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AUTOR, KRITIK, PUBLIKUM

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Ein Gespräch mit dem Dramatiker Fritz Hochwälder

MENNEL: Emil Staiger gab auf die Frage nach der zeitgenössischen deutschsprachigen Dramatik die lapidare Antwort: Frisch und Dürreumatt, vielleicht noch einige weniger Bedeutende. Zu den „weniger Bedeutenden“ gehört immerhin noch Carl Zuckmayer, dessen Kurs seit „Kakadu und Kakada“ und „Die Uhr schlägt eins“ auf der Literaturbörse erheblich gesunken ist, und nicht zuletzt eine sonderbare Erscheinung, die den beiden Schweizer Starautoren unbedingt ebenbürtig ist und bislang hauptsächlich historische Dramen schrieb. Herr Hochwälder, fühlen Sie sich — fernab aller Moden und Betriebsamkeit — nicht etwas vereinsamt?

HOCHWÄLDER: Die Frage ist mir sehr willkommen. Für das Problem „Einsamkeit“ bin ich nämlich Spezialist. Meine Situation in wenigen Sätzen: Ich bin geborener Wiener, meine Theatereindrücke in frühester Jugend rührten vom Volkstheater her, hauptsächlich von Nestroy- und Raimund-Aufführungen. Ich habe dieses ganze Erbe in mir weiterentwickelt und weitergetragen, lebe seit annähernd einem Vierteljahrhundert in der Schweiz, die mir ein sehr willkommener Aufenthalt ist, auch was diesen Ausblick nach dem Westen anbelangt, die mir aber — bleiben wir bei der Dramatik und ihren Repräsentanten Frisch und Dürrenmatt — vollkommen fremd geblieben ist. Wenn ich es mit einem Paradoxon sagen daif: Mein autochthoner Sitzplatz oder Standpunkt ist der eines Mannes, der zwischen zwei Sesseln auf der Erde sitzt. Und das ist in meinem Fall ein durchaus begrüßenswerter und möglicher Standort. Ich kann nicht mehr mit einer Verprovinzialisierung mit, die in der Heimat durch alle möglichen Gründe: vor allem durch den Zusammenbruch. der Monarchie, der unser Literatur- und Theaterlebc-ri entscheidend getroffen hat, sich mehr und mehr ausbreitet. Denn wir Sind jä nach Osten gewandt gewesen. Die Städte, mit denen wir korrespondierten — auch auf kulturellem Gebiet —, waren nicht München und Paris, auch nicht Zürich, das waren Prag und Budapest. Dorthin wirkten wir, und von dorther blieben wir lebendig. Molnär etwa war ein Budapester Dramatiker, die Betonung liegt auch auf Dramatiker — denn heute schätzt man ihn als irgendeinen leicht versnobten Komödienschreiiber —, wobei man nicht vergessen darf, daß Molnär in seinen schwächsten Stücken noch immer stärker ist, auch literarisch stärker als die Autoren, dlie Sie. Herr Mennel, vorher genannt haben. Das werden wir aber kaum jemandem beibringen. Wie gesagt, diese auch durch die geschichtlichen Fakten verursachte Vereinsamung ist ein Ort, von dem aus man ruhig weiterwirken kann. • MENNEL: Ihre Erfolge, Herr Hochwälder, sind in Frankreich und anderen Ländern, auch in Österreich größer ah in Deutschland, Gewiß hat darauf die Kritik einen nicht geringen Einfluß.

HOCHWÄLDER: Ohne jemandem Unrecht zu tun, will ich ragen: Kritiker soll man nicht kritisieren. Denn das ist das einzige, was sie absolut nicht vertragen. Niemand ist gegen Kritik so' empfindlich wie Kritiker. Man läßt sie schreiben und schweigt dazu. Wir kennen ihre furchtbare, Macht. Sie bestimmt gemeinhin darüber, ob ein Stück durchgefallen ist oder nicht. Denn das Abendpublikum ist ein sehr vorübergehender Eindruck. Die Deutschen zum Beispiel sind Spezialisten dafür, ihre Dramatiker in einer Weise verkannt zu haben - ich spreche natürlich von der Vergangenheit —, wie sie in der ganzen Welt beispiellos ist. Aber das wird von den heutigen Dramatikern und Kritikern gar nicht bemerkt. Klarer Blick, nüchterne Erkenntnis und überhaupt Sinn für Dramatik, für eigentliche Bühne, für das Volkstümliche, für den HanswuTst schlechthin, das ist deutscher Art nie gelegen. Das sei Vorwurf gegen niemand, aber das hat bestimmte Quellen in der deutschen Theatergeschichte. Wir haben es mit einem ausgesprochenen Bildungstheater zu tun, besser noch mit dem urprotestantischen Theater, das, gegenüber dem Theater des Hanswursts von Anbeginn ein schlechtes Gewissen hatte. Theater ist in Deutschland überhaupt nur durch die Moral zu rechtfertigen, durch die Bildung, es muß wofür gut sein, damit das eigentlich Schlechte, das ja darin liegt, daß man sich amüsiert und von den Leidenschaften hinreißen läßt, kaschiert wird. Diese Entwicklung ist gerade das Gegenteil der Theaterentwicklung in den großen Zentren des Volkstheaters, vom ehisabethanischen London über das Madrid des Calderon und Lope de Vega, über Goldoni und, last not least, Wien, das ein wirkliches Volkstheater gekannt hat, in welchem sich neben dem Pöbel und dem Bürgertum der Hof und manchmal noch viel mehr amüsiert hat. Man kann nicht Unmögliches verlangen, man kann von der deutschen Kritik nicht verlangen, daß sie weiß, was ein Theaterstück ist.

