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Avantgarde in Österreich

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DER SECHSTE SINN. Texte von Konrad Bayer. Herausgegeben von Gerbard Rühm. Rowohlt-Verlag, Reinbek bei Hamburg, 1966. 314 Seiten, DM 26.—. — TOD DURCH MUSEN — Poetische Texte. Von Friederike Mayröcker. Rowohlt-Verlag, Reinbek bei Hamburg, 1966. 199 Seiten. DM 20.—. — LAUT UND LUISE. Von Ernst J a n d 1. Walter-Verlag, Ölten und Frelbnrg Im Breisgau (Walter-Druck 12). 206 Seiten. sFr. 28.—.

Nachdem es in Österreich offiziei-lerseits keine Avantgarde gibt, man schon von jeher lieber feststellte, daß es sie gegeben hat, hat man sich auf Grund einer bestimmten Mentalität darauf geeinigt, das eigene Neue im Nachziehverfahren zu importieren. Wobei sein Import noch weniger bedauerlich ist als die Unbekümmertheit, mit der man an den quasi von vornherein verdächtigen Tendenzen der heutigen Literatur vorbeigeht — nach der Devise: „Nicht einmal ignorieren!“ Anderseits: dort, wo man diese befremdliche Nonchalance nicht an den Tag letgt, wo man Partei ergreift, kommt es meist ebenfalls zu keiner echten Auseinandersetzung. Einerseits fehlt der Maßstab, anderseits auch der Wille, einer mit Ächtung und Isolation ohnehin schwer kämpfenden Avantgarde mit wohlwollenden „Nörgeleien“ in den Rücken zu fallen. Eine verständliche Haltung. Keine Lösung. Denn schließlich entstehen nur Fronten, wo es notwendig der Diskussion bedarf.

Dieses Problem stellt sich wieder einmal angesichts dreier mehr als interessanter Neuerscheinungen. Die Autoren heißen Konrad Bayer, Friederike Mayröcker und Ernst Jandl. Alle drei repräsentieren einen nicht unbedeutenden Teil österreichischer Gegenwartsliteratur.

Das Werk Konrad Bayers, der 1964 Selbstmord beging, blieb Fragment: widersprüchlich und aufsehenerregend, interessant und unterschiedlich in der Qualität, aber nie langweilige Konfektion.

Gemeinsam mit den anderen des engeren Wiener Kreises (H. C. Artmann, Gerhard Rühm, Oswald Wiener und Friedrich Achleitner) versuchte er neue Elemente in die Dichtung zu bringen, die an sich gar nicht so neu waren, nur radikalisiert wurden: die Montage, die Konstruktion. Für Bayer blieb sie eine bestimmende Technik und kennzeichnet nahezu sämtliche Texte. Zwar ist sie nicht überall so weitgehend mathematisiert wie in „der Vogel singt — eine dichtungsmaschine in 571 bestandteilen“, verleugnet sich aber auch in den poetischeren Produkten nicht. Etwa im Text zum Singspiel „bräutigall & anonymphe“ Der besondere Reiz dieses lyrischen Antidramas (die Anitddramen Iones-cos bleiben immer dramatisch) besteht unter anderem darin, daß Wörter zusammengesetzt werden; die einen Teil gemeinsam haben. Assoziationen vollführen skurrile Sprünge, wenn sie „hirnverbranntwein auf die treubruchstelle“ serviert bekommen oder „seemannbare bräutigallen“ oder windfangarme, freispruchbänder, treibhausfrauen und lebensdauerwetten ... Auch viele der anderen Stücke halten das Niveau des Überdurchschnittlichen: der analfabet, der berg, der see, entweder: verlegen noch einmal zurück oder: visage-a-visage in der Straßenbahn.

Für Konrad Bayer ist auch die Systematisierung des Sprachmate-riais enitscheidend — eine Ordnung der vom Surrealismus gebrauchten, alogischen Begriffsgruppen, die als „Inventionismus“ bezeichnet wurde. Rühm schreibt darüber: „ ... möglichst dissoziierte begriffsgruppen werden von einer arithmetischen reihe permutativ geordnet, das sprachliche material sollte auf diese weise aus dem kausalen begriffszu-sammenhang in eine art semantisehen Schwebezustand gebracht werden, auf .mechanischem' wege überraschende Wortfolgen und bilder erzeugen ...“ (S. 10).

Manche von Bayers Texten tragen jedenfalls den unverkennbaren Stempel des Großen. Sicherlich aber der autobiographische Roman „der sechste sinn“. Hier werden alle Register gezogen, die künstlerische Bilanz einiger Jahre. Surrealistische Bilder, Traum und ZustandiSberichte erfahren in variierter Montage eine Gestaltung, die zwar Vorbilder kennt, aber keine Schablone.

