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Austrophile und Anglophile

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Am 4. Mai, dem Vorabend des Staatsbesuchs von Königin Elizabeth und Prinz Philip zeigt“ das heimische Fernsehen eine Sendung über die historischen Beziehungen zwischen England und Österreich. Autor des einstündigen Farb-TV-Films ist der britische Journalist David Heringes, seit 1953 in Wien ansässig, wo er mit Baritontimbre in betont insularem Englisch täglich das „News Bulletin“ des ORF-Nachrichtendienstes für ausländische Gäste spricht. Der überzeugte Austrophile — sein Steckbrief: Vollbart, Brille und ein stillvergnügter Charme — sieht darin eine dankbare Mittlerrolle und läßt unter dem Union Jack wirksame Werbung für Rotweißrot segeln. Er bemüht sich, die Tristesse aktuellen Zeitgeschehens durch geschickt verpackte Informationen über österreichische Kultur und Eigenart aufzulockern. Sein einziger Kummer: „Um das ,News Bulletin' zu redigieren, muß ich immer sehr früh aufstehen, was uns Engländern gar nicht liegt.

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Am 4. Mai, dem Vorabend des Staatsbesuchs von Königin Elizabeth und Prinz Philip zeigt“ das heimische Fernsehen eine Sendung über die historischen Beziehungen zwischen England und Österreich. Autor des einstündigen Farb-TV-Films ist der britische Journalist David Heringes, seit 1953 in Wien ansässig, wo er mit Baritontimbre in betont insularem Englisch täglich das „News Bulletin“ des ORF-Nachrichtendienstes für ausländische Gäste spricht. Der überzeugte Austrophile — sein Steckbrief: Vollbart, Brille und ein stillvergnügter Charme — sieht darin eine dankbare Mittlerrolle und läßt unter dem Union Jack wirksame Werbung für Rotweißrot segeln. Er bemüht sich, die Tristesse aktuellen Zeitgeschehens durch geschickt verpackte Informationen über österreichische Kultur und Eigenart aufzulockern. Sein einziger Kummer: „Um das ,News Bulletin' zu redigieren, muß ich immer sehr früh aufstehen, was uns Engländern gar nicht liegt.

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Hermges, Jahrgang 1928, polyglotter Cambridge-Absolvent, als „Freelan-cer“, das heißt freiberuflicher Reporter, Korrespondent verschiedener Rundfunkstationen und Zeitungen des Commonwealth, folgte bei der thematischen Trassierung seines Film-Scripts allen erhalten und mehr noch allen halbverwehten Spuren, weit über den hier so populären König Richard Löwenherz zurück bis zu römischen Legionären, die aller Wahrscheinlichkeit aus Britannia rekrutiert wurden und eine „Besatzungstruppe“ für Nori-cum stellten. Besonders betont er, daß Sankt Koloman, „der erste britische Tourist in Österreich“, wie er ihn lächelnd nennt, lange Zeit in Niederösterreich als Landespatron verehrt wurde. Wer weiß das heute noch? Beim beharrlichen monatelangen Forschen und Stöbern förderte er vergessene Berichte über die Benediktinermönche von den nördlichen Inseln zutage. „Entgegen der lokalen Überlieferungen waren es ursprünglich größtenteils Iren und nur einige Schotten. In spätmittelalterlichen Chroniken wird ihnen allerdings großer Geiz vorgeworfen, und daraus könnte man wiederum auf ein Überwiegen der Schotten schließen.“

In einem Budapester Museum fand Hermges das Originalmodell des ersten Dampfschiffes, das mit kaiserlichem Privileg die Donau befuhr, es gehörte zwei Engländern. Weitere markante Punkte: die „Grand Tour“, die Bildungsreise des 18. Jahrhunderts, die junge Londoner aus guter Familie durch Tirol nach Italien führte und vor allem die wirtschaftlichen, kulturellen und sportlichen Kontakte während der Ära Franz Josephs. Ein typisches Beispiel: das Gaswerk, welches die Beleuchtung der Hofoper besorgte, war in britischem Besitz, wie auch andere neuartige kommunalpolitisch wichtige Institutionen. „Das Problem bestand für mich darin, zu entscheiden, was man ohne sachliche Einbuße weglassen konnte“, erklärt Hermges, die Hand auf einen hohen Stapel von Mappen legend. „Ich habe eine solche Fülle von Material gesammelt, daß es mit Leichtigkeit für noch zwei 60 Minuten-Filme reichen würde.“

