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Begegnung mit dem Ausland

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Die Atmosphäre des Wiener Josef Städter Theaters und des Züricher Schauspielhauses ist grundsätzlich verschieden. Hier wie dort wird Kunst geboten, Dichtung und Wahrheit. Hier wie dort spielt das Leben seine Kräfte aus, mild oder streng, dynamisch oder gerafft von Innerlichkeit. Die schöpferische Gestaltung gibt den Rahmen dazu, das Wort spncht die Symbolik aus.

Aher die Klarheit der westlichen Vorstellungswelt, ihre Bühnenwirksamkeit und Bühnensicherheit waren nie getrübt und verändert durch den Einbruch des Krieges, durch seine Wirrnisse und seine aufwühlende negative Umwertung aller Werte.

Die tragenden Stützen, die das Theater, die darstellerische Welt überhaupt ruhen und verankert sein läßt in der Tiefe des menschlichen Lebens, sie brachen nicht in diesem Lande, wie sie bei uns gebrochen sind, seit das Leben eben aufgehört hatte, sinnvoll zu sein.

Die Schweizer Bühnen brauchten die Realität des Lebens nie zu entbehren, weil ihr Leben der Bühne dem der Wirklichkeit sinngemäß blieb. Ihre Besucher, ihr wertvolles, aufnahmefreudiges Publikum ehrte die klassischen Vorbilder, wie sie die vergangenen großen Dramatiker auf die Bühne stellten, weil sie ihnen, wenn auch aus vergangener Vorstellungswelt heraus Vorbilder blieben, deren Gegenwart in die ihrige her-' überreichte, während von unserer Gegenwart scheinbar keine Brücke zur Vergangenheit zurückführt.

Was sollte also unser Josefstädter Gastspiel den 1 Schweizern spielen, das ihnen, gemäßigt und beruhigt in lebendiger, wirklich-keitsverbundener Tradition nicht nur vorgespielt war, sondern ihnen,' nachfühlend unser Erleben, echt erscheinen mußte?

Die Tradition zu rufen, unsere Tradition, wie sie Wien und Österreich in den besten Zeiten unserer Vergangenheit geliebt und berühmt gemacht hatte, war ein Wagnis. Sollten wir immer noch und immer wieder wie ein Hungernder vom vergangenen Glänze zehren, sollten wir uns anklammern an die Parodie vom goldenen Wien, das heute nicht mehr ist. das, hoffen wir, einmal in einer besseren Zukunft wieder sein wird? —

Da hat nun Direktor Rudolf Steinbock vom Josefstädter Ensemble in Wien in der Auswahl des Hofmannsthalschen Lustspieles „Der Schwierige“ einen ebenso feinfühligen, wie spontanen Ausgleich gefunden. In dieser glänzenden, fein nuancierten Charakter-nudie, die Hofmannsthal aus dem bunten and leichten Gesellschaftsmilieu des vergangenen Wien aufbaut, verbindet sich dessen ewig wirkender Zauber mit den menschlichen und ethischen Problemen, wie sie, heute wie damals, gültig sind. Heute freilich anders, tiefer, einschneidender, bedeutsamer und wirklicher. Aber immerhin in den Auseinandersetzungen des Herzens, in den Gesprächen der Stille und des innerlichen Dranges gleich diskutabel, gleich abhängig von eigener Entscheidung und der Gnade der Erfüllung.

Auf das Stück selbst und sein Kolorit von unentschuldigter und entschuldigter menschlicher Schwäche, von Figur ynd Nebenfigur, Glanz und Blindheit, Stärke und Seichtheit einzugehen, erübrigt sich. Es ist dem gebildeten österreichischen Publikum und darüber hinaus dem Freund Hof-mannsthalscher Gestaltungskunst hinreichend bekannt.

Wichtig ist zu erfahren wie dieses charmante Lustspiel echt wienerischer Färbung, dieses Meisterwerk subtilsten Einfühlungsvermögens, das unter Reinhardt seinerzeit mit Waldau und Helene Thimig an der Spitze im Wiener Josefstädter Theater eine

Glanzaufführung erlebte, auf seiner Premierenfahrt in die deutschsprachige Schweiz aufgenommen wurde. Die Bewährung galt ja nicht dem Stück, das bekannt und gewünscht war, sie galt dem Ensemble, das erstmalig nach der Revolution der vergangenen Jahre die kulturelle Verbindung mit dem Ausland wiederherstellen sollte. Das als Repräsentant der großen Kunst- und Theatertradition Wiens wieder einen Weg in die Zukunft bahnen sollte.

Man darf sagen, der Versuch dazu ist über Erwarten gut gelungen. Das hochbegabte, kritische, den besten Gesellschaftsund Kulturkreisen der Städte Zürich, Bern und Basel aigehörige Premierepublikum folgte jeder Phase des Spieles und der Spieler mit einer Aufmerksamkeit und Anteilnahme, die ihre Erwartungen erkennen ließ, und bereitete den Wieher Gästen am Schlüsse eine solch offensichtlich begeisterte Huldigung, einen stürmischen und lange andauernden Applaus, daß man als Österreicher stolz und ergriffen war, wenn man es miterleben durfte

Von den Besprechungen der großen Schweizer Zeitungen, die streng und unparteiisch Für und Wider abwogen, mag als Resonanz hier nur Dr. J. Welti, zuständiger Redakteur der „Neuen Zürcher Zeitung“ zu Worte kommen, der in seiner Nummer 718 vom 25. April 1946 schreibt: „Was für begnadete Schauspieler sind doch diese Österreicher! Wie sie trotz gelegentlicher unvermeidlicher Nachkriegsbesetzungen einzelner Rollen körperhaft und sprachlich Hofmannstha! wiedergeben, ist unvergleichlich. Namentlich den Dialog, diese wundersame geschliffene und schmiegsame Hauptwaffe des Dichters handhaben, sie mit einer stupenden Selbstverständlichkeit. — Man spürt den Geist der einstigen Reinhardtbühne an der Donau, die Verpflichtung, die kulturelle Tradition hochzuhalten. — Erstaunlich rasch scheinen Spieltrieb und Lebensoptimismus dieser Wiener Künstler die schweren Zeiten überwunden zu haben. — Die Premiere ist eine freudige Überraschung geworden.“ —

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