Friederike Mayröcker war auch schon vor Erscheinen dieses Buches „Tod durch Musen“ einer relativ breiten Öffentlichkeit bekannt. — Sie veröffentlichte bereits 1948 im „Plan“ (übrigens auch in der „Furche“). 1956 erschien der Band Kurzprosa „Larifari“, 1964 „texte“ in Deutschland und 1967 soll ein Prosaband bei Rowohlt folgen.

Im Gegensatz zu Konrad Bayers Texten, die zwar fragmentarisch sind, aber eine methodisch geschlossene Einheit bilden, zeigt Mayrök-kers „Tod durch Musen“ beispielhaft ein Stück poetischer Entwicklung. Sie führt von den früheren, noch erlebnisihafit geprägten Kurzgeschichten von 1945— 1950 bis zu den Textflächen und nahezu graphisch gestalteten Wortfolgen der Periode von 1960— 1965. Durch die aufgezeigte Entwicklung gelingt der Brückenschlag zu den schwer zugänglichen Gebilden der letzten Jahre. Auch die frühe Lyrik hat nämlich bereits den Keim des Experimentellen in sich: Aneinanderreihung, Redeströme, Wiederholungen, die Verwendung von surrealen Methaphern, ansatzweise auch schon die graphische Auflösung, auf jeden Fall die Kennzeichen des „gemachten“ Gedichtes. Später wird die Arbeit konsequenter und systematischer. In den dann oft seitenlangen Werken, in verschiedene Bestandteile zerlegt und von einer gerasterten Interpunktion oberflächenhaft zusammengehalten, verschmelzen Phrasen, Erlebnisreste, Wortfetzen aus dem Alltag, Zitate, Fachausdrücke und fremdsprachige Elemente zu gebauten Reiztexten, zur auch visuell markanten Poesie.

Sehr beachtlich ist die Abteilung „Tod durch Musen“ von 1965. Sie gab mit ihren acht Modellgedichten dem Band den Titel und ist neben vielem anderen so überzeugend, daß man dem enthusiastischen Nachwort Eugen Gomringers beipflichten kann.

Ernst Jandl hat neben allen anderen Qualitäten etwas aufzuweisen, das der Avantgarde noch nie geschadet hat, das sie im Gegenteil zugänglicher macht: nämlich Wdtz. Er befruchtet sogar Jandls rein visuelle oder phonetische Versuche („Laut und Luise“ heißt sein Band!), die somit selbst dort, wo man sie als unüberzeugend und mißglückt ablehnt, wenigstens nicht langweilig sind. Seine gelungenen Experimente hingegen lassen Ähnliches auf diesem Gebiet avantgardistischen Neulands weit hinter sich.

Auch Jandl steht in einer Tradition: in der des Surrealismus, und des radikalen Expressionismus. In der Tradition einer spezifischen Komik und der für Wien cbarakter-ristischen Gleichseteung des Makabren mit dem Poetischen (G. Rühm).

Surrealistische Elemente („die blu-men haben namen um, die park-bänke rodeln unter den doppelkwi-nen der liebespaare...“) wechseln mit behutsamen Montagen. Allerdings geht Jandl damit verstandes-betonter um, weder emotional noch mathematisierend. Er vereinigt überhaupt in seltener Weise Sensibilität, Experimentierlust, Spielfreude und „Aussagekraft“ in sich, ohne Erlebnisdichtung im herkömmlichen Sinn produzieren zu wollen.

Stärker noch als bei Mayröcker und Bayer tritt hier die poetisch „verfremdete“ Mundart in den Vordergrund. Dialektgedichte wie „doode sbrooochn“, „doodn-groowaaa“, „wo bleibt) da hummoaa“ usw. sind durchaus überzeugend und auch rein phonetisch interessanter als die Gruppe „autors stimme“, die man eventuell auch vermissen häitte können. Man mag (und kann) auch gegen das optische Traktat „klare gerührt“ einiges einwenden, aber in diesem „Laut und Luise“ finden sich 10 bis 20 Gedichte, die man ruhig und ohne mit der ästhetischen Wimper zu zucken neben beste Qualität traditioneller Dichtung stellen kann: 16 Jahr, falamaleikum, wien: heldenplatz, schtzngrmm und die mehrzahl der „epigramme“...

Daß Ernst Jandls Gedichte Gedichte sind wie eh und je, „wenn es je Gedichte wie eh und je gegeben halt“, versucht ein renommierter Autor wie Helmut Heißenbüttel in seinem intelligenten Nachwort klarzumachen. Das allerdings, was die ästhetische Information im speziellen Falle ausmacht, muß jeder, der sich mit moderner Literatur näher beschäftigt, selbst herausfinden.

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