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BEGEGNUNG IN SIZILIEN

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Carl J. Burckhardt, dessen Bedeutung als Historiker und Philantrop anläßlich seines 70. Geburtstages in der 37. Folge der ,furche" (Porträt auf Seite 4) gewürdigt wurde, ist Österreich besonders durch seine Freundschaft mit dem Dichter Hugo von Hofmannsthal verbunden. Dieser hatte im Schicksalsjahr 1918, als ihm mit dem Auseinanderbrechen der Donaumonarchie eine Welt zusammenstürzte, auch seinen nächsten persönlichen Freund, den Kunsthistoriker und Industriellen Eberhard von Bodenhausen, verloren. An einem Abend Mitte Dezember traf er in der Wohnung einer alten Dame, die in einem der noblen Mietshäuser am Hohen Markt wohnte, den 12 Jahre jüngeren Carl Burckhardt, der vor kurzem an die Schweizer Gesandtschaft nach Wien gekommen war. Von jenem Tag an datiert eine Beziehung, die sich bald zur Freundschaft festigte und bis zum Tod des Dichters im Jaihrel929 dauerte. Ein mehr als 300 Seiten umfassender Brief- band dokumentiert diese menschlich-geistige Verbundenheit, die durch zahlreiche Begegnungen und lange Gespräche vertieft wurde. Nach Hofmannsthals Tod hat Carl J. Burckhardt in mehrfacher Folge seine Erinnerungen an Hofmannsthal aufgezeichnet und veröffentlicht. Sie sind in Buchform zuletzt im Verlag Georg D. W. Callwey, München, erschienen und finden sich auch in dem Buch „Hugo von Hofmannsthal — Der Dichter im Spiegel der Freunde", Francke-Verlag, Bern 1963. Die im folgenden geschilderte Reise durch Sizilien machten die Freunde gemeinsam im April 1924. — Die in den Erinnerungen Burckhardts erwähnte Nordafrikareise unternahm Hofmannsthal während der Monate Februar und März des folgenden Jahres, wahrscheinlich auf Einladung der französischen Regierung.

Nie war die Fähigkeit des Dichters, in weiten Räumen seine Zugehörigkeit zu behaupten, mir konkret so faßlich, so erkennbar, wie während eines sizilianischen Aufenthaltes.

Wir hatten uns, aus verschiedenen Richtungen kommend, für einige Tage in Palermo getroffen. An einem schönen Abend, gegen sechs Uhr, hatten wir einen offenen Pferdewagen genommen, um nach vielen heißen Gängen langsam durch den großen Stadtpark zu fahren. Hofmannsthal hatte die Abrede mit dem Kutscher getroffen. Auf halbem Wege drehte dieser sich um, griff nach alter Weise an seinen Hutrand und sagte: „Herr, sollten wir nicht diesem jungen Ausländer den Kreuzgang von San Giovanni zeigen?“ Er kam gar nicht auf den Gedanken, daß auch der Angeredete ein Ausländer sein könnte. Er selbst war ein Sizilianer von arabischer Abstammung reinsten Blutes, alles war arabisch an ihm, die Art, wie er mit den schlanken, schmalgefesselten Händen die Zügel hochhielt, der schlanke Körper, der trockene, edle Kopf.

Hofmannsthal aber meinte: „Die Gutsbesitzer Normannen, Ihre Verwalter Römer, die Kutscher Araber, die Advokaten und die Denker Griechen — jetzt sollten wir in der Menge nach Karthagern, Phöniziern, nach Spaniern und nach Franzosen fahnden. Weil er ein Araber ist, gefällt ihm der Kreuz- gang von San Giovanni am besten; es ist schön, durch die Menge zu gehen und die zu erkennen, denen man begegnet, zu wissen, was sie hergeführt hat in diese wunderbare, immer noch lebendige Verbundenheit der antiken Welt, die weiter wirkt Jahrhunderte nach dem Untergang des Römerreiches. Normannen in dieser Kraft des Beginns, von Mont Saint-Michel bis nach Monreale, dann die einmalige, große Verwandlung des Deutschen in Friedrich II., der alles erfaßte, alles durchdrang und doch allem diese einzigartige Dimension seines deutschen Ursprungs verlieh. Nur einmal nochv aber in ganz anderer Weise, durch einen rein geistigen Prozeß, ging dies vor sich: in Goethe. Aus dem unmittelbaren Erleben wußte er nur noch aus fernster Kindheitserinnerung, was ein Reich ist, aber ein schwach gewordenes Reich im Augenblick eines Abschiedes. In unserm alten Österreich dagegen haben Abend- und Morgenland sich noch gebend und nehmend durchdrungen. Wie vieles gehörte noch zu uns, Byzanz ebensogut wie Spanien. Zweitausend Jahre waren wir die Ostmark des Römerreiches, tausend Jahre die elastische Grenze der Christenheit. Auch das Römische, das Lateinische, brauchen wir nicht zu erobern, es ist ein Teil von uns.“

