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Auseinandersetzung mit Reinhold Schneider

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Verhüllter Tag. Von Reinhold Schneider. Verlag Jakob Hegner, Köln. Preis 12.30 DM.

„Eine gewisse Erbschaft an Spaltung, Düsternis, ein Zug hinab, wenn nicht in den Orkus, so doch in das dunkle Reich solcher Last — mögen sie nun heidnisch sein oder nur deutsch — können nicht geleugnet werden; die Frage ist und bleibt, ob ihnen ein Wort abgerungen, ob auch in ihnen ein Auftrag gesehen werden kann.“

„Ohne einen Blick in den Abgrund der Verzweiflung ist das Zeitalter nicht zu verstehen.“

Diese Worte des Bekenntnisses, zum eigenen Geschick, zur eigenen Natur, und durch ihren. Spiegel hindurch, zur Tragödie der Zeit, stehen im Vorwort dieser „Betrachtungen über einige wesentliche Momente meines Lebens“, wie diese Autobiographie zu nennen ist. Reinhold Schneider, neben Theodor Haecker die wachste und reinste Erscheinung christlicher Publizistik im neueren Deutschland, ist sich sehr klar darüber, daß der Christ, wenn er nicht sehr naiv, unbekümmert und ohne eigentlichen Tiefgang ist, eine Selbstbiographie nie zu schreiben vermag. Die Abgründe des eigenen Ich können an einem einzigen Ort offen dargelegt werden: im Beichtstuhl, vielleicht noch im Gespräch mit einem geliebten Du. — Haecker ist kurz vor Kriegsende gestorben, es blieb ihm erspart, die Lüge unserer Zeit, des zweiten Wilhelminum, des Neon-Biedermeier, wie es genannt wurde, zu enthüllen. Ohne Zweifel hätte er es mit derselben Nüchternheit getan, wie vor dem Beginn des ersten Weltkrieges, damals, als er prophetisch äußerte: im kommenden Krieg werden die Deutschen ihren Westen verlieren, im darauffolgenden Krieg werden sie den deutschen Osten abgeben müssen. — Reinhold Schneider überlebte und harrte aus. Dieser Mann christlicher Resistance trägt, in großem Leiden und mit jener Würde, die Theodor Heuss bei der Verleihung des Pour le Merrte für Friedensmut ausgesprochen hat, sein widriges Geschick: das jenes eines Ucberlebenden ist. Es gibt zwei Formen des Ueberlebcns, beide können tragisch genug sein: das Ueberleben eines Menschen, der in der Stunde der Bewährung versagt hat. Und sich nun durchschleppt durch die sinkenden Jahre. Als Literat, Schauspieler, Politiker. Das Ueberleben zum anderen, eines Mannes, der in der Stunde der Bewährung große Gesichte gesehen hat. Der randvoll, ja übervoll ist von ihnen, und der sich nun findet im Sande der Nachzeit, im Schutt und Geröll, auf der Sandbank der Restauration, einsam zutiefst, obwohl von allen Seiten Schakale he-indrängen, kleine Hungrige, und größere Lärmmacher, öffentliche Herumsteher. Die Reimschmiede und Phrasendrescher. Die Lügner.

Der „verhüllte Tag“ ist ein einzigartiges Bemühen, vom eigenen Ich ohne Lüge zu sprechen. Das allein hebt ihn in seiner unvergeßlichen Keuschheit, bereits sternhoch hinaus über andere Biographien, Berichte vom eigenen Leben, die selbst in der Feder von achtbaren Poeten zu einer Milch der Eitelkeit gerinnen. Des offenbaren Selbstlobes im Gewand der Bescheidung, ja selbst der Demut. Unvergeßlich bleibt, wie Reinhold Schneider letzte Brüchigkeiten, Versuchungen und Schwierigkeiten in seiner Atomstruktur andeutet, ohne sie und sich zu prostituieren. Ein Selbstmordversuch in verzweifelnder Jugend ..., ein Schwanken unter dem Flügelschlag der gräßlichen Vögel der Ucbermacht. — Wer wirklich nichts wissen sollte von dem Druck des Bösen gerade auch auf den reinsten Kern, auf die Versuchungen im Dunstkreis totalitärer politischer Gebilde, soll dieses Werk lesen. — Wer das Innere Reich, das innere Deutschland, verstehen Avill, mit seiner geheimen Größe und seiner offenbaren Schwäche, wird hier • ein Document humain ersten Ranges finden.

Reinhold Schneider. Sein Weg und sein Werk. Von Hans Urs von Balthasar. Verlag jakob Hegner, Köln. 262 Seiten.

