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Liebe Sommerzeitgenossen!

Zu Wasser und zu Land, zu Fuß, per Fahrrad, mit Auto, Omnibus, Schiff und Bahn werden Sie in die Welt hinausfahren. Sie wissen vielleicht wohin; manch einer wird ins Blaue fahren, wird landen, wo es ihm gerade gefällt, oder wo der Regen und das Unwetter ihn befallen. Das Ziel Ihrer Reise ist eigentlich nicht sehr wichtig. Sie werden ja die Erde nicht verlassen, selbst wenn Sie in Hunderten von Metern über dem Erdboden tausende Kilometer der Entfernung mit dem Flugzeug fahren. Sie werden uns erhalten bleiben und — die meisten werden wiederkehren.

Denken Sie daran, daß Sie wiederkommen müssen und wieder mit dem beginnen werden, was Sie für eine oder sechs oder acht Wochen verlassen haben. „Nichts verliert die Erde“ — sagt der Dichter; er meint, daß wir Daheimgebliebenen Sie nicht verlieren werden; und daß Sie Ihre gewohnten Stätten, den Rückhalt im Heimkommen nicht loswerden können. Der eine oder der andere wird auf der Strecke liegenbleiben und nicht wiederkommen: für ihn war die Ferienfahrt die letzte Fahrt. Wer weiß, wem diese beschieden ist. Bedenken Sie auch dies. — Ich will Ihnen nicht die Freude an den Ferien verdrießen, wenn ich vom Bleibenden oder vom Tode spreche; ich möchte nur jene unmenschliche Leichtsinnigkeit von Ihnen fernhalten, die Ihre größte Enttäuschung werden könnte: Sie sollen einrechnen, daß die „Condition humaine“, die Beschränkung des Menschseins, Sie nicht verlassen wird, wenn Sie die Normalität und Gewohnheit Ihres Alltags für die Länge eines Urlaubes aufgeben.

Sie werden eine Zeitlang nicht daheim sein. Der Ausgangspunkt ist klar. Bedeutet das nicht ein Opfer? Sie müssen doch Gewohnheiten aufgeben. Lind Sie werden bald merken, wie leicht Sie diese aufgeben können! Würde man von Ihnen während des Arbeitsjahres solches Opfer verlangen, wären Sie sicher trostlos und sehr grantig. Sie nehmen in Italien mit Freuden den Espressokaffee, während Sie daheim über jedes Manko an Milch ungehalten wären — aber in Venedig schmeckt Ihnen der „Schwarze“ ausgezeichnet. Sie lieben daheim keine Nockerln, weil Sie kein Schwabe sind; aber in Österreich finden Sie diese köstlich (natürlich mit Paprikagulasch). Sie werden sich ertappen, wie Sie plötzlich auch anders und anderes können — nur weil Sie einmal sich vorgenommen haben, sich als Reisender zu gebärden. Vorsicht, lieber Sommerzeitgenosse! Wenn Sie wieder heimkommen, revidieren Sie Ihre Gewohnheiten: Sie machen sich selbst, Ihrer Familie, Ihren Nachbarn und Arbeitskollegen einen großen Spaß, wenn Sie einmal auch „daheim“ eine Gewohnheit aufgeben können.

Gewiß — Sie werden sich dafür ein oder zwei andere Gewohnheiten zulegen. Das macht aber nichts, denn auch diese sind im nächsten Jahr schon wieder wandelbar. Wer dickköpfie Gewohnheiten pflegt, wird niemals für geistige und göttliche Überfälle reif sein; wird nicht dem gewachsen sein, was das größere Leben, das ewige Leben ihm zumutet. Auf Reisen könnte man lernen, religiös zu werden.

Sie werden also reisen. Urgroßvater reiste noch mit der Postkutsche. Das soll Ihnen ein Trost sein, wenn die Züge Verspätung haben; wenn die Bahnen oder Autostraßen überfüllt sind; wenn die Bequemlichkeit nicht dernier cri ist. Nehmen Sie sich Zeit — dann haben Sie auch den nötigen Humor zum Reisen. Sie werden gewiß komische und interessante Menschen finden; Sie werden bei Zugsverspätungen neue Städte und Gegenden entdecken. Eilen Sie nicht, denn Sie haben ja Ferien. Gewöhnen Sie sich in den Ferien an die Gewohnheit, Zeit zu haben. Nichts ist eilig — Ihr Ziel wartet schon auf Sie und wird Sie auch einen Tag später in Empfang nehmen.

