Beantrage Handlungsänderung

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Jasper Fforde erzählt die Durchlässigkeit der Grenzen zwischen fiktionaler und realer Welt. In seinem Roman sorgen Beamte dafür, dass die Figuren in ihren Büchern bleiben.

Der wallisische Autor Jasper Fforde führt in seiner unterhaltsamen Literatursatire ins Zentrum des literarischen Geschehens, in den "Brunnen der Manuskripte". Hier werden die Texte geschmiedet, zusammengebaut, geputzt und poliert und von den "Löcherflickern" überarbeitet. Das, was die Autoren vereinzelt an ihren Schreibtischen tun, fließt im "Brunnen der Manuskripte" als dem Ort der zentralen Verarbeitung zusammen.

Protagonistin ist (wie in den ersten beiden Bänden des Autors) die Literaturagentin Thursday Next, die sich im Rahmen des "Figurenaustauschprogramms" in ein unpubliziertes Krimimanuskript von zweifelhafter Qualität zurückzieht, um in aller Ruhe die Geburt ihres Kindes abzuwarten. Geruhsam wird dann natürlich nichts, und die Kette der Abenteuer, die sie als angehende Mitarbeiterin der "Jurisfiktion" zu bestehen hat, ist lang. Aber das Zentrale sind, wie stets in Ffordes Büchern, die unendlich vielen und doch diszipliniert gesetzten Ideen und Gags, die er aneinander reiht und mit dem Plot gekonnt zusammenhält.

Mit Liebe zu Büchern

Einige Kenntnisse, namentlich der englischen Literatur, sind zweifellos von Vorteil, aber nicht Voraussetzung für den Lesegenuss. Wer die Figuren aus "Alice in Wonderland" nicht kennt, lernt sie hier kennen. Und wer die Handlung von "Wuthering Heights" nicht parat hat, dem mag ein Teil der Ironie entgehen, die in der Schilderung der direkt im Buch abgehaltenen Wutberatungssitzungen liegt; aber es bleibt immer noch genug zum Schmunzeln übrig. Voraussetzung ist allenfalls die Liebe zu Büchern und zum Lesen generell.

Der Grundgedanke von "Im Brunnen der Manuskripte" ist die prinzipielle Durchlässigkeit der Grenze zwischen fiktionaler und realer Welt. Damit bei dieser Grundannahme nicht alles heillos durcheinander gerät, bedarf es gewisser Regeln und Kontrollinstanzen: Der Gattungsrat legt den prinzipiellen Rahmen fest, und die Beamten der Jurisfiktion sorgen dafür, dass die Figuren in ihren Büchern bleiben und sich zumindest nicht zu weit vom "vorgeschriebenen" Text ihrer Autoren entfernen. Denn die literarischen Figuren können bei Fforde durchaus ein Eigenleben und auch eigene Interessen entwickeln. Für Streitfälle gibt es die Rechtsabteilung der Jurisfiktion - ein Franchise-Unternehmen des biblischen Königs Salomon. Hier können die Figuren Beschwerde führen oder Handlungsabänderungen beantragen. Unermüdlich beamen sich die Beamten der Jurisfiktion lesend in die entsprechenden Bücher und versuchen zu retten und zu schichten, überwachen daneben den Schwarzmarkt mit Handlungselementen und Motiven, wo seit dem Verschwinden der "Letzten Orginellen Idee" 1884 mancher Wildwuchs entstanden ist. Sie kämpfen auch gegen Sparmaßnahmen des Gattungsrates bei der Bildungspolitik, durch die das Mindestanforderungsniveau an Charaktertiefe nicht nur der Nebenfiguren beständig sinkt.

Zuerst und vor allem aber gilt der Kampf dem neuen "Betriebssystem" Ultra Word TM, das die Kommerzialisierung der Buchwelt weiter radikalisieren soll, unter anderem durch Zutrittsbeschränkungen: Nach dem dritten Leser ist das Exemplar sozusagen "ausgelesen" und lässt sich nicht mehr öffnen. Dazu kommt es dank Thursday Next natürlich nicht und auch zu keinem irreparablen Systemzusammenbruch wie damals beim SCROLL update, der bekanntlich zum Brand von Alexandria führte.

Wildwuchs der Ideen

Ein schönes Bild für die ungekünstelte Leichtigkeit, mit der Fforde alle diese Wahnsinnsideen aneinander reiht, sind die Fragen, die die verschiedenen literarischen Figuren "Im Brunnen der Manuskripte" an die "Außenländerin" Thursday Next stellen: Wie funktionieren eigentlich Rolltreppen? Warum klebt Leim im Inneren der Flasche nicht fest? Können draußen wirklich mehrere Personen gleichzeitig sprechen? Bewegen sich die Spiegelkugeln in den Discos von selbst? Ähnlich geistreich und wesentlich könnten den literarischen Figuren unsere literaturwissenschaftlich interpretativen Fragen vorkommen, und vielleicht würden sie, wie Thursday Next, kaum eine davon beantworten können.

Dass der Verlag Jasper Fforde ins Segment "Fantasy und Zauberwelten" stellt, nimmt man schmerzlich zur Kenntnis. Natürlich ist das alles fantastisch, aber im Fantasy-Eck wird Fforde kaum die richtigen Leser finden. Wer Fantasy nicht liebt, aber gerne liest und sich auf spielerische Art über das Lesen und die Welt der Bücher seine Gedanken machen will, ist mit Fforde jedenfalls gut bedient.

Im Brunnen der Manuskripte

Roman von Jasper Fforde. Deutsch von Joachim Stern. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2005

417 Seiten, kart., e 15,50

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