„Die Wahrheit, die Sie verkünden, hat Geltung nur für den, der sie im Gebet hört; er muß. um sie zu verstehen, eist wieder beten lernen.“ Hans Urs von Balthasar sagt hier in seinem, mit großer Zartheit empfundenen Brief an den Dichter und Bekenner Reinhold Schneider das an. was viele Menschen zurückhält, sich mit seinem Werk zu befassen, andere sogar abstößt, und wieder andere, die große Gemeinde der Freunde, anzieht. Schneiders Werke und Visionen behandeln Kraftfelder und Gewichte, die es für viele Menschen heute gar nicht gibt: die unwegsamen Mächte der Schuld und Gnade, der Sünde und des Heiles. Auch für viele Christen sind das nur intim-individuelle Bezüge, die im harten Tag kaum eine Rolle spielen. Für unseren Autor aber sind sie die entscheidungsschweren Komponenten, in denen die Geschicke der Völker und der Einzelnen geformt und entschieden werden. Der junge, dreiundzwanzigjährige, tief einsame Mensch hatte die Ueberzeugung gewonnen, die heute endlich das Gemeingut ernster Freunde des Menschen und des Abendlandes zu werden beginnt: „Daß es so auf keinen Fall weitergeht.“ Schneider flieht nun nicht in sich hinein, in den Abgrund der eigenen Brust, sondern strebt darnach, instinktiv, getrieben von einem höheren Sinn, sich in der Erfahrung Europas darüber klar zu werden, wie das alles geworden ist, was heute so fürchterlich offenbar wurde für den Sehenden. Portugal, Spanien, Preußen, England, Rußland. Deutschland (Balthasar widmet dieser spirituellen Weltreise Schneiders durch Europa zu sich selbst wunderschöne Kapitel) werden als innere Schlachtfelder ersehen, auf denen, in den konkreten geschichtlichen Entscheidungen jeweils einer Person, einer Stunde, einer Nation, Heil und Unheil gewirkt werden, die viele Generationen hindurch sich ausfalten, in Leben und Tod. Schneider selbst, der irgendwie von einem nachlutherischen deutsch-protestantischen Pantragismus innerlich herkommt, erlebt zum ersten Male in seiner Konfrontation mit England das Wesen der Geschichte, wie er sie originär christlich versteht: als Scheitern des Menschen in konkreter geschichtlicher Entscheidung, die Fehlentscheidung, Fehlleistung angesichts des Absoluten, der Forderung Gottes und zugleich Ansatzpunkt für unübersehbare Begnadungen ist Dieses Erlebnis macht es ihm unmöglich, in die bei deutschen Dichtern und Denkern so beliebten Allgemeinheiten zu fliehen. Der Ruf Gottes trifft den Menschen hier und heute. In der geschichtlichen Stunde Deutschlands 1933, 1945, 1950... Das aber bedeutet für den Dichter und Geschichtsdenker, daß er zum Bekenner werden muß. Was konkret gesprochen heißt: er muß sich einer Kettenreaktion von Konflikten aussetzen, da seine Zeitgenossen die Schuld in der Zeit nicht sehen und nicht annehmen wollen und sich so den Zugang zur Begnadung versperren.

Wird dergestalt der Dichter bereits zum Kritiker an seiner Zeit, weil er ihre Vorbereitung in der Geschichte der Nationen sieht, so wird er in einer noch tieferen Schicht zum Seher der Geschicke der Kirche,die ja ganz hineingezogen ist in diese Verflechtung von Verschuldung und Begnadung.

Balthasar zeigt in zwei Kapiteln („Rouen: die Heiligkeit“ und „Rom: der Dienst“) auf, wie Schneider um die Erfahrung der Ganzen Kirche, also der heiligen römischen Kirche, die zugleich die geschichtliche, in alle Zeitnot und Zeitschuld verhaftete Gemeinschaft der Menschen ist, ringt. Heiligkeit i n der Kirche, und Dienst i n der Kirche, das Kreuz i n der Kirche, und das Kreuz über der Kirche werden sichtbar im Kampf um Macht und in der Liebung rechter Autorität.

Das Schlußkapitel („Marienburg: die Ritterschaft“) weist auf eine neue Möglichkeit hin, dem Ernst unserer Weltstunde gewachsen zu sein: eine neue Ritterschaft, in der „innigsten Begegnung zwischen dem weltverantwortenden Ordensmann und dem aus cem Geist des Verzichts den Staat und die Kultur vei waltenden Weltmann“, kann aus der Engpaßlage der Vergangenheit herausführen; wohl neuen Kämpfen zu. — Balthasars Einführung in das Werk Reinhold Schneiders widerlegt den Vorwurf, der gegen diesen unbequemen Mahner oft ausgesprochen wurde: hier rede ein „reiner Spiritualist“, der der „Wirklichkeit“ der Welt, der Macht und der Politik nicht gerecht werde. Das Gegenteil ist wahr: hier spricht ein Mensch, dei die harte geschichtliche Realität unseres Erdenlebens so ernst nimmt, daß ihm weder die Flucht in die „christliche“ Phrase noch in die ebenso kurzatmige Aktion verstattet ist. — In der gegenwärtigen restaurativen Zwischenzeit erhält so Schneiders Werk einen neuen starken Gegenwarts-akrent. Vielleicht haben dies soeben die deutschen Buchhändler erkannt, als sie sich entschlossen, ihm den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels zu verleihen. . — r . , . ,

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