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Begegnung mit der Seele des Ostens

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Es ist immer, subjektiv betrachtet, ein Unsinn, wenn'man gegen ideale Anschauungen mit brutaler Gewalt, Kerker und Schwert ins Feld rückt. Man unterliegt jedesmal, muß unterliegen. Die größten Kanonenkugeln können geistige Wesen nicht verwunden. Dr. J. Scheicher: „Erlebnisse und Erinnerungen“

1 9 3 8. Hitler besetzt Österreich und schickt sich an, tief in den slawischen Raum einzubrechen. Rußland — der Osten — die große Unbekannte — vom Dritten Reich hybrid unterschätzt, vom Westen zögernd unter vielen Rückzügen umworben. In den geistigen Raum der kommenden Auseinandersetzungen bricht Walter Schubarts Werk ein: „Europa und die Seele des Osten s'V Freund und Gegner, die sich sofort um dies Werk bilden,; erkennen seine Bedeutung: in Westeuropa erregt und erschüttert es alle wachen Geister, Hitler läßt es nicht nur verbieten, sondern verfolgt es unter Einsatz aller seiner Machtmittel; so kommt es, daß dieses 1938 in Luzern (Vitanova-Verlag) erschienene Werk so gut wie unbekannt in Mitteleuropa geblieben ist. Hitler wußte, was er tat: Die Arbeit des. Rigaer Gelehrten verkündete nicht mehr und nicht weniger als das, notwendige machtpolitische Scheitern der westeuropäischen und zumal der deutschen Welt im kommenden Kampf mit dem Östenl

Was ist Schubarts Anliegen? Der Autor bekennt: „Diesem Buch liegt ein einziges elementares Erlebnis zugrunde: das Erlebnis des Gegensatzes zwischen dem westlichen und östlichen Menschen. Es steht nicht im Zeichen des Untergangs, sondern der Erneuerung des Lebens. Es ist nicht vom bedrohten Westen, sondern vom erwachenden Osten her empfunden. Es ist außerhalb der romanisch-germanischen Völker entstanden, räumlich und geistig, an einem Punkt, von wo sich der Blick über das Abendland als Ganzes werfen ließ.“ Dieser Punkt ist Riga: Wer vor dem Schwarzhäupterhaus steht, in St. Nikolai Bach und Buxtehude hört, im weiten Land ringium die Burgen des Deutschen Ordens sieht, erlebt den „W e s t e n“. Geballte zielbewußte Macht, punktförmig konzentriert in einsam-einzelhafter Formung, spitz in den Himmel in Ehrgeiz und Selbstbehauptung ragendes Turmwerk, Energie, Tatkraft, eigenwilliger Geist, Herrschsucht und Sich-selbsf-wollen, Wer aber aus der Stadt tritt, im Dämmerlicht des im Mai bereits heiß aufbrechenden Frühsommers, schaut den Osten: die Düna, Botin aller Ströme des großen östlichen Stromlandes, trägt schwer und geduldig ungeheure Holzlasten aus der Tiefe Rußlands herbei, die Ebene, die aus dem Osten kommt, verliert sich tief in den Westen hinein. Und, wenn du dich nun anschickst,. in diesen Osten hineinzugehen, durch lichte Birkenwälder, an den dunkel schimmernden Augen glitzernder Seen entlang — Entfernungen.sind niiit mehr von Bedeutung, wenn du sie als Weite und Fülle des Landes erlebst —, dann wirst du eines Tages vor einer niederen Mauer stehen, die überrankt ist vom Blühen und Grünen der Bäume; trittst du in ihr Gehege ein, ragen dir blaue Kuppeln, übersät mit goldenen Sternen, entgegen, in Rot und Gold und dunkelnder Bräune hängen Ikone an blendendweiß strahlenden Mauern, ein junger Mönch mit lichtem Schopf huscht vorbei: Petseri. Klosterwelt cjes Ostens! Wenn du aber immer weitergehst, durch das weite Land, am See entlang, wirst du, an R e v a 1, dem „nordischen Nürnberg“, vorbei, bald am Meer vor den Ruinen zartester, spätester westlicher Gotik stehen: ein Brigittenkloster, wenige Jahre nach seiner Erbauung von ' Iwan dem Schrecklichen niedergebrannt... Wieder weiterwandelnd, an Katen, Hütten und Schlössern vorbei, durch das weite östliche Land, kommst du endlich auf riesige Plätze, welche die Unendlichkeit zu bergen scheinen in ihrer wohlberechneten Endlichkeit: es sind die „Prospekte“ der Stadt Peters und Lenins. Nun läßt du dich aber nicht mehr täuschen — du weißt es ja schon von Riga her: du brauchst nur vor die Tore der Stadt zu treten und alles Gewollte, Geplante, Gelenkte und Gekonnte fällt von dir ab — Unendlichkeit umfängt dich — du kannst immer so weitergehen ...

