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Beglänzter Alltag

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DIE REGENBOGENBRÜCKE. Gleichnisse, Legenden und Begebenheiten. Von Gertrud Steinst z - M e tzle r. Verlag Herder, Wien. 189 Seiten. Preis 52 S.

GELIEBTER ALLTAG. Von Gitta von Cetto. Dietrich-Verlag, Memmingen. 190 Seiten. Preis 9.80 DM.

Gertrud Steinitz-Metzlers Betrachtungen und Traktate, an alltägliche Erlebnisse und Begebenheiten anknüpfend, wie sie uns allen begegnen, werden für die Autorin zu Gleichnissen, die aus der Zeit in die Ewigkeit führen. Es geht dieser frauimmer um die .lnenschliche Aufgabe, die uns gestellt ist, um unser Verständnis für den Mitmenschen und um die kleinen Dienste, mit denen wir einander das Leben erhellen können. Sie spricht einmal vom „Verstehen, das sich zwischen Ufer und Ufer begibt“. Und in der kleinen Skizze „Das Fenster“ stehen die Worte, die man als Leitsatz über das ganze Buch setzen könnte: „Einst sah ich nur die Sterne. Das kam daher: ich war zu jung. Später sah ich nur das Kreuz. Das kam daher: ich war zu ichbefangen. Heute sehe ich beides: das Kreuz und die Sterne. Sie gehören zueinander wie eben das Leid und das Licht zueinander gehören. . .“

Gitta von Cetto geht es um eine handgreiflichere Bewältigung des Alltags, dessen Tücken sie mit weiblichem Scharfblick aufspürt, um ihnen mit viel Humor und Ueberlegenheit zu Leibe zu rücken. Eine handfeste Lebensklugheit zeigt sie dabei gegenüber den praktischen Problemen, und, was noch besser ist, viel herzliche Anteilnahme, wo es sich um die mitmenschlichen Beziehungen dreht. Daß die Autorin nicht nur amüsant schreiben kann, sondern auch ein warmes, klarblickendes Herz hat, erweist zum Beispiel ihr „Wunschzettel einer Frau“, in dem der heutige Lebensstandardfimmel mit all seinen kostspieligen Bedürfnissen gegen die einfachen Freuden der „guten alten Zeit“ abgewogen und zu leicht befunden wird.

„Neben der Rückschau, die mir und allen Frauen verziehen sei, vergessen wir doch nicht die Umschau in die Gegenwart. Denn heute sind wir es, wir Mütter, Tanten und Großmütter, die kleine Wünsche erfüllen können, und es wird die Erinnerung an unsere Hände sein, an unsere Stimme, an unser Lachen und unsere Güte, um die die Gedanken der Jungen später einmal kreisen werden, wenn sie ihren heimlichen Wunschzettel schreiben.“ Beherzigenswert, fürwahr!

Dr. Anneliese D empf

NOCH BLEIBT DAS ERBARMEN. Roman. Von Gerald H a n 1 e y. Aus dem Englischen von Roswitha Plancherel-Walter. Walter - Verlag, Ölten und Freiburg im Breisgau 1958. 334 Seiten.

Ein Anarchist wird in diesem Roman nach Barcelona geschickt, um, wie es im Jargon dieser Leute heißt, einen früheren Agenten „umzulegen“. Der Mann war sonst nicht zimperlich, aber seit einiger Zeit hat sich, zu seinem Mißvergnügen, etwas in ihm bemerkbar gemacht, das ihm seine „Arbeit“ nicht erleichtert. Er hat' ein Gewissen bekommen, fühlt sich nun schmutzig und gemein, und versucht, sich seinem Auftrag zu entziehen. Aber unentschlossen, zögernd und noch nicht mit sich im reinen, läßt er sich noch von den Leuten treiben, die ihn in den Händen haben, und begeht den Mord, um dann auf die Flucht zu gehen. Aber seine Flucht wird ein jäher Sturz in den Tod, und dem Gott, der schon nach ihm gegriffen hatte, bleibt jetzt nur noch das Erbarmen.