Zufällig, wenige Tage nach dem Vorfall, der zu diesem Gespräch den Anlaß geben sollte, nahm ich noch ein zweites Mal jenen Wagen mit dem arabischen Kutscher. Er fragte mich: „Begleiten Sie heute nicht den Herrn aus Venedig?“ — „Venedig, Fusion der Antike und des Orients; Unmöglichkeit, von dort ins Kleine, Nichtige zurückzukehren!“ hat Hofmannsthal einmal notiert. Wie oft ist er im Lauf seiner inneren Wanderung nach Venedig zurückgekehrt, er bewegte sich auch dort in einer Zeit, die nie völlig die Gegenwart, und an einem Ort, der nicht völlig das Hier war. Dabei war Venedig für ihn noch die Stadt der weißen Uniformen und zugleich alles andere, was sie jemals zuvor gewesen war, seit der fernen Flucht in die Lagunen.

„Alles zugleich gegenwärtig“ — da steigt noch eine Erinnerung an jene sizilianischen Tage auf: Eines Morgens standen wir vor dem Eingang der palermitanischen Kapuzinergruft. „Ich gehe hinein“, sagte Hofmannsthal, „dort liegen sie alle, schön erhaltene Mumien in ihren Uniformen und Fräcken.“ Ich weigerte mich mitzukommen; später, auf der Fahrt nach Segesta, zwischen den blühenden wilden Geranien, auf damals noch staubigen Wegen, fragte er: „Das ist Ihnen zuwider oder unheimlich, jene Gruft? Mich aber beruhigt es, diese vielen, jetzt so würdigen Männer, die ihr Leben hinter sich haben und in ihren Nischen liegen, geordnet in der trockenen Luft ihrer Heimat; einst haben sie sich gekannt, haben sie geredet und gestritten, nun sind sie ruhig, ihre eigene Epoche, die sie so ernst genommen haben, ist vorüber, jetzt schweigen sie. Nein, ich könnte dort Tage verbringen, meditieren oder auch Lustspiele schreiben; das Grauen, das wirklich Unheimliche ist anderswo, ist in uns selbst, die größte Wirklichkeit, die erhabenste und die gefährlichste, die der Himmel wie der Höllen, bauen sich aus einer Substanz auf, die in uns selber ist, das Nichts aber beginnt dort, wo wir diese unsere schöpferischen Vorstellungen wegwerfen.“ — Und später einmal: „Erinnern Sie sich noch an die ,Cappuecini‘, wissen Sie noch, wie Sie aus dem hellen Morgen nicht hinunter wollten in die Gruft? Ich denke bisweilen daran, es geht eine große Ruhe aus von diesen Totenversammlungen, nicht nur die Schicksale der einzelnen sind dort zur Ruhe gekommen, das Drängen, Sichdurchdrin- gen, Überwältigen und Zusammenbrechen ganzer Völkerschaften, die über diese Insel hereinbrachen, ist zum Stillstand gekommen; all diese ,Nachkommen' und die lebende Bevölkerung machen an heißen Tagen ihren Sonntagsspaziergang dorthin, dabei ist das ganze Volksdasein der niedern Antike vorhanden, ohne Scheu, vertraulich und doch respektvoll.“

Federleichte Züge, vielleicht sind wir weniger daran gewöhnt, sie zu beachten, zu deuten, als Franzosen und Engländer oder auch Russen. — Einer sei noch auf gezeichnet: In Nancy streiften wir einmal zusammen durch einen Jahrmarkt, Hofmannsthal blieb lange vor einer Auslage stehen, in der die volkstümlichen Bilderbogen aus Epinal feilgeboten wurden. Die Verkäuferin lachte und sagte wie zu einem Spießgesellen: „Wir wissen, was das ist, die Ausländer verstehen nichts davon.“ Das war in dem alten Lothringen, an dem Tage, an dem Hofmannsthal an den Gräbern seines Herrscherhauses gestanden war und jenen merkwürdigen Gedanken äußerte, den ich in anderm Zusammenhang erwähnte.

Sein, Schein, Wirkung: Überall, wo es mir gegeben war. ihn auf Spuren der alten Welt zu begleiten, zu den seltenen, noch unbeschädigten Teilen der Welt, wirkte von ihm auf die ändern etwas Vertrautes, oft etwas unwidersprechlich Hoheitsvolles, Weites: kühner, ordnender Überblick. Wie gegenwärtig ist mir ein Portugiese, der mich fragte: „Wer war dieser Herr, mit dem Sie gestern in der Oper saßen? Er sah aus wie ein verbannter König aus unsern Ländern.“

In desm Prosastück „Die Wege und die Begegnungen“ erkennt er selbst die Züge, unter denen er bisweilen den ändern schien. Früh schon heißt es im „Kleinen Welttheater“:

Ich trug den Stirnreif und Gewalt der Welt

Und hatte hundert der erlauchten Namen,

Nun ist ein Korb von Bast mein Eigentum,

Ein Winzermesser und die Blumensamen.

