Befreit, aber nicht befriedigt

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Robert Menasse kreuzt Don Juan mit Don Quijote und schreibt einen Roman über die Generation der zur freien Liebe Befreiten.

Wer einen solchen Titel für seinen neuen Roman wählt, legt sich die Latte hoch: Auf Don Juan und auf Don Quijote zu verweisen, verrät viel Selbstbewusstsein. Bescheidenheit, das wissen aufmerksame Beobachter der österreichischen Sprach- und Drucklandschaft, ist Robert Menasses Zier nicht. Insofern verwundert der Titel Don Juan de la Mancha auch nicht.

Das Wundern passiert dann erst beim Lesen. Denn der Roman hält weder, was so ein Titel verspricht, noch was der Schriftsteller Robert Menasse könnte, wie man aus seinen bisherigen Romanen weiß. Umso erstaunlicher das laute Lob, das mancherorts zu lesen war. Mag es daran liegen, dass Menasse eben Menasse ist? Oder dass bisher hauptsächlich Männer das Buch gelesen und rezensiert haben?

Es mag nicht recht munden. Das hat nichts mit der Chili-Schote zu tun oder dem Analverkehr, mit jenen Sätzen also, mit denen der Roman scharf und gewichtig beginnt - so auffällig um Aufmerksamkeit, d. h. Zitierung heischend, dass der erste Satz des Romans hier nun nicht zitiert wird. Ein wenig Widerstand muss sein gegen das so augenscheinlich Kalkulierte.

Fürs Zitat geschrieben

Überhaupt liest sich dieser Roman, als wäre er fürs Zitieren geschrieben. Man könnte viele Sätze als Sprüche auf Postkarten montieren, die Frage ist nur, wem man sie schicken will. Einige Beispiele: "Die Welt ist ein Seminar, und die meisten werden sitzen bleiben." "Jeder liebt zu seiner Zeit, wie er nicht kann." "Karrieristen sind auf Kurs, Liebende auf Exkurs." "Die ganze Kindheit ist eine Ausbildung zum perfekten Kindsein, am Ende der Kindheit wird man aus dieser Ausbildung entlassen und soll, als ausgebildetes Kind, kein Kind mehr sein."

Viel Klugheit also auch in diesem Roman, in dem der Ich-Erzähler Nathan, klischierter Leiter des Ressorts "Leben", über das schlechte Deutsch schimpft, aus dem er in seiner Funktion als Redakteur weniger schlechtes Deutsch basteln muss. Sprache ist auch sonst ein Thema, vor allem, wenn es darum geht, worum es im Roman vor allem geht: um Sex. "Es gibt keine Worte, um diesen Irrsinn mit Würde zu beschreiben."

Die sexuelle Befreiung verhilft weder zu Zufriedenheit noch zu geeigneteren Worten für jene Akte, die Befriedigung schaffen sollen. Menasses Ich-Erzähler kritisiert die "Altmännerliteratur", die in seinem Haus herumliegt: John Updike etwa oder Philip Roth. "Seltsam, dass sich so große Autoren bei der Beschreibung einer Landschaft an den schönsten Beispielen der Literaturgeschichte orientieren, bei der Beschreibung von Sex aber an billigen Illustrierten." Originellere Versprachlichungen des Beischlafes sind dem Schöpfer Menasse freilich auch nicht gelungen, wie vielleicht folgender Satz über Sekretärinnen belegt: "Sie setzten sich auf Schwänze, so wie heute Telefone auf Ladestationen sitzen."

Witz und Würze

Dabei bietet die Konstruktion des Romans viel Gelegenheit für Witz und Würze. Originell ist etwa die permanente Brechung des Erzählten durch die Erzählsituation. Ob das, was der Ich-Erzähler von sich gibt, auch wahr ist, kann nämlich keiner wissen. Immerhin wird so manche Geschichte gleich darauf anders berichtet. Der nicht sehr weise Nathan erinnert übrigens nicht an das Lessing'sche Geschöpf, sondern eher an ein Philip Roth'sches alter Ego. Doch Menasses Nathan schreibt nicht über sein Leben, er erzählt es seiner Therapeutin - und so wichtig wie das Herausfinden, wo die Lust geblieben ist, ist die Selbstinszenierung, die Neuerfindung. "Wie konnte ich einer Therapeutin vertrauen, die mir glaubte?"

Die Ausgangssituation ist also originell und zeitgeistig. Die studentischen Revolutionsgelüste sind vorbei, das Angelesene hat im Bett nicht viel geholfen: "Ich hatte ideologisch korrekten Beischlaf studiert, aber nun gab es weit und breit keine, die mit mir im Bett über Entfremdung diskutieren, sich von gesellschaftlichen Zwängen befreien wollte." Doch die erzählerische Verschränkung von historisch-politischer und individueller Geschichte ist Menasse in früheren Romanen überzeugender gelungen. Demgegenüber wirkt dieses Mal vieles wie ein bloßer Stammtischplausch, etwa der Vergleich der "freien Liebe" zu Christa mit dem Angestellten(un)verhältnis von Neuen Selbstständigen: Beide "Freien" arbeiten so viel wie keiner, der im Besitz eines Vertrages ist.

Sehnsucht nach Uterus

Der entlassene Ressortleiter plantscht schließlich im falschen Fruchtwasser und erinnert sich an die vielen ins Bett eingeladenen Frauen, seiner Erkenntnis zum Trotz: "Ich will, sagte ich, nicht in die falsche Richtung leben." Die Sehnsucht des Mannes nach dem Zurück: in die Kindheit, in den Geburtskanal, in den Uterus, scheint wie eine Fortschreibung von Schubumkehr, wo Roman ins heimelige Landnest der Mutter zurückgekrochen kam.

Nathan, der, so erfährt man spät, seit Jahren verheiratet ist, erfindet sich - und vielleicht auch alle diese Frauen, darunter die kiffende erste Ehefrau Martina, die sich die Penetration verbietende Alice, die Spargel und Schokolade knabbernde Christa (das ist die mit der Chili-Schote am Anfang und dem Meerrettich am Ende des Romans) … Hannah, die zuhörende Therapeutin, ist die klügste. Sie, "der Inbegriff einer jüdischen Mamme", stöhnt schon früh, auf Seite 16: "Bitte, Nathan, hören Sie auf mit Ihren Kalauern!"

DON JUAN DE LA MANCHA

Roman von Robert Menasse

Suhrkamp Verlag, Frankfurt 2007

273 Seiten, geb., € 19,40

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