MENNEL: Die Kritikermisere wird freilich auch in Österreich konstatiert. Das Ergebnis ist in Deutschland wie in Österreich gleich unbefriedigend. Die Arten, wie falsch geurteilt wird, dürften verschieden sein.

HOCHWÄLDER: Die Wiener Theaterkritik war immer bösartig, darin ist sie hinter der deutschen nie zurückgestanden. Bei einem Vergleich wird man von den schlechten Eigenschaften beider sprechen müssen, die guten sind da und dort entschwunden. Während die deutsche Theaterkritik literarisch ist — man hat immer das Gefühl, der Rezensent habe es versäumt, einen Professorensessel zu besetzen —, pflegt man in Wien die nicht immer geistreiche Kaffeehausplauderei als Rezension auszugeben Die Gefahr besteht darin, daß um einer guten Pointe des Kritikers willen die halbe Wahrheit oder ein ganzes Stück preisgegeben wird.

MENNEL: Und der „FallWeigel“?

HOCHWÄLDER: Der ist insofern interessant, als man hier im heutigen Wien einem Mann begegnet, der sich jene Funktion zugeordnet hat, die seinerzeit Karl Kraus hatte. Kraus ist heute ein großer Mann und war es schon, als ich ihn in der Tabaktrafik als Schundbüchlein erwarb. In dieser Aufmachung wurden seine ersten Publikationen nämlich verkauft. Damals war keine Rede von Kritikerehren und österreichischer Nationalfigur. Der „Fackel-Kraus“ war ein einsamer, verlachter, bei allen Kreisen gleichermaßen verhaßter Mann, von dem man nicht Notiz nahm. Sein Name wurde in einer normalen österreichischen Tageszeitung gar nicht gedruckt, was man von Weigel nicht sagen kann. Der wird wenigstens angegriffen und genannt. Aber unsere Zeit verträgt nicht einmal mehr einen harmlosen Außenseiter. Das ist ja auch das Zeichen der Kleinheit, daß man nicht angegriffen, sondern nur mehr gelobt werden will. Kritik ist etwas, das heute prinzipiell nicht vertragen wird. Das ist die eine Seite der Medaille. Um das Paradoxon vollständig zu machen, nenne ich die andere: Kritik ist etwas, das heute prinzipiell nicht mehr ausgeübt wird.

MENNEL: Zu einem gewissen Teil entscheidet ja gottlob immer auch noch das Publikum über Erfolg oder Mißerfolg eines Stückes. Sehen Sie, Herr Hochwälder, in Ihrem Fall eine Kluft zwischen Publikumsmeinung und Kritik, oder gehen die beiden konform?

HOCHWÄLDER: Stroux hat vor einigen Jahren in Düsseldorf als Jugendvorstellung, also um ein besseres Weihnachtsmärchen zu bieten, „Das heilige Experiment“ angesetzt. Wie es so schön heißt, „um zahlreichen Wünschen aus dem Publikum nachzukommen“, wurde das Stück in die Abendvorstellung übernommen und etwa vierzigmal gespielt. Die Kluft ist also vorhanden.

MENNEL: Diese Schwierigkeiten haben Sie aber nur in Deutschland?

