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Digital In Arbeit

Barbara 1959

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relativ der Begriff leichte Arbeit ist. — Aber sie können auch zum „Nacharbeiten“ kommandiert sein. Das heißt, sie müssen ihre Bohrer, ihre Spitzhacken dort einsetzen, wo es dem Automaten zu eng, zu schwierig, zu unbequem war. Dann ist ihre Arbeit schwer wie je zuvor.

Allerdings: die Arbeitszeit ist kürzer. Ich bin begeistert, in tausend Meter Tiefe und in einem Stollen, der so eng und so schwierig ist, daß der Automat nicht mehr will und dann doch der Mensch herhalten muß, der sozialen Er

EINE ZWEI METER LANGE SCHWERTSÄGE frißt sich in die Stollenwand, als ob der schwarze, glänzende Stein ein Stück Biskuit wäre. Sie kommt aus einem vier Meter langen Stahlleib, der auf dem Stollenboden langsam nachkriecht. Das Ganze sieht wie ein schwarzer Drache aus, der in einem Bergwerksstollen verschüttet wurde und verzweifelt einen Ausweg sucht.

Wenn die Kohle aus der Wand fällt, sammelt sie sich in einem Förderband auf dem engen Stollenboden, das sich plötzlich zu bewegen beginnt und die schwarzen Steine abtransportiert. Die glitzernde Quelle aus Kohlenstücken fließt kilometerweit, bis sie sich über eine Rampe in den Stollenhunt ergießt.

Wir sind 1050 Meter tief, im tiefsten Braunkohlenbergwerk Europas,

Fohnsdorf (Steiermark). Die Braunkohle ist hier zu kostbarer Steinkohle geworden. Das Bergwerk ist in die Kohle geschnitten. Die Stollen sind Gänge durch glänzende Kohlenwände; aber Riegel müssen verhindern, daß sie über mir Zusammenstürzen. Wie viele tausend Jahre brauchte es, bis man als schwarzglänzendes Fossil zutage gefördert würde? — Keine Chance. Man würde nicht zutage gefördert werden. Das Interesse am „schwarzen Diamanten" erlischt langsam und wird in der Zeit, die ich brauche, um ein Fossil zu werden, kaum mehr durch Archäologen festzustellen sein.

„Der schwarze Diamant glänzt nicht mehr“, sagt Direktor von Rohr, „die Förderung muß von Jahr zu Jahr eingeschränkt werden. Wir drosselten von 616.515 Tonnen im Jahr 1957 auf 5 37.000 Tonnen in diesem Jahr. Wir werden kaum mehr als 480v00Ö Tonnen Tördeirn dürfen. Wir graben uns von Jahr zu Jahr tiefer in die Erde und ins Defizit.“

Es ist also schon fast anachronistisch, dieses Bergwerk. Der automatisierte Drache bewegt sich nur noch aus sozialpolitischen Gründen und die Arbeit der Bergleute ist eine moderne, auf die ganze Kohlenindustrie ausgedehnte Paraphrase auf Erich Weinerts Bergarbeiterlied „Wir graben unsere Gräber, wir graben selbst uns ein“,

„Jetzt ist hier das meiste automatisiert“, sagt Direktor von Rohr und meint den sägenden Drachen und das Förderband. Aber nicht automatisiert sind die Menschen im Stollen: beim Automaten und dort, wo der Automat nicht hinkommt.

Nicht automatisiert ist die Fixierung des Bergarbeiterlebens an den Berg, in dem er arbeiten will und in dem seine Vorfahren gearbeitet haben.

rungenschaft unserer Zeit zu begegnen. Unserer Zeit? Direktor von Rohr berichtigt: „Im

Bergbau war bis vor wenigen Jahren das k. u. k. Bergbaugesetz Franz Josephs aus dem Jahre 1851 gültig. Es war so gut, daß nicht einmal die radikalen Gewerkschaften der Ersten Republik daran rüttelten. Das heutige hat nichts Neues gebracht und wollte nichts Neues.“

Als ich in tiefere Stollen eingefahren war, sagte ich mir: „Es war doch nicht so grundfalsch, daß du nicht Bergarbeiter geworden bist.“ Aber für die, die Bergarbeiter geworden sind, sehr freiwillig und wahrscheinlich aus einer wirklichen und unbewußten Bindung und Berufung, kommt der Monatslohn auf nicht mehr als höchstens 2600 S. Das heißt, wenn sie Steiger sind; hochqualifizierte Werkmeister, die in der Tiefe nicht nur für die Produktion verantwortlich sind, sondern für das Leben der Kameraden. Ein Hauer bekommt kaum mehr als