Lassen Sie sich von jedem Augenblick und jedem Acker unterwegs beschenken, er ist neu, selbst wenn Sie ihn schon im letzten Jahr an der gleichen Stelle erlebt haben sollten. Nicht das Ziel macht die Ferien aus; schon die Reise gehört dazu. Also eilen Sie nicht. Es ist eine Unsitte des inneren Menschen, wenn er dem Gott der Schnelligkeit die Brücken und Wege unterwegs opfert. Da wir ohnehin viel zu schnell aus einem Klima ins andere wechseln, mit Bahn und Auto, mit Flugzeug und anderen technischen Mitteln (die normale Ortsveränderung wäre ja die Wanderung und nur sie!), kommen Sie doch noch viel zu früh und müdegereist an Ihrem Ziel an. Die Schnelligkeit können Sie als ein geistiges Erlebnis auffassen; nur dann ist sie berechtigt.

Haben Sie schon einmal daran gedacht, daß alle Menschen, in jedem Dorf, in jeder Stadt, die Sie übereilen, "Vaterunser“ sagen und beten? Wie merkwürdig: Sie kommen bei aller Eile nicht von der Stelle. Ueberau (und dies seit zwei Jahrtausenden) kommen Sie vom selben Gott, durchfahren den gleichen Gott und landen bei Ihm, der sich immer gleichbleibt. Es gibt eines, was über der ganzen Erde Raum und Zeit nicht verändert: Gott und Ihr Gebet. Falls Sie Gott nicht annehmen und deshalb auch nicht zu beten verstehen, werden Sie eines Tages an der Eile zugrunde gehen. Bedenken Sie doch: Sie müssen jeden Tag des Jahres eilen und werken und arbeiten; in den Ferien werden Sie wiederum arbeiten, da die Leistungen der Schnelligkeit die größte Arbeit sind, werden Sie da nicht verrückt werden: ausgerüttelt aus sich selbst, durchgerüttelt von der Eile Ihre Seele verlieren? Sie werden bei Reisen ohne Gott und nur mit dem Götzen der Eile ein Psychopath werden: Ihr Leben wird sich verflüchtigen, wie die Landschaften zu Ihrer Seite.

Vergessen Sie, bitte, nicht Ihre Sonnenbrillen — verschönern wird diese Sie auf keinen Fall; aber es ist manchmal angenehm, hinter Masken zu sein: Sie sehen, aber werden nicht ganz gesehen. Daß Sie dabei wie ein vorsintflutliches Wesen aussehen, das soeben einem Museum entsprungen ist, braucht Sie nicht zu stören; falls Sie nicht in einen Spiegel schauen, werden Sie nicht vor sich selbst erschrecken. Unsere zeitgenössischen Augen scheinen die Sonne nicht mehr ertragen zu können; denn man hatte doch jahrtausendelang keine solchen Lichtdämpfer und die Menschen haben doch gelebt und geurlaubt. Es stimmt mich immer ein wenig bedenklich, wenn ich uns Zeitgenossen besehe (auch ich trage eine Sonnenbrille, aber nie vor dem Spiegel!): sind unsere Augen so krank und schwach, daß sie des Lichtes nicht mehr würdig sind? Oder lieben wir die Welt zu färben — uns einbildend, sie sei echter oder schöner durch das Grün oder Blau oder Braun der Brillengläser? Menschen, die in der Natur leben, brauchen keine Sonnenbrillen: weder die Baijern noch die Fischer oder Schiffer auf den Meeren und Seen tragen solche. Sonnenbrillen sind eine Erfindung der Städte. Kein Wunder, denn der Asphalt spiegelt und gleißt ein unnatürliches Licht aus und läßt zudem eine unnatürliche Hitze ausströmen, die unsere Augen verderben. Wenn Sie also in eine Stadt kommen auf Ihrer Ferienreise, setzen Sie Ihre Brille auf; dann werden Sie weniger als Fremdling empfunden, da Sie in allen Ländern Ihresgleichen treffen werden. Aber auf den Bergen und am Meer — je mehr Sie an der Natur leben, um so sparsamer seien Sie, bitte, mit den Sonnenbrillen. Denn sonst entgeht Ihnen das Grün und das Blau: es entgeht Ihnen dann Farbe und Impression des Wachstums (das Grün) und die Erlebnisse des Geistigen in der Natur (das Blau). Sollten Ihre Augen aber schon so städtisch verdorben sein, daß Sie auf alle Fälle eine Sonnenbrille benötigen, dann möge Sie dieser Umstand etwas stutzig machen: wie unnatürlich wir auf die Natur reagieren müssen. Kommt dies, weil wir unnatürlich in den Städten leben? Wir können das Licht nicht mehr ertragen, weil wir zuwenig licht in uns sind, weil wir die Finsternis mehr lieben und ihr verwandter sind? Wehe! „Gott ist Licht“ und wir sollen doch seit zwei Jahrtausenden „Kinder des Lichtes“ sein. Kästner sagt von den Zeitgenossen: „In ihrer Seele brennt elektrisches Licht.“ Künstliches Licht um uns; künstliches

Licht in uns; und bei natürlichem wie geistig göttlichem Licht die Sonnenbrillen außen und innen: Immerhin: Vergessen Sie nicht die Sonnenbrillen; an deren Notwendigkeit werden Sie sich selbst kennenlernen können.

Liebe Sommerzeitgenossen I Wenn Sie auf Ferienreise sind, denken Sie auch daran, daß nicht alle Menschen Urlaub haben. Es gibt auch solche, die daheimbleiben müssen, weil sie kein Geld haben; oder weil sie keinen Urlaub vom Du ihrer Arbeit und Umgebung bekommen können. Es ist nicht selbstverständlich, auf Urlaub zu gehen. Falls Sie also unterwegs sind, soll diese Reisezeit Ihnen äußerlich zeigen, was Sie innerlich auch jahrüber und daheim im Grunde sein müssen: Wanderer, Vagabunden oder Pilger. Die Wanderer gehen an ein bestimmtes Ziel zu einem bestimmten Zweck; die Vagabunden haben keine Heimat, suchen sich auch keine, sondern sind berufswegen unterwegs: Vagabunden sind die Gelegenheitsansässigen bei Arbeit und Mitmenschen; Pilger sind unterwegs zum letzten und äußersten Ziele, das nicht mehr auf dieser Erde ist: Pilger gehen vom Heiligtum des Jetzt in das Heiligtum des Todes und des ewigen Lebens. Pilger sind „Vagabunden Gottes“ oder „Wanderer zwischen zwei

Welten“. Was sind Sie, wenn Sie daheim sind? Ihre Fahrt in die Ferien wird es Ihnen offenbaren: ob Sie zweck- und zielbestimmt wandern; ob Sie in der Welt Gefängnis vagabundieren; oder ob Sie Pilger sind, die von Gott zu Gott gehen, der sich immer gleichbleibt, während nur Sie in Ihn hineinreifen sollen.

Gut, ich will Ihren Urlaub nicht mit vielen Bedenken beschweren; ich will kein Spielverderber sein für die Zeit Ihrer Erholung. Reisen Sie gut! Aber reisen Sie bewußt! Und mit viel Vergnügen! Geben Sie Ihre Gewohnheiten gründlich auf, ohne sie wieder aufzunehmen, wenn Sie erholt nach Hause kommen. Eilen Sie nicht zu sehr, denn alles hat seine Zeit: das Reisen und das Heimkommen, das Unterwegssein und das Warten. Und lassen Sie sich braunbrennen von der Sonne: nur keine Angst vor dem Licht, sonst verkümmern Sie sogar in den Ferien, wie eine Blume ohne Licht.

Die Welt ist voller Engel. Der hohe Engel der Reise begleite Sie und führe Sie dorthin, wohin Sie immer kommen müssen: zu den Gestaden des ewigen Meeres, zu den Pforten des Paradieses.

Leben Sie wohl! Kommen Sie gesund wieder!

Ihr Zeitgenosse daheim

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