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Bäuerlicher Jedermann

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… Über die mondbeschienenen Wiesen des Bergdorfes schreitet ein hagerer Mann. Seine Tracht ist nicht anders als die der Bauern der Umgebung. Sein Gang ist langsam und sicher. Über die Schulter trägt er die Sense. Wie er gekommen, so ver-: schwindet er wieder ins Dunkle, um dereinst wiederzukehren. Dereinst, da ein stolzer, reicher Bauer, dessen Leben nur Dienst an seinem Golde gewesen, plötzlich den Atem des Endes fühlt. Jetzt aber kommt der Fremde nicht mehr als Landmann. Im schwarzen Mäntel steht er vor ihm, fordernd und befehlend: der Tod. Des Bauer aber erkennt verzweifelt die Sinnlosigkeit seines Lebens, das nur in Gelderraffen und irdischem Genuß bestand, das vorüberging an den bettelnden Armen der Ärmsten und den bittenden Worten der gläubigen Mutter. Nun ist des Flehens an ihm, bis ein halberblühtes Mädchen, seine „Werke", ihre Schwester, den „Glauben“, ruft, ihn im letzten Augenblicke zu er1 retten. Zu spät fordert der rasende Teufel sein höllisches Recht. Vom Turme des Bergkirchleins erschallen die Glocken der Versöhnung über den sterbenden Bauern, über die Höfe und Häuser ringsum. Bis die Gestalten im Dunkel verschwinden und wieder der hagere Landrrtänn schweigend seine Runde zieht, um anderwärts sein ewiges Spiel zu wiederholen

Wir haben es so oft schon gesehen, dieses Spiel vom „Jedermann", das nach Kriegsende geradezu zum ö-Aerreichischen Na- tionalschäuspiel erhöben worden zu sein scheint. Vom F rgtheater bis zur letzten Dilettantenbühne, vor dem Dom zu Salzburg als repräsentativstes aller österreichischen Festspiele ebenso wie vor der Tür des einfachsten Dorfkirchleins immer wieder gespielt, drängt sich die Frage auf, was es denn heute mit diesem uralten Spiel für eine besondere Bewandtnis habe. Trotz allen Anpreisungen in Zeitschriften und Fremdenverkehrsprospekten- mußte man notgedrungen erkennen, daß „Jedermanns“ Zeitalter nicht mehr das unsrige ist. Viele Theater lockte der österreichische Dichter Hugo von Hofmannsthal und die siebenjährige Verbannung seiner Werke von der Bühne, vor allem aber die ungeheure rein theatralische Wirkung.. Einen Gottesdienst aber, dem die Salzburger Uraufführung in der Inszenierung von Max Reinhardt einst verglichen wurde, entspricht sie heute nicht mehr. Haben wir doch einen großen Gewinn aus all den Jahren des Elends mitbekommen, den einer neuen Innerlichkeit, zum wenigsten eines Suchens danach. Wir sind feinfühliger geworden und fühlen es nur zu deutlich, daß Hofmannsthals „Jedermann“ und seine theatergeschichtlich, bedeutsamen Inszenierungen nicht mehr vollends aus einer ursprünglich religiösen Kraft geboren sind, wie sie etwa Calderons Dramen durchpulst, sondern aus einer ästhetisierenden, oft effekthungrigen Epoche stammen. Sind wir unbarmherziger oder gerechter geworden, wenn wir nicht umhin können, die Argumente des betrogenen Teufels zu billigen? Jedermanns Begnadigung mag einem einfachen Publikum wohl symbolisch von Gottes Barmherzigkeit künden, der psychologisch Gebildete von heute, ob gläubig oder ungläubig, wird die Schlußszene nur als Theater, niemals als religiöses Erlebnis erfühlen können.

Dies soll den künstlerischen Wert nicht schmälern. Zu alldem kommt jedoch noch ein zweites: dieser „Jedermann“ mit der Goldkette ist längst nicht nur im Kostüm, sondern auch in seinem Dasein ein historischer geworden, das Problem „vom Sterben des reichen Mannes" wurde zum seltenen Einzelfall, ohne Interesse für die große Menge der Zeitgenossen, zumal Europäer, die ihren „Jedermann“ sehen möchten,

sich selbst, um durch die Gestaltung der Todesstunde den Sinn ihres Daseins erahnen zu können.

… Da kam in einer Mondnacht der Tod als Landmann über die Felder eines steirischen Dorfes, da war „Jedermann"' ein Bauer und sprach die heimische Mundart; seine Vetter — liederliche Wirtshausbrüder, seine Mutter — ein altes Weiblein aus den Bergen. Mit einemmal war das Stüde zu neuem Leben erwacht. Mit einemmal ist Gegenwart, was bei allen städtischen Veranstaltungen literarische Legende blieb. Hier — auf dem Lande — hat das Spiel seine

Geltung bewahrt — hier, wo die soziale Entwicklung eine gänzlich andere ist; — hier, wo das Publikum noch ein unverbildetes ist oder zumindest sein kann. Hier ergriff aber das Stück auch wieder den Städter, der zu Besuch war, und er nahm die Unmittelbarkeit der Todes- und Teufelsersdieinung sogar mit weitaus ernsteren Gefühlen auf als die ländlichen Zuseher, die dabei lachten, wahrscheinlich aus einem rationalistischen Stolz, der jetzt aufs Land gedrungen ist, nachdem der Städter, zumal der gebildete, schon längst wieder transzendente Wirklichkeiten ahnt…

Das Grazer Volkstheater (Leitung: Lois Groß — Toni Ortis) hat mit seiner mit einfachsten Mitteln eindrucksvoll inszenierten Aufführung, der mundartlichen Nachdichtung des Hofmannsthalsdien „Jedermanns“ durch Franz Löser den Dörfern und Märkten der Steiermark Abende wirklichen Erlebnisses geschenkt. Es Waren nicht erstrangige Darstellungen, die Vergleichen standhielten — wenngleich einzelne junge Schauspieler, überraschende Leistungen boten —, aber dies übersah man gern, brachte doch endlich eine ländliche Bühne wirkliche Kunst statt des gewohnten „bäurischen“ Unsinns.

Hier ist ein Weg beschritten, der den Menschen des Landes und den kleinen Städten mehr gibt, als nur unterhaltende Abende, die am nächsten Morgen schon wieder vergessen sind …

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