Nicht automatisiert sind der Stolz und die Wehmut des Bergwerksdirektors, wenn er über die Konjunktur seines Werkes vor zwei Jahren spricht und über den plötzlichen Fall darnach. Nicht automatisiert ist das schicksalhafte Wirken von Angebot und Nachfrage. Und nicht automatisiert ist das Sterben im Stollen, das heute aktuell ist wie vor fünfzig Jahren.

IHR AUSSEHEN UND IHRE ARBEIT entsprechen den Vorstellungen, die man sich von Bergarbeitern macht. Ihr Wochenlohn nicht. Sie stehen mit nacktem Oberkörper, auf dem eine Schicht aus Kohlenstaub und Schweiß wie ein schwarzes Seidenhemd liegt, in 35 bis 40 Grad Hitze im Stollen. Sie können zur Bedienung der Maschinen, zum Verladen, zum Kohlentransport kommandiert sein. Dann ist ihre Arbeit durch die Mechanisierung der Alpinen Montan viel leichter, als sie es vor 50 Jahren war. Aber Hitze bleibt Hitze, und nach einer Stunde zwischen den wärmestrahlenden Kohlenwänden des Stollens lernt man praktisch, wie 2200 S: das ist ein qualifizierter Arbeiter. Und glauben Sie mir. im Bergwerk ist Qualifikation Qualifikation. Ein unqualifizierter Arbeiter erhält 1700 bis 1800 S. Als „Prämie“ kommen noch die Berufskrankheiten, die überraschenderweise meist früher zum Versagen des Herzens als zum Versagen der Lunge führen. Das kommt von der ständigen Hitze, den täglichen Druckveränderungen — kurz, von der Arbeit im Bergwerk.

Der nichtautomatisierte Mensch im Bergbau hat ein starkes Reinlichkeitsbedürfnis nach der Schicht. Aber es stehen ihm Waschräume zur Verfügung, die in extremem Gegensatz zu den modernen Automaten im Stollen stehen und noch aus der Zeit vor dem Bergarbeiterschutzgesetz Franz Josephs stammen dürften. Seit fahren geht es um menschenwürdige Waschanlagen. Seit Beginn der Flaute sagt die Direktion des verstaatlichten Betriebes, daß das in einem Defizitbetrieb unmöglich sei. Man hat ein überzeugungskräftiges Argument: der Stand der Arbeiter mußte schon von 2040 auf 1800 Mann reduziert werden. Aber anderseits — im Be triebsrat des Bergwerks stieg die Anzahl der Kommunisten bei der Wahl vor einigen Wochen auf sieben von 15 delegierten Betriebsräten.

FOHNSDORF LIEGT IM SCHATTEN des Bergwerks seit Jahrhunderten. Es ist wiederum genau so, wie man sich die Bergarbeitersiedlung vorstellt. Wahrscheinlich weniger bitter und nicht mehr ganz lebendes Modell für van Goghs Kartoffelesser und Masareels Schnitte. Aber keiner, der in Fohnsdorf wohnt, kann sich ein Leben ohne Bergwerk vorstellen. Er will es auch nicht. Ich weiß, es ist eine abgedroschene Feststellung, aber es ist so: Er hängt am Bergwerk. Es gibt das Espresso in Fohnsdorf, die schwärzen Reiter auf den Mopeds, alles — aber alles fährt irgendwie in den Stollen ein. — „Wir können hier mit den üblichen sozialen Mitteln der Arbeitslosigkeit nicht Herr werden. Sie wollen nicht abwandern in andere Orte und in andere Industrien, sie wollen nichts anderes als das Bergwerk.“

Aber: „Der Glanz der schwarzen Diamanten ist matt geworden.“ Und beide, der Bergwerksdirektor von Rohr und der Betriebsratsvor- sitzende Fink, fürchten, daß er ganz erlöschen könnte. Das trübe Schweröl fließt darüber. Innerhalb von drei Jahren sind mehr als 20 Prozent des Energiebedarfes der österreichischen Industrie von Kohle auf Schweröl übergegangen. Und in zehn Jahren können es schon 50 Prozent sein. Dann geht es aufs Ganze.

