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Ausstellung verschollener und unbekannter junger Kunst

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Als vor fünfzehn Jahren in der „Neuen Galerie“ die Wiener Kunstfreunde zum ersten Male mit dem künstlerischen Schaffen Richard G e r s 11 s bekannt gemacht wurden, da bildete diese Ausstellung eine der größten künstlerischen Sensationen, die Wien im letzten halben Jahrhundert auf malerischem Gebiete zu verzeichnen hatte. Die starken Eindrücke, die man 1931 empfing, werden in der diesjährigen Ausstellung — leider sind einige der Bilder Gerstls den Kriegsereignissen zum Opfer gefallen — aufs nachhaltigste bestätigt. Dieser geniale Wiener Maler, der mit 24 Jahren seinem Leben ein Ende bereitete und in knapp vier Jahren eine Fülle bedeutsamer Kunstwerke schuf, war seit seinem Tode im Jahre 1908 vollständig in Vergessenheit geraten, nacndem er zu seinen Lebzeiten auf schärfsten Widerstand und schroffste Ablehnung gestoßen war, da seine Zeit für seine revolutionäre Kunst noch kein Verständnis aufbrachte.

Gerstl, ein Schüler Heinrich Leflers, knüpfte in formaler Hinsicht an Klimt an, kam jedoch sehr bald von dieser Richtung ab. Er war der Kunst seiner Zeit weit voraus. Seine Arbeiten erinnern an den späten Lovis Corinth und den Kokoschka der zwanziger Jahre, an den Münch von 1908, ja unwillkürlich denkt man an Böckl in seinen Bemühungen um die Meisterung malerischer Probleme.

An Manet gemahnt das wundervolle Doppelbildnis zweier Schwestern. Von geradezu unheimlicher Lebendigkeit ist sein lachendes „Selbstbildnis“, das von dem Schauer nahenden Wahnsinns umwittert zu sein scheint, wie überhaupt das eigene Ich Gerstl immer und immer wieder zum Studium und zum künstlerischen Ausdruckgestalten zwingt. Bildnisse Zemlinskys sowie Arnold Schönbergs und seiner Familie führen in die musikalischen Kreise Wiens im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts, in denen der musikbegeisterte Gerstl mit Vorliebe verkehrte. Diese Musikalität spricht sich auch in seinen Landschaften aus, die, wie etwa die „Traun-seelandschaft“, von feinstem koloristischem Reiz und tiefer Stimmung erfüllt sind. Es ist dankenswert, daß die „Neue Galerie“ nunmehr zum zweitenmal den Versuch unternimmt, diese unbekannte Kunst der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.

Dieser Schau verschollener Kunst ist eine kleine Ausstellung junger steirischer Künstler angeschlossen, die aus der Malerklassse des Professors R. S z y s s k o-w i t z der staatlichen Meisterschule für angewandte Kunst in Graz hervorgegangen sind. Diese graphischen Blätter bringen eine sehr erfreuliche Überraschung, weil sie durchwegs groß in der Form der Gestaltung sind und dabei doch wieder starke Individualität verraten. Ein prächtiges Blatt von Elfie Petrasch, „Aufhorchender“, wundervoll in den Raum komponiert, rhythmisch beschwingt und bezwingend im Ausdruck, fällt besonders auf. Ein starke Begabung ist auch Werner Augustiner, in dessen „Totentanz“ die Not unserer Zeit packend gestaltet ist.

Eine ganz vorzügliche Leistung stellen die unerhört lebendigen „Tiere“ von M a r t i n z dar. Sehr interessant gestaltet Otto Brunner seine in rembrandteskes Halbdunkel gehüllten kompositionellen Graphiken, in denen sich Einzelheiten von meisterlicher Wirkung vorfinden. Nur besteht für diesen jungen Künstler die Gefahr, in eine gewisse Manieriertheit zu verfallen. Verschiedene Arbeiten von Edith Hammer, Hans W o 1 f und Hubert T u 11 n e r, dessen Graphiken sich dem Plakatstil nähern, sollen mit Anerkennung hervorgehoben werden. Jedenfalls wächst in der Steiermark eine Künstlerjugend heran, der es nicht an Talent fehlt, die aber überdies eine ausgezeichnete künstlerische Ausbildung erfahren hat. Man wird ihre weitere Entwicklung mit ganz besonderem Interesse verfolgen müssen.

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