Aus Marrakesch, im Kontakt mit Vertretern einer sich treu gebliebenen Sitte, schrieb er mir: „Ein Berber mit starrender Mähne grüßte zu mir herauf und forderte plötzlich seine vielen Zuhörer auf, dem Fremdling zu applaudieren. Dies geschah In dieser uralten und kindlich frischen Welt.“ Aber unter den neuen Bedingungen, jenseits von aller Frische, den allerödesten, den administrativen Voraussetzungen, versagte diese selbstverständliche Wirkung seines Wesens. So schrieb er auch eines Tages, es sei ihm nicht möglich gewesen, in einem Reisebüro eine Auskunft zu erhalten: „Klein und unansehnlich, eingekeilt zwischen so mächtigen, dicken, gebieterischen Schiebern, die es alle so eilig und wichtig hatten, bekam ich gar keine Antwort. Es ist kein Moment für Dichter jetzt.“ Ich erwähnte diesen Ausspruch vor einem tüchtigen Mann aus der Wirtschaft, der in seiner Freizeit gerne Gedichte liest. Er rief aus: „Wäre ich nur dagewesen, das hätte Funken gegeben!“

Als ich Hofmannsthal später diese barsch aufmunternden Worte wiedergab, meinte er lachend: „Als man dem Frankenkönig Chlodwig I. im Laufe seiner Bekehrung die Passionsgeschichte erzählte, da hat er an sein Schwert gegriffen und hat drohend erklärt: ,Ah, da hätt’ ich mit meinen Sachsen dabei sein sollen!' “

Es ist nicht leicht, eine Vorstellung von der Behendigkeit und Liebenswürdigkeit zu geben, welche dem Humor des Dichters eigneten und als das Mittel erscheinen, durch welches er aus den Fernen zurückkehrte, von denen keine „ihn schwierig machte“; sein Humor holte ihn zurück zum Alltäglichen, das er immer wieder in einer vom glücklichen Einfall bewegten Heiterkeit zu versöhnen, zu entwirren, ja stets wieder zu lieben vermochte. Nichts war ihm dabei ferner als der kalte, kahle „Esprit“; versöhnlich, die jeweilige Situation entgiftend, war sein Einfall — auch auf dieser Seite seines Wesens lag das Licht seiner durchaus unfeierlichen, antiken Lebensweisheit.

Hierhin gehört auch sein Sinn für die Anekdote, den glüdklichen Zug, welchen die Alte Welt besaß. Von Boccaccio über Jcinville, das große englische Theater, Saint- Simons Memoiren, Dickens, Balzac, die Russen, ist alles ins Bedeutsame erhobener Vorfall; Dantes Werk ist erfüllt mit unnachahmlichen, blitzhaft Gestalt, Wesensart und Schicksalsführung erhellenden Zügen, welche die flüchtigste Begebenheit für immer festhalten. Aber der Famulus des Doktor Faust, der sich in so beängstigender Weise vermehrt hat, verachtet das Anekdotische. Unersättlich verlangt er nach Kommentar, nach Statistik und Begriff. Diese seine Sucht hat Hofmannsthal in seiner Münchner Rede „Das Schrifttum als geistiger Raum der Nation“ wie eine Krankheit beschrieben; aber auch das andere, das oft so mächtige Abseitige, Ungesellige, Voraussetzungslose, das Unverbundene der bedeutenden Losgenissenen, ihre gewollte Ursprünglichkeit ihren ewigen Neubeginn, ihre Herrschaftsansprüche, stellt er dar. Am Schluß jedoch jener bemerkenswerten Äußerung hat er einer Hoffnung Ausdruck verliehen. Er sprach, was vorerst befremdlich klingt und später zu Mißverständnissen Anlaß gab. von einer „konservativen Revolution“. Die Mißverständnisse ereigneten sich auf der trivialsten aller Ebenen, auf welche der Dichter sich in keinem Augenblick seines Lebens jemals begeben hat.

Was er am Ende jener Rede heischte und erhoffte, war die Wandlung des zerfließenden, alles immer wieder preisgebenden und verschleudernden Zeitbewußtseins. Dieses Bewußtsein, meinte er, sollte reif werden, Vergangenes und Zukünftiges in einer verpflichtenden Form aneinander bindend. Das Stichwort von der konservativen Revolution bedeutete eine Absage an jenes unheilvolle Vergessen, das den Blick für jede Zukunft trübt, alles dem Augenblick überläßt; Festigung vor dem Allzuflüchtigen wünschte der Dichter herbei, Bindung, bis zum feinsten Gewebe innerhalb menschlicher Beziehung. Nun aber ging in unseren Tagen ein Riß durch dieses feine uralte Gespinst, eine Krisis des Menschlichen war ausgebrochen.

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