Eine sehr ergiebige Entdeckung gelang in der Natiohalbibliothek. Von entlegenen Regalen holte Hermges die dreibändigen Lebenserinnerungen des britischen Diplomaten Sir Horace Rumbold, Geschäftsträger der Königin Viktoria in Wien. Sir Horace begeisterte sich für Nestroy, Fanny Elßler, Johann Strauß, Vater, und bezeugte großes Interesse am Bau der Ringstraße. In unserer Zeit fügten es der Zufall und das Foreign Office, daß der Enkel, Sir Anthony Rumbold, zum Botschafter in Wien ernannt wurde, vielleicht aus unbewußter Rücksicht auf die Familientradition, die ihn für diesen Posten prädestinierte.

Mein Gesprächspartner lenkt die Aufmerksamkeit auf die englischen Zeitungen, die einst hier erschienen: „Vienna Times“, „Vienna Herald“, „Vienna Chronicle“ und nach 1945 die „British Morning News“. — „Es ist sehr schade, daß niemand in Wien ein englisches Blatt finanzieren würde. Immerhin gibt es solche Presseorgahe in Genf, Athen, Rom, Frankfurt, ja sogar in Budapest.“ Die britischen „Enklaven“ in Wien sind in der „City“ und im 3. Bezirk konzentriert, wo sich die „Residence“ des Botschafters befindet, nicht weit von der anglikanischen „Christ Churoh“, die bereits 1877 gegründet wurde. Kaiser Franz Joseph genehmigte die Errichtung der Pfarre, doch nicht nur das: er beteiligte sich auch mit einem finanziellen Zuschuß am Bau. „Witfhout premises“, also ohne eigene Räumlichkeiten, besteht hingegen, mit politisch bedingter Unterbrechung, seit 1928 der Klub der britischen Kolonie. Die Mitglieder huldigen dem Golf spiel und schätzen ein gutes unverfälschtes englisches Beefsteak, daher auch der Name: „Beefsteak-Club“. Mit den internationalen Organisationen wie der UNIDO und der Atomenergiekommission kamen neue Anwärter. Die britische Staatsbürgerschaft ist nicht mehr strikte Voraussetzung für die Aufnahme in den Kreis der Steak-Genießer. Die Oxford-Diktion wurde um das Kolorit amerikanischen Akzents bereichert. Jeden Monat treffen sich die Eingeweihten im Hotel Sacher zu einem solennen Dinner. Die Hauptspeise? Dreimal dürfen Sie raten.

Nicht wenige Briten sind bereits seit Kriegsende Wahlwiener, darunter „one of the most charming ladies in Vienna“, Mrs. Betty Alexander. Als Offizier des Frauenhilfskorps organisierte sie die Englischen Leseräume in der britischen Besatzungszone, und mit unvermindertem Charme leitet sie, jeder Zoll ladylike, nun seit vielen Jahren den zentralen Leseraum auf dem Stephansplatz.

Diese Institution ist wohl dem Presse- und Informationsdienst der Botschaft angegliedert, wird aber auf rein kommerzieller Basis als Buch-und Zeitschriftenhandlung betrieben. Über geringe Besucherfrequenz konnte Mrs. Alexander nie klagen, fast zu jeder Stunde sind die Tische mit Zeitungslesern besetzt, die neueste Ausgabe der „Times“ ist immer „in Händen“, auch das große Sortiment an fachlichen und auf spezielle Themenkreise orientierten Publikationen bis zum nobel-idyllischen „Country Life“ findet reges Interesse.