In Riga also, in der Stadt der Begegnung zweier Welten, hat Schubart sein Werk geschrieben. Was sieht sein Auge in Riga

— 1938? „Der Gegensatz zwischen Ost und West hat den Höchstgrad seiner Spannung erreicht, und ungeheuer wie“sie', ist' die Sehnsucht nach ihrem Ausgleich. Die Spannung ist uralt, aber das bewußte Ringen um ihre Lösung hat noch nicht eingesetzt, wenigstens nicht in Europa. E s wird das letzte und größte Thema de; abendländischen Geeistes sein.“ — „Hauptaufgabe lebendigen Denkens ist immer die Mitgestaltung des notwendig Kommenden. Dieses Kommende aber ist der Weltkampf und Ausgleich zwischen Westen und Osten und die Geburt einer west-östlichen Weltkultur durch den johinneischen Menschen als Träger eines neuen Zeitalters.“

„Das West-Ost-Problem ist zuerst eine Frage der Seele.“

„Morgenland und Abendland sind nicht nur geographische, sondern auch seelische Begriffe.“

Schubart steht geistig in der großen Tradition der Denker der deutschen Romantik — Sendling, Baader —, die zugleich der Ausgangspunkt für viele große russische Denker des 19. Jahrhunderts geworden sind. Die Tatsache, daß Schubart sich auch ihrer Begriffe und Vorstellungen (wie zum Beispiel „prometheischer“ = westlicher, „johanneischer“ = kommend-künftiger westöstlicher Mensch) bedient, besagt jedoch noch nicht, daß er selbst „Romantiker“ sei, im üblich abfälligen Sinn des Wortes, wohl aber ist er dies in seinem tiefsten Anliegen, das auf Zusammenspannung, auf kommenden Ausgleich letzter und gewaltigster Gegensätze zielt. Schubart will den „Westen“ nicht verlästern, wenn er sich auch gezwungen sieht, ihm bittere Wahrheiten zu sagen, und will Rußland nicht verhimmlichen, wenn er im Hinblick'auf tausendjährige Wesenszüge des östlichen Menschen diesem eine messianische Berufung in der Begegnung mit dem Westen zuschreibt! — Vereinfacht dargestellt, standen sich im letzten Jahrtausend, zumindest seit dem 12. Jahrhundert, nach Schubart Ost- und Westmensch dergestalt gegenüber: auf der einen Seite der „prometheische Mensch“ des Westens, der eigenwillig einzelne, macht- und ichhungrige, rationalistische und sentimentale, technische und nationalistische „Sachmensch“, der. rücksichtslos gegen Gott, Kosmos, Natur und Mitmenschen entschlossen ist, sich die Welt als sein Eigenheim, als sein „Reich“ der Macht und Kultur, der Wirtschaft und Wissenschaft aufzubauen. Dieser ichsüchtige, nervöse, allesbegehrende Mensch lebt in einer „Kultur der Mitte“: um seine Person, um sein Ich muß sich alles zentrieren, was sich ihm nicht fügt, wird zerschlagen, vernichtet. Er ist der Mensch der „Urangst“: sein Hasten und Jagen, ehedem zuerst nach Gott (in seiner Theologie zumal seit der Reformation), dann nach Wissenschaft und Wirtschaft, Geld und Erwerb — seine geistlichen und weltlichen Sekten und Imperialismen — all dies ist nur ungewollte Aussage und Ausdrucksform tiefster Angst, tiefsten Mißtrauens des aus dem großen Zusammenhang des göttlichen, menschlich und natürlichen eigenwillig Ausgeschiedenen! Zwang und Zwiespalt, Unrast und Gewalttätigkeit, anmaßende „Wissenschaftlichkeit“, raubgierige Technik und mörderische Politik charakterisieren nach Schubart diesen Westmenschen. Dieser Mensch muß zugrunde gehen im immer rasender werdenden selbstmörderischen Kreislauf seiner Allwirtschaft, Wissenschaft und Politik, wenn er nicht in letzter Stunde einen neuen Ruhepunkt findet: in der Begegnung mit der Seele des Ostens. Der prometheische Mensch lebt in einem „Punktgefühl“ — er, selbst ist brennender und ewig protestierender Herzpunkt der Welt, der östliche Mensch lebt in einem „Allgefühl“: mit seinen Strömen und Wäldern, seinen Liedern und seinen Lejden, seiner tragischen tausendjährigen Geschichte (das Geschehen endloser Unterdrückungen durch fremde Mächte) ist er eingebettet in die Harmonie des Kosmos und nimmt auf Erden — im östlichen Osterfest — schon teil an der Verklärung und Heimholung der Natur in Gott. Der Urangst des Westens tritt sein Urvertrauen gegenüber: er hat immer Zeit, er weiß, daß jede Not sinnerfüllt sich wenden wird, er schätzt nicht das hastende Wort, sondern das duldende Schweigen, nicht die Eigenliebe des „Einzigen und seines Eigentums“ (um mit Stirner zu sprechen), sondern die selbstverständliche Brüderlichkeit des Mit-dienens und Mittragens. Der westlichen „Kultur der Mitte“, diesem' bornierten Sicher-sein-wollen in der Fülle eigener Kraft und Herrschcrlichkeit, diesem Sich-selbst-behaupten-wollen um jeden Preis, trat in Rußland eine „Kultur des Endes“ entgegen: ein Leben im Blick auf eine ferne Erfüllung, am Rande der Dinge, nie ganz hier, ganz „gegenwärtig“, immer -auf der Wanderschaft — die Straßen des „heiligen Rußland“ von Moskau nach Kasan und Kiew waren jahraus, jahrein überfüllt von Pilgerscharen —, aber auch heute hört das Wandern nicht auf . . Eine Existenz zwischen Himmel und Hölle, furchtbarer Abbruche aber auch Aufbrüche fähig (die vielberufene „schirokaja natura“ — die „breite Natur“ des Russen). Dieser Mensch. ;4.?fl; Endkultur kämpft noch als „Gottloser“ religiös mit nrrd-unvGntr, W5tbrend“de** westliche Mensch selbst in betonter Kon-fessionalität klug-sicher Gott zu umgehen und zu hintergehen weiß.