Dabei kommt es den Bedrängten in der Kohlenindustrie so vor, als ob der Staat der Komplice des Heizöls wäre. Die seit Jahren gültigen Tarifermäßigungen für Transporte heimischer Kohle auf der Bundesbahn sollen vom Ministerrat gestrichen werden. Dafür sollen Ermäßigungen im Zollsatz und im Eisenbahntarifsatz für importiertes Erdöl geschaffen werden. — „In einem Land, in dem die Todesstrafe abgeschafft ist, sollte auch das langsame Erdrosseln einer Industrie verboten sein. Dann soll man es lieber kurz machen. Schmerzlos wird es nicht gehen.“ — In Oesterreich singen die Bergarbeiter nicht wie in Wales. Aber sie haben eine blumenreiche Sprache, die trifft. — Die Bundesbahnen scheinen überhaupt auf den österreichischen Bergbau böse zu sein. Und auch die VOeESt. Beide holen sich die Kohle von überall hef, nur nicht aus den österreichischen Werken.

GEGEN DIE STILLEGUNG von Fohnsdorf hat man ein Mittel gefunden: Unmittelbar neben dem

Bergwerk wird ein Kraftwerk gebaut, das jährlich 350.000 Tonnen der Fohnsdorfer Glanzkohle kaufen wird. Es ist eine harte Kur und es wird ein hartes Leben für Fohnsdorf werden. Das E-Werk ist ein neuer und harter Herr. Es weiß genau, daß es Leben und Tod des Bergwerks bedeutet. Und es diktiert: die Preise, die Anlieferungsart, den Beginn der ersten Lieferung. In meiner Gegenwart bat Bergwerksdirektor von Rohr den leitenden E-Werk-Ingenieur, den Zeitpunkt für die ersten Kohleanlieferungen um einige Monate vorzuverlegen. Jeder Monat, in dem die Kohle früher geliefert wird, sei eine

Wohltat für den Berewerksbetrieb.

rtMiuyi. sffc Järtt-Je r;3ß’joiqajf i Neben dem grauen, verstaubten

Kohlenbergwerk werden die modernen Hallen des neuen E-Werkes entstehen. Viel höher als die Fördertürme über den Minen werden die Hochhäuser der E-Werk-Verwaltung sein. Neben dem Bergarbeiter, der nie ganz den Staub aus den Poren bringt, wird der saubere E-Werk- Arbeiter der Gentleman sein — und viel besser bezahlt werden.

„In kürzester Zeit können wir die Anlagen von der Energiegewinnung aus Kohle zu der Energiegewinnung aus Heizöl umstellen“, sagt der E-Werk-Ingenieur, „und die Erdgasleitung, die heute schon von Wien nach Donawitz führt, kann in vierwöchiger Bauzeit bis zu uns geleitet werden." So modern sei die Kraftwerksanlage, meint er; Fohnsdorf ist entbehrlich.

BETRIEBSRATSVORSITZENDER FINK sagt auf dem Rückweg von der E-Werk-Baustelle zu seinem Bergwerk: „In der Kohlenkonjunktur bis 1957 haben wir geglaubt, daß wir unentbehrlich sind und daß wir immer dableiben werden. Heute glaubt es der neue Nachbar, das Kraftwerk. Aber im Denken der Ingenieure und der Industrie steht schon das große ,A’ für die nächste Ablöse durch Atomenergie. Der alte Mann“ — das ist der Berg über den Stollen, der bereits ausgewertet ist — „wird dann durch die morschen Riegel eingebrochen sein.“

Und es werden keine neuen Gräber auf dem Friedhof von Fohnsdorf sein, auf denen gekreuzte Hämmer vom Tod im Bergwerk berichten.

Aber die letzten vier kamen erst im vergangenen Jahr dahin . ..

Es werden dann auch längst keine neuen Gräber auf dem Friedhof von Fohnsdorf mehr sein, auf denen gekreuzte Hämmer vom Tod im Bergwerk berichten. An seinem Friedhof erkennt man jedes Dorf und jeden Ort. In Fohnsdorf lebt der Friedhof von den Bergarbeitergräbern. Wo er verfallen ist, liegt schwarzer Kohlenstaub über dem Unkraut. Noch im neuen Teil fegt man an jedem Tag den Kohlenstaub von den Gräbern.

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