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„Aus lauter Stücken purer Armut”

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Sie nimmt einen Fußweg von 60 Kilometern auf sich, sie will ihrer Lehrerin ein Geschenk machen, es ist ihre erste Geschichte. Doch als sie ankommt wird sie enttäuscht. „Die Schöne im Mohnkleid”, so auch der Titel des Bandes von Christine Lavant, die Lehrerin, schenkt ihr ein typisches Mädchenbuch und steckt ihre Geschichte weg, mit dem Vorwand, sie irgendwann zu lesen. All dies mag vielleicht als Metapher für die Briefe verstanden werden, die die Kärntner Lyrikerin Christine Lavant am'22. und am 24. Juni 1948 zu Beginn ihrer Freundschaft mit Ingeborg Teuffenbach an diese geschrieben hat.

Armut ist nichts, vor dem man Ekel oder etwa Furcht empfinden müßte. Dies will Lavant ihrer Adressatin vermitteln, denn sie selbst beschreibt sich als jemand, der„aus lauter Stücken purer Armut” besteht. Ihre Briefe sind jedoch keine von einer Dichterin an eine andere, sondern muten als Erzählung einer Dichterin für eine Frau aus einer anderen Schicht an, einer Frau, „deren Leben auch an jenen Grenzen verläuft, die mit der dunklen aber verführerischen Markierung der Gefahr versehen sind”.

In der Tat verlief Teuffenbachs Leben an einer gefährlichen Grenze, denn sie war der Verführung der Nazis erlegen. Unter ihren Gedichten finden sich Huldigungen an Adolf Hitler. Vielleicht ist auch das der Grund, weshalb Lavant sich auf die Frau, auf „die Schöne” bei ihrer Anrede beschränkt und die Dichterin Teuffenbach unerwähnt läßt. Vielleicht sollten ihre Briefe aus der Armut dieser Frau eine Welt eröffnen, in der man keiner braunen Kraftspende bedurft hat, sondern kraft der Familie die Armut ertragen hat.

Doch Lavant will keine Belehrungen erteilen, sondern ein Geschenk anbieten, das die Adressatin so nehmen soll „wie man von Kindern zu Geburtstagen ... die ersten naiven

Zeichenblätter entgegennimmt, auf denen mit billigem Farbstift ein Herz oder eine Blume gemalt ist”.

Geschickt wendet Lavant die Taktik der bescheidenen Briefschreiberin an, die ihr Gegenüber zwar ob ihrer Äußerlichkeiten und ihrer offensichtlichen Besserstellung beneiden könnte, es aber nicht tut: „.ich weiß nicht, ob es in deinen kultivierten Kreisen vorkommt, daß Kinder so schenken ... kannst du es dir wenigstens ausdenken, daß Kinder solches wie Könige verschenken, mit Ernst und Würde und dem Gefühl, etwas ganz Großartiges aus der Hand gegeben zu haben”. Etwas ganz Großartiges hat indes Christine Lavant aus der Hand gegeben, nämlich die Geschichte ihrer Kindheit. Teuffenbach, so die Herausgeberin Annette Steinsiek in ihrem Nachwort, hat Auszüge daraus für ihr Buch über die Kärntner Lyrikerin ohne Quellenangabe verwendet.

Doch Lavant erzählt nicht nur, son -dern zeichnet auch ein Porträt von Ingeborg Teuffenbach, das die Dichterin nicht zeigt und die Na(r)zissin zwar nicht zu kennen scheint, aber die Veranstalterin der Jugendkulturwochen in Innsbruck als eine „Schöne Frau”zeigt, die Angst vor der Armut hat.

Lavants Selbstdarstellung weist dagegen viele verschiedene Facetten auf: das kranke Kind, die von allen umhätschelte Schwester, die Schwache, die Zerbrechliche, die kranke Schülerin, die niemand will, obwohl sie von ihrer Familie für den ersten Schul tag so fein zurecht gemacht worden ist und schließlich die werdende Schriftstellerin, die einen „Guist” hat, mit dem sie ihre Gedichte und Geschichten schreibt. „Man ließ mich halbe Tage lang mit dem Schemel auf der Wäschekiste sitzen, um so auf dem Fensterbrett, dem einzig noch freien Platz, schreiben und schreiben zu können.”

So hat Lavant allerhand in ihrem zweiten Brief an Ingeborg Teuffenbach zu erzählen. In einem auf den ersten Blick naiv anmutendem Erzählton verpackt sie Geschichten aus ihrer Kinder- und Schulzeit. Wie sie ihre Schwester Luzie einmal zu einem Haus wohlhabender Bürger begleitet und auf dem Heimweg nicht mehr gehen kann. Oder die Geschichte von Martina mit den verkrüppelten Händen, deren Operation im ganzen Dorf für Aufregung sorgte und über die bis ins Detail von der erfolglosen Behandlung berichtet wird. Oder die Geschichte von der armen Frau, die um etwas zum Anziehen bettelt und schließlich die einzige Geldnote, eine Zehnschillingnote, stiehlt, ihn aber dem Kind mit den „großen Augen” zurückgibt.

Eine der Stärken dieses Textes ist die direkte Sprache einer der wohl bedeutendsten österreichischen Lyrikerinnen. Sie sind das Zeugnis einer „unalltäglichen Persönlichkeit”.

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