Schubarts Kapitel über „westliche und östliche Gottlosigkeit“ ist eines der bedeutsamsten des Buches. „Mangel an Religiosität, selbst noch in religiösen Systemen — das Kennzeichen des modernen Europas. Religiosität, selbst noch in materialistischen' Systemen — das Kennzeichen ( des Rät£-russentums.“ Schubart ist kein besonderer Freund der Sowjetunion und er macht daraus kein Hehl. Aber um so bedeutsamer die historische Würdigung, die er ihr zuteil . werden läßt. Im Osten wächst ein neuer Mensch heran, ein neues Geschlecht. In Rußland ist ein Menschentypus im Werden, der nicht einfach der Mensch vor 1917 oder vor 1689 (Peters Reformwerk) ist, sondern ein neuer Mensch mit einer östlichen Seele, aber einer, der durch die westliche Kultur wie durch einen Härtungsprozeß hindurchgetrieben wurde. Er ist echter Russe und zugleich Erbe der ewigen Werte ' des Westens. Er entzündet sich im Slawen, aber am Gegensatz und Gegenbild Europas. Zwischen dieser jungen Generation des Ostens und der alten des Westens sei — und dies ist der Glaube Schubarts— „ein Ausgleich möglich: bei lebendigste; Anspannung aller geistigen und seelischen Kräfte auf beiden Seiten, da sowohl in der Entwicklung des Westens wie auch der des Ostens, in den letzten Jahrzehnten sich bereits ein Näherkommen anbahnt“. Der west-östliche Ausgleich fordere keinen Selbstverlust, auf keiner von beiden Seiten. Er bedeute nicht, daß sich Europa in einen Teil Rußlands verwandeln, oder daß sich Rußland dem westlichen Wesen verschreiben soll, sondern -daß zwei seelische Potenzen zueinanderstreben, die sich berühren müssen, um das Vollkommene hervorzubringen. Schubart ist kein Romantiker, aber er glaubt an einen neuen Aufgang und ist deshalb der stärkste geistige Gegenpol nicht nur Spenglers, des Wegbereiters Hitlers, sondern aller jener, welche die Angst bewegt, der besonnenen Begegnung von West und Ost ausweichen zu wollen.

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