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Beginn mit Nestroy, Lengyel und Priestley

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Die ersten Premieren im Volkstheater und in der Josefstadt

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Die ersten Premieren im Volkstheater und in der Josefstadt

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Die Saison begann sehr bedeutungsvoll. Eine extreme Nestroy-Inszenierung leitete sie ein, eine Welturaufführung gab ihr Gesicht, ein neuer Priestley sorgte für Aktualität. Und doch wirkte das ganze unverbindlich. Der „Lumpazivagabundus” im Volkstheater beeindruckte noch am ehesten. Es fröstelte einen bei dieser Aufführung. Nestroy wurde „entzeitlicht”: indem man ihm das Biedermeier abräumte. Gustav Manker ergriff die Zauberposse und riß ihr den Zauber vom Leibe; die Posse ließ er bestehen, kleidete sie aber in ein härenes Bußgewand höchst moderner, höchst trüber Erkenntnisse über die Unversöhnlichkeit des Lebens. — Bis jetzt hatte man Nestroy „aktualisiert”, indem man den alten Couplets neue Strophen anhängte; Manker radikalisierte ihn. Er hätte zu diesem Zwecke ein von Haus aus radikaleres, schärferes Stück hernehmen können, aber es schien ihm extremer, ein Frühwerk zu wählen, bei dem Nestroy selbst noch „relativ” ausgelassen und voller Bühnenzauber war. Vielleicht griff er auch deshalb so weit zurück, um der ganz alten „Pawlatschen” näherzukommen, mit deren schlichterer Oede er auf der Bühne ein Exempel statuierte. Gleichviel — was wesentlicher ist: die positive Abschlußszene fehlt. So fahren die zwei Vaganten, der Säufer Leim und der Verschwender Zwirn, ohne Rücksicht auf Verluste in die Hölle. Hier ward Nestroy beim Wort genommen. — Für den obligaten Schabernack sorgten Fritz Muliar und Harry Fuß, als althergebrachte Nestroy-Figuren bestachen Walter Kohut, Karl Skraup und Susi Peter. Die Kostüme schuf Maxi Tschunko.

Im „S t i 11 e n H a u s” der J o s e f s t a d t herrscht die junge Weiblichkeit. Vier Töchter einer abgehärmten Witwe. Infolgedessen ist es gar nicht so sehr still. Im Gegenteil — es geht recht laut und unerquicklich zu, und das hat seine Gründe: die jüngste Tochter gehört eigentlich gar nicht ins Haus, denn sie ist die Tochter einer sehr zweifelhaften Dame. Die zweitjüngste spielt unverdrossen Klavier, die dritte ist kalt und selbstsüchtig und eher laut in ihrer Abneigung gegen so ziemlich alles, und die Aelteste hat Krach mit ihrem Mann. Und damit die Sache ihren rechten Sinn bekommt, erbt ausgerechnet die unechte Jüngste (von eben der anrüchigen Dame) ein riesiges Vermögen, und verliebt sich mit Erfolg in den jungen Mann, den die rigorose ältere Schwester heiraten muß. Da muß es heftig zugehen. Mit vielerlei Bonmots, mit ein paar Frivolitäten — und reichlich albern. — Der Autor, Melchior L e n g y e 1, überließ sein Werk als Welturaufführung der Josefstadt; wohl weil er meinte, daß uns das Milieu der Jahrhundertwende so sehr liegt. Womit er zwar nicht ganz unrecht hat, wobei er aber übersah. daß man in Athen fremden Eulen gegenüber sehr kritisch war. So kam es (was am Broadway wahrscheinlich nicht so sehr ins Gewicht fällt), an den Tag, daß schon Sudermann angesichts solcher Thematik gezwinkert hat. Mit einem Seitenwink zur Eschstruth. — Zu Lengyels Ehren teilen wir gerne mit, daß er nur Mitverantwortlicher ist, daß sich sein Anteil, die Dramatisierung eines amerikanischen Bestsellers („Quiet Room” von Jean Dalrymple sehen lassen kann. Dasselbe gilt für die Inszenierung Werner Krauts: sie war von hinreißender Josefstädter „Noblesse”, mit einem prächtig schönen Bühnenbild (Otto Niedermoser) und zauberhaften Kostümen (Hill-Reihs- Gromes). Erlesen in ihren Rollen: Vilma Degischer, Maria Emo, Luzi Neudecker, Chariklia Baxevanos, Erich Nikowitz, Guido Wieland.

Im „Somm er ta gf t raum” im Volkstheater, bei John B. Priestley gab es eine Utopie: die Atombombe war gefallen. Das Empire war tot und viele hunderttausend Briten. Albion war vergessen, die Flora schoß ins Kraut. Ein kleines Häuflein Victo- rianer, das die Katastrophe überlebte, besann sich auf die Landwirtschaft und auf den Handel mittels Tausches, auf das Glück des Lebens ohne Hast und Straßenlärm und auf die Hauskonzerte der einstigen Normannen. Und alle Engländer waren gut, es war fast wieder wie im Paradies, mit gutem Ale und guter Milch und guten Leinenstoffen und ohne Radio. Da kam im Jahre 1975 per Atomhubschrauber mißlicher Besuch: ein Mr. Heimer aus den USA, eine Sowjetbeamtin und ein Mann der Wissenschaft aus Indien (die neuen, postatomaren Weltbeherrscher), um Britannien wieder zu „erschließen”. Es kommt zu Diskussionen. Old-England ist der Kläger, die Amerikaner und die Sowjets (als Angeklagte) sitzen an einem Tisch und sind ziemlich einig. Der Inder — etwas’ abseits und etwas bitter auf seine beiden Kol«; legen. Ein echter british-dream, ein echtes british- play, mit vielen Spitzen, mit intelligenten Redensarten, mit dem Gesprächsstoff einer besseren Stammtischrunde liberaler Europäer, die die patriarchalische Lebensform preisen, den Amerikanern grollen (und in puncto Rußland meinen: Sind auch nur Menschen, so wie wir). — Am Rande ein paar technische Details über die Unarten der Wissenschaft und die künftige Massenkonsumindustrie, der Rest: Betrachtungen über die Chancen des menschlichen Kontakts eines jungen, verträumten Engländers zu einer Kommissärin. Als Ausdruck für J. B. Priestleys illegitimen Flirt mit dem Osten. Die verklärte Inszenierung ist von Prof. Leon Epp. die bewährten Darsteller der Handlung: Eva Zilcher, Heinrich Trimbur, Hans Frank, Elisabeth Epp. Friedrich Palkovits, Viktor Gschmeidler, Ludwig Blaha, Henriette Hieß. (Bühnenbild: Prof. Willi Balmer; Kostüme: Maxi Tschunko.)

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