Zwei vornehme Marmortafeln mit Inschrift in Goldlettern am Portal des ebenso vornehmen Hauses Freyung 1 zeigen an, daß man hier den „British Council“ findet, der die vielfältigen Aufgaben eines Kulturinstitutes wahrnimmt. Das Arbeitspensum reicht von Sprachkursen und Vorträgen über die Vermittlung von Stipendien — eine Reihe heute führender österreichischer Ärzte studierte zeitweise in England — bis zur Verwaltung des reichhaltigen Archivs audiovisueller Behelfe und der 30.000 Bände zählenden Leihbibliothek, die geradezu ein Treffpunkt des englisch lesenden Wiener Publikums wurde. Wer Auskünfte über Großbitannien und das britische Commonwealth braucht, und wären es die ausgefallensten Fragen, ist beim British Council an der richtigen Adresse. In einer Atmosphäre typisch englischer Ruhe und Gelassenheit werden präzise Informationen erteilt oder prompt beschafft, sei es nun, daß der Klient wissen will, ob in Malawi links gefahren wird, eine bestimmte Straße in einer englischen Stadt sucht oder ob er eine Liste britischer Gartenbaugesellschaften und einschlägiger Periodika benötigt. Das oberste Prinzip des British Council: „Frei und unabhängig von den politischen Erfordernissen des Augenblicks dem besseren Verständnis zwischen Großbritannien und anderen Ländern zu dienen.“

In der Himmelpfortgasse, schräg gegenüber dem Ronachergebäude,ist seit mehr als einem Jahr ein Expertenteam mit den Vorbereitungen für die „British Week“ beschäftigt, die im Oktober veranstaltet werden wird. In anderen Metropolen Europas und in Übersee wurde diese Verkaufskampagne großen, ja größten Stils unter den Auspizien des britischen Handelsministeriums bereits ein voller Erfolg. Eine siebentägige „freundliche Invasion“ — so der Slogan — als Multi-Show zu den Klängen von Dudelsäcken und Fanfaren der Gardekavallerie. Wobei gerade in Wien ein heikler Punkt zu beachten ist: nach den strikten Bestimmungen des Staatsvertrages dürften bei uns nicht einmal ausländische Militärmusiker aufmarschieren, immerhin sind sie Soldaten einer fremden Macht. Es ist jedoch zu hoffen, daß der Paragraph nicht zu streng ausgelegt wird, wenn stramme, smarte Gardisten für freundschaftliche Beziehungen und Qualitätswaren paradieren. Bobbies als Verkehrsregler und ein Londoner Bus, der die Strecke Stephansplatz— Westbahnhof befahren wird, sind zwei weitere der sieben geplanten Attraktionen. Glanzlichter abseits des kommerziellen Bereichs: ein Gastspiel des „Royal Ballet“ in der Staatsoper und Aufführungen von Shakespeares „Richard II.“ durch ein englisches Ensemble- im Volkstheater. „Das wird das bedeutsamste wirtschaftliche und kulturelle Ereignis sein, das jemals zwischen den beiden Ländern organisiert wurde“, erklärt S. John Peskett, O. B. E., der Leiter des Wiener British Week-Büros. Es kommt eben immer darauf an, in welcher Verpackung man die Dinge präsentiert, in diesem Fall ist es konkret der „g'schmackige“ kubische Warenkarton mit dem aufgedruckten Union Jade, patriotisch den Dienst am Kunden symbolisierend, als Signum der British Week.

Englischen Lebensstil in der richtigen pittoresken Verpackung zu bieten, dies unternimmt auch Trevor Whitchelo, ein umsichtiger junger Mann von jenseits des Kanals. In der Kärntnerstraße eröffnete er das erste englische Lokal Wiens, „The British Grenadier“, ein Name, der schon an sich Vorstellungen von Old England und Empire-Glanz heraufbeschwört. Und genau dieses Image strebt der tüchtige Mr. Whitchelo an. Er schuf ein Super-Pub für Anglophile und Touristen. Die ganz Zünftigen stehen natürlich an der Bar, wie es „drüben“ Brauch ist, und sehen versonnen dem uniformierten Steward zu, der aus dem roten Fäß-chen das bernsteinfarbene Bier ins Glas zischen läßt. Sanft wölkt duftender Rauch aus Dunhill-Pfeifen zwischen Wedgwood-Tellem und tief brauner Vertäfelung: Eiche aus England. Ehrensache!

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