HOCHWÄLDER: In Wien sind alle meine Stücke gegeben worden. Von Paris spricht man auch. In Australien, Südafrika, Skandinavien sind dann und wann Aufführungen. Grundsätzlich darf ich für mich etwas Positives feststellen, das mir den Ausblick in die Zukunft nicht so sehr produktionsmäßig, aber rein vom VitaTen erleichtert.' Meine besten Stücke sind in Deutschland gewissermaßen zur Uraufführung rioen frei, obwohl sie dort serienmäßig, fast bestsellerartig gespielt wurden. Vor zwei Jahren gehörte „Die Herberge“ zu den 20 meistaufgeführten Dramen in der Bundesrepublik, freilich war keine einzige der sogenannten hervorragenden Bühnen dabei. „Das heilige Experiment“ wurde in München vom Staatstheater und in Berlin vom Schillertheater gespielt. Eine Reprise käme also fast einer Uraufführung gleich.

MENNEL: Sie wurden in Österreich bisher gerne als Repräsentant des historischen Dramas genannt. Dieser Irrtum fand weite Verbreitung, vielleicht weil Ihr bisher bedeutendstes modernes Stück, das Mysterienspiel „Donnerstag“, nicht gerade oft...

HOCHWÄLDER:... überhaupt nicht nachgespielt wurde. „Donnerstag“ mußte mißverstanden werden, weil sich keine Analogie anbot. Die wenigen Raimund- und Nestroy-Stücke, die in Deutschland gespielt werden, lassen keinen Schluß zu auf die eigentliche Volkstheaterkonstruktion dieses modernen Mysterienspiels. Die Kritik behauptete, ich hätte die moderne Dramatik kopiert. Das Umgekehrte ist der Fall. Da müßte man als Fachmann Thornton Wilder fragen, der — ein moderner Dramatiker — das alte Wiener Volkstheater, die Zauberkomödde kopiert hat.

MENNEL: Ein, zfvei erfolgreiche Stücke machen einen Autoren zum Vertreter und Repräsentanten einer bestimmten, möglichst engbegrenzten Richtung. Jeder Umschwung oder jede Entwicklung — in Ihrem Fall vom historischen Drama zur gegenwärtigen Form des Theaters — wird nicht registriert oder mißverstanden, weil die Schematik der Literaturhistoriker dadurch revisionsbedürftig würde.

HOCHWÄLDER: Dabei war „Die Herberge“ schon nicht mehr historisch, sondern ohne Orts- und Zeitbestimmung. Dasselbe gilt für den „Unschuldigen“ und ganz besonders für „Donnerstag“. Diesen Weg — nämlich vom historischen Drama weg — gehe ich auch weiter, indem ich ein neues Stück schreibe, dem der Giovanni-Stoff zugrundeliegt, jedoch nicht in der herkömmlichen Form. Als Hauptfigur agiert der Prototyp des postnihilistischen Menschen, also des Menschen unserer eigentlichen Gegenwart. Das ist „1003“, daneben liegen noch halbfertig oder fertig die Stücke „Schicksalskomödie“, „Holokaus“, eine Erneuerung von Nestroys „Haus der Temperamente“ — unter einem völlig anderen Blickwinkel freilich —, und ein Zeitstück über die bekannte Kastner-Affäre.

MENNEL: Es stellt sich die Frage: Was bleibt dem Theater? Und hier sehen wir vielleicht eine Ursache der ganzen Misere zeitgenössischer Dramatik. Es ist wahrscheinlich nicht der Manr gel an Talenten, der das deutsche Drama vom Produktiven her so erschwert. Auch über Publikumsinteresse und finanzielle Mittel dürfen wir nicht klagen. Es liegt wahrscheinlich am Thema.

HOCHWÄLDER: Unbedingt Eine gute, dramaturgisch effektvolle Handlung ist noch kein Thema. Das ergäbe eine Milchmädchenrechnung der Dramaturgie. Wichtig ist, wofür ein junger Mann mit dramatischer Begabung aufsteht, sich zum Rednerpult begibt, das in unserem Fall eine Kasperlbühne ist, und wofür er lebende Figuren agieren läßt. Der Drang zum unbedingten, rücksichtslosen Aufzeigen der Situation muß vorhanden sein, die instinktive, traumwandlerische Sicherheit, den eigenen, subjektiv einzig richtigen Weg zu gehen. „Mit dem Kopf durch die Wand“ ist das einzige Erfolgsrezept. Kompromisse sind heute für den Begabten leichter zu schließen als zu allen Zeiten. Von links und rechts, oben und unten bieten sich ihm tausend Hände an. Und das Geld,.das jedee bieder Fleischer verdient, strömt ihm zu'; Der' echte“Erfolg'berrfesuHierfr aus einer eiseraen'Kn-sequenz und der Einhaltung des eigenen, ahrwren Wegesi j

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