kann. Also reißt sie aus, schlägt sich stehlend durch, flieht über die Berge Richtung Frankreich.

"Es muss etwas geben, das unseren Schriftzug trägt, sonst müssen wir uns am Ende der Tage fragen, …wozu es uns gegeben hat. Oder gar, ob es uns überhaupt je gegeben hat", sagt Magnus, der Chinareisende, ein Aufschneider wie Anna, dem sie unterwegs am Rande eines Schlachtfelds begegnet.

Sie muss eine begnadete Schauspielerin gewesen sein, denn man nimmt ihr die in Not geratene Tochter einflussreicher Schweizer Bankiers ab, man überhört die Widersprüche, päppelt sie auf, kleidet sie ein, verwöhnt sie. Der Name des einflussreichen Barons und Richters Reding, den sie skrupellos als Vater angibt, ist pures Geld wert. Sie schafft es fast bis nach Versailles, bevor der Schwindel auffliegt und sie auf dem Schinderkarren zurückgebracht wird.

Zu ihrem "Glück" existiert noch das Gesetz, das - nach der Auspeitschung - Gnade vorsieht, wenn ein Mann die Verurteilte vom Weg zum Galgen weg heiratet, die Verantwortung für ihr weiteres Leben übernimmt. Nichts anderes als Schacherei, aber noch werden Waisen und Frauen als Besitz angesehen. Anna wird ins Leben zurück geheiratet.

Margit Schriber, mehrfach bereits ausgezeichnet, hat eine sensibel feine Stimme gefunden, um die Geschichte zu erzählen, ohne jemals in die oft bemühten Klischees des historischen Genres abzugleiten. Mit Witz und Schärfe porträtiert sie das Provinzielle des Schweizer Barocks, spielt perfekt mit Möglichkeitsformen und gestaltet eine Randfigur politischer Archive zu einer ermutigenden Frauengestalt, revoltierend, Recht einfordernd als Analphabetin, träumend von blühenden Gärten der Freiheit.

Die falsche Herrin

Roman von Margrit Schriber

Verlag Nagel & Kimche, Zürich 2008

139 Seiten, geb., € 18,40

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