6544971-1947_09_09.jpg
Digital In Arbeit

Aus Wiener Theatern

Werbung
Werbung
Werbung

Die „Insefl“ bringt nach Hebbels „Maria Magdalena“ von Alexander Dumas .Sohn „Kameliendame“ neu heraus. Beide Stücke haben dasselbe Geburtsdatum: 1848. ! Kein Zufall. Hebbel kritisiert das Bürgertum seiner nordischen Heimat, schwer, hart, ernst und ablehnend, Dumas die Pariser BourgedHie der oberen Tausend, leicht, sentimental, spielerisch und mit sichtlichem Behagen. Uns Heutigen ist weder die drakonische Logik des bürgerlichen Moralins Hebbels,cher Art, noch das tänzerische Springen zwischen bourgeoiser Moral und Unmoral bei Dumas verständlich: weder unsere Sitten noch unsere Sitten-losigkeit haben etwas zu tun mit den Tugenden der armen Heiligen der Halbwelt Marguerite Gautier, obwohl sie in „La Traviata“ so nett singt, und in der „Insel'' keineswegs so schlecht spielt, wie einig Kritiker vermeinten; und die Untugenden der reichen Pariser Herren von 1840 und 1890 (die Regie hat das Stück ins Fin de Steele transponiert) können in. all ihrem Egoismus, ihrer Brutalität' und Häßlichkeit kaum konkurrieren mit den Dämonien unseres Jahrhunderts. Was bleibt?'Eine durchaus nicht unbedeutende Studie zu einem Maquart-Strauß: Kerzenschimmer zu falschen Phrasen, künstliche Blumen und Pfauenfedern rhetorischer Sentimentalität.. Vor allem: Staub; auf der Kommode, auf den Bildern, auf den Gesichtern. In der gegenwärtigen in Wien gezeigtjen großen französischen Kunstaus- * Stellung ist ein Bild von Max Ernst zu sehen. „Sie sind zu lange im Wald gewesen“, lautet sein Titel: Menschen, die zu morsch-düsteren Baumstrünken verknorrt, teilweise auch schon verkohlt, verascht sind. Eine Warnung für unsere . Theaterdirektoren. Es tut nicht not, die Mottenkiste des 19. Jahrhunderts gerade jetzt zu lüften. Die Lüft unseres Zeitalters ist noch reichlich geschwängert mit den giftigen Bakterien der jüngsten Vergangenheit. Sollen Puder und Staub derselben die einzige Arznei sein, welche das Theater der Gegenwart zu mittein weiß?

Einen anderen Weg zur „Belebung“ alter Stoffe schlug W i 1 h e'l m Heim als Autor und Schauspieler in seiner Bearbeitung der Kleistschen Novelle „Die Marquise-v o n ein, die er als Komödie im Konzerthaus zur Aufführung brachte. Seine Bühnenbearbeitung ist nidit ohne Geschick, sie will dem 'Theater geben, was des Theaters ist: Affekte und Effekte, laute und leise Szenen und Szenerien, ein bißchen Tränen (aber nicht zu viel — es wird ja Komödie gespielt!) und Lachen. Ob er aber Kleist gibt, was Kleistens ist, das ist eine andere Frage. Wir sahen vor kurzem Kaisers „“Oktobertag“, der dasselbe Motiv: in seine Dialektik übersetzt. Hinter beiden Stücken steht noch Kleist, bei Kaiser als ein großer Schatten, bei Heim als ein burleskes Gespenst: Kleist? Noch Kleist?

In eine andere Welt laden die S t e p h a n s-spieler ein. Sie bringen in einer Aufführung zwei Spiele von Rudolf Henz. „Ananias und Saphir a“ zeigt die aus der Apostelgeschichte bekannte Episode aus dem Wirken des heiligen Petrus als Tragödie der Bürgerlichkeit: Ananias und Saphi/a waren • mit all 'ihren Schwächen zeitlebens gute Bürger, in ihrer Stube schmeckt es nur so nach Bürgerlichkeit, wie djer alte Zacharias zufrieden feststellt. Mußten sie all ihr Hab und Gut verkaufen und den Aposteln als Geschenk darbringen? Nein. Mußten sie sterben, weil sie etwas vom Erlös für sich behielten? Das wohlmeinende Publikum aller Zeiten rieigt dazu, auch diese Frage mit Nein zu beantworten und entlarvt sich damit selbst als Glied am ewigen Leib der Ananias und Saphira. Die Lehre des Stückes ist noch zeitnah genug: wir können uns bei Gott nicht einkaufen. Wer sich bei ihm sichern will, scheitert entsetzlich: Tragödie jeder zur bürgerlichen Konfession erstarrten

Religiosität.

I'

Das zweite Stück des Abends, das „W ächterspie 1“, ist die Legende von drei „verwahrlosten Jugendlichen“ nach dem ersten oder zweiten Weltkrieg, die ia der Osternacht einen „Pfaffen“ umlegen, weil sie Geld, Gold bei ihm vermuten. Der tote Pfaffe trug aber „nur“ den Leib des Herrn bei sich, da er auf einem Versehgang war. Im Lauf der Nacht, der Osternacht, vollzieht sich nun die große Wandlung, die Verwandlung des Kosmos: der tote Pfaffe wird den Jungen zum Priester, Blech und Hostienbrot zu Grab und Leib des Auferstandenen, sie selbst werden wieder Menschen: und dies heißt Sünder, welche sich als solche begreifen im Glauben an die Gnade, an die Erlösung. Als es dämmert, sehen die Verwandelten sich um in der noch halbnachtdunklen Welt: da ist ein Schlehdornstrauch lichtlodernd erblüht.

Dieser Schlehdornstrauch könnte als , Symbol über der am Tage nach der Premiere. dieses Stücks folgenden Autorenlesung Jul. Erich Hofbauers „Eine 1 y r i,s c h e Symphonie“ hängen. Dem Dichter geht es um eine Erneuerung der Lyrik. „Lieder im Volkston“ könnten viele seiner Gedichte heißen, die er, an sich eine Auswahl aus vielen Jahren des Schaffens, zu einer Symphonie von vier Sätzen vereinigt hat:. Grave, Andante Majestoso, Adagio und Scherzo: Ein Gang durch die Bitternisse des Lebens ans Licht eines neuen Tages, der Schmerz und Süßigkeit in einem Becher annehmen will, da ihn jener reicht, der ihn zuerst bis zur Neige getrunken hat. Hofbauer ist stark, wo er die kleinen Dinge rühmt, schwach, wo er „große“, „abstrakte“ Themen berührt. Nun ist der Sang von der Größe der kleinen Dinge seit Stifter Vorrede zu den „Bunten Steinen“ als bestes österreichisches Singmotiv erkannt. Warum also „Barock“? Die Fassaden der Wiener Barockpaläste haben am meisten gellitten im Sturm dieser Zeit.

Dann also: der Schkhdornstrauch.

Es ist noch junges und altes Volk im Land, das singen und sagen will, was ein offenes Herz zu geben weiß.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung