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„Begonnen in der lieben Welt..

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Oskar Loerke: Gedichte. Auswahl und Nachwort von Hermann Kasack. 120 Seiten. 1954 —Oskar Loerke: Die Abschiedshand. Letzte Gedichte. 150 Seiten. Beide: S. Fischer Verlag, Berlin und Frankfurt am Main

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Oskar Loerke: Gedichte. Auswahl und Nachwort von Hermann Kasack. 120 Seiten. 1954 —Oskar Loerke: Die Abschiedshand. Letzte Gedichte. 150 Seiten. Beide: S. Fischer Verlag, Berlin und Frankfurt am Main

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Loerke steht außerhalb der Entwicklung der deutschen Lyrik des 20. Jahrhunderts. Mit George und Rilke verbindet ihn nichts. Seine Gedichte sind genauer, präziser als die Georges, und im Gegensatz zu Rilke fehlt ihnen jede Ichbezogenheit. Am ehesten scheinen seine Verse noch mit denen des englisch schreibenden Iren James Joyce vergleichbar, denn auch sie haben den verhaltenen Ton der ..Kammermusik". Mit Trakl hat Loerke das Spröde, Herbe. Schwerflüssige gemeinsam. Ebenso wie bei Trakl stehen seine Zeilen vereinsamt da, jede in sich abgeschlossen und sich selbst genug. Wortschatz. Farben und Weltschau trennen aber den abgeklärten Westpreußen vom Wesen des schwermütigen Salzburgers. Auch mit seinen expressionistischen Zeitgenossen Däubler, Goll und Benn hat Loerke nicht allzuviel gemein. Und es fällt nicht leicht, unter den jungen Dichtern der Gegenwart Anklänge an Loerke zu finden. Vielleicht, daß die eine oder andere Zeil bei Celan oder Forestier an seine frühen Schöpfungen erinnert. Doch bleibt dies immer nur eine äußere Aehnlichkeit. Das mag vor allem darin seinen Grund haben, daß die Gedichte Loerkes sehr persönlich sind. Das bedeutet nicht, daß sie sich mit seiner Person beschäftigten, im Gegenteil. Persönlich sind sie im Sinne unwiederholbarer Eigenart, in der LTrsprüngüchkeit ihres Gedankenganges, die Ausdruck einer ausgeprägten Persönlichkeit ist. Sie sind persönlich, so wie die Gedichte des späten Hölderlin persönlich sind. In jedem seiner Gedichte bleibt ein Rest, der sich dem Verstände nicht erschließt. Loerkes Naturlyrik begnügt sich selten mit gegenständlicher Darstellung. Fast immer wird sein Naturgedicht zum Rauchopfer, das seinen Ausgangspunkt verläßt und den Himmel aufsucht, ohne daß deshalb der Ausgangspunkt unwichtig wäre. Im Dichtergrab in Pompeji erkennt er den Reichtum des Gottes, und der Strom sagt ihm, daß di Ewigkeit mit einem Duft von Salz beginnen wolle. Meist aber ist für Loerke da konkrete Bild, auch wenn dieses aus der Erfah- , rung stammen mag, nur Beleg für einen Gedanken.

Der Gedanke ist dann primär, das Bild steht nur als Ausdruck einer verborgenen Realität. Hier kann es vorkommen, daß Loerke von einer solchen Fülle von Einzelbildern überwältigt wird, daß sie Eigenleben gewinnen: „Und Bild um Bild erbangt nach einem Sinn." Im deutschen Gedicht findet sich selten eine derartige Synthese von Ursprung und Reflexion.

Das Bild des Menschen Loerke. der eine der vornehmsten Gestalten der deutschen Dichtung seiner Generation war, rundet sich durch die Gedichte, die Kasack aus dem Nachlaß herausgegeben hat. „Begonnen in der lieben Welt, vollendet in der Hölle” schrieb Loerke nach Abschluß seine siebenten und letzten von ihm selbst herausgegebenen Gedichtbandes „Der Wald der Welt“ 1936, mit dem er ein Werk vollendet dacht . Loerke starb 1941 im Alter von 57 Jahren. Et war krank, aber er starb eigentlich an der Zeit. Seine späten Gedichte, insbesondere die des Kärntner Sommers 1939 und die der Altheider Zeit sind, soweit sie nicht bloße Richtsprüche darstellen, das ständige Bemühen, sich abzuschirmen von der Außenwelt jener geistfeindlichen Welt, die ihn in den letzten Jahren umgab. So schloß er sich ein in eine „mönchische Weltlitanei", wo er den reinen „Atem der Erde” und die stille „Pans- musik" vernahm. Hier, im Gedicht, war er zu Hause.

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