Mit diesen Andeutungen müssen wir uns hier begnügen. Aber sie dürften schon ausreichend sein, um die Greenesche Sphäre zu erkennen, in die dieser Roman mit seinem „tödlichen Spiel mit der Gnade“ hineinreicht. Denn der Schluß — ich meine das Ende des Agenteninörders Brennan — ist ein so typisch Greenescher Schluß, daß man sich ohne langes Besinnen an „Brighton Rock“ erinnert und an das Ende des Verbrechers Pinkie, an das gefährliche Spiel mit der Reue noch im letzten Augenblick „zwischen Sattelhorn und Erdenrand“. Von Graham Greene ist auch so offensichtlich die Textur dieses Romans des Iren Hanley, daß man sich wundert, warum man das noch zu bestreiten wagt. Weil in den Randbereichen außer Greene noch Marshall hinzukommt? Denn dieser Schotte hat auch etwas hergegeben, mindestens seine spanische Soledad aus „The fair bride“. Sie ist bei Hanley zum guten Hürchen Lolita geworden, zwar etwas derber geraten und ohne die faszinierende Zartheit ihres Vorbilds, aber sie ist doch eben da und hat im Roman die gleiche Funktion. Auch ein Greenesches Mädchen ist vorhanden, eines der guten, braven und treuen, das Schwesterchen Una, das so liebebedürftig ist, aber im Verlauf der, Vorkommnisse etwas an Substanz verliert. Woraus sich ergibt, daß man zwar nicht von Nachahmung leden kann, aber davon, daß Hanley noch seinen eigenen Weg zu suchen hat. Er bleibt noch hinter seinen Vorbildern und Anregern zurück, in der Komposition und in der Diktion, in der Binnenzeichnung der Gestalten und in der Begabung Greenes, eine Spannung zum Zerreißen zu erzeugen. Es liegt bei Hanley alles noch um eine Stufe weiter unten, aber, immerhin, es ist schon vieles da, das sich entwickeln könnte. Darum ist dieser Roman bemerkenswert, als eine Hoffnung und Erwartung.

Bert Herzog

DIE VERLORENE GELIEBTE. Begegnungen im goldenen Prag. Von Johannes U r z i d i 1. Verlag Herder, Freiburg. Herder-Bücherei, Band 27. 206 Seiten. Preis 12.60 S. - PRAGER TOTENTANZ. Ein Roman aus den Tagen der Revolution von 1945. Von Olga B a r e n y i. Schild-Verlag, Wien. 320 Seiten. Preis 107.45 S.

Prag ist eine jener wenigen Städte der Welt, von der niemand loskommt, der je in ihren Mauern zu Hause war. Wer sie verlassen muß, den verläßt nie die Erinnerung an sie. Beispiel dafür sind die beiden hier angezeigten Werke, die Bücher des Abschieds zweier Dichter von der „Goldenen Stadt“ sind, die, sie beide verlassen mußten. Der eine 1939 als Opfer des hereinbrechenden NS-Regimes, die andere als Opfer der Ereignisse von 1945.

Johannes Urzidil, der heute in den USA lebt, ist einer der letzten aus der großen Gruppe von Dichtern, die Prag seit Jahrzehnten der Welt schenkte. Er war der Freund und Weggefährte der Kafkas, Brod, Werfel, Rilke. Seine Sprache ist so schön und so still, so voll tiefer Wehmut und doch versteckter Dämonie, wie sie jenen böhmischen Dichtern von Stifter bis Rilke eigen ist. Sie ist besonders auspräg-sam in dem kleinen Bändchen, das Erinnerungen des Dichters an seine Kindheit, seine Schulzeit wiedergibt, das Erinnerungen an die alte Monarchie, die erste tschechische Republik, den Einbruch des Hitlerismus heraufbeschwört. Das vor allem Erinnerungen an Böhmen, an Prag, an die verschwundene böhmische Welt dem Auge des Lesers vorzaubert. Obwohl das Bändchen klein an Umfang ist, ist es doch ein bedeutendes Werk.

Nicht das gleiche kann von dem Roman „Prager Totentanz“ gesagt werden. Die Maitage 1945 in Prag waren von einer abgrundtiefen Dämonie, sie dichterisch einzufangen, wäre wohl ein Shakespeare oder Dostojewskij nötig. Solange nicht ein solches Talent sich an die Tragödie der Menschheit wagt, wird jeder andere Versuch in den Formen einer mehr oder minder gelungenen Reportage steckenbleiben. Ein Schicksal, das auch das genannte Werk teilt. Rühmend sei hervorgehoben, daß es sich bemüht, einer Schwarzweißfärberei fernzuhalten.

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