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BEI EINEM GRIECHISCHEN HIRTEN

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Da waren Felsen und Steine, dazwischen wuchs spärlich das Gras, das seine Schafe abweideten. Pulos, der Hund, hielt sie zusammen. Unten war die Straße; dort fuhren die Deutschen mit ihren schnellen Wagen. Weiter unten rauschte die Brandung und dehnte sich tiefblau die See. Über dem allen aber stiegen die Berge an. Dort lauerten die Partisanen auf die Deutschen.

Der Hirt schlief des Nachts in einer Höhle, er holte sein Wasser aus der nahen Quelle, er hatte sich Steine zu einem Herd geschichtet, auf dem er sein Essen bereitete. Er kümmerte sich nicht um die Deutschen unter ihm und nicht viel um die Partisanen über ihm. Sein Reich lag in der Mitte zwischen beiden. Manchmal nahmen ihm die Deutschen ein Schaf. Sie schössen es vom Auto aus ab und holten es sich dann. Manchmal gab er einem Partisanen eines, denn man mußte ihnen helfen, sie hungerten in den Bergen. Aber das schadete nichts, es gab immer wieder einen Wurf, und junge Schafe wuchsen heran. Die Herde wurde nicht kleiner.

Eines Abends kamen zwei Partisanen aus den Bergen. Pulos, der Hund, verbellte sie, denn sie waren ihm fremd. Der eine hieß Georgios, der andere Michael Georgios lächelte freundlich, aber Michael trug eine finstere Miene zur Schau und trat nach dem Hund, daß er jaulte.

„Wollt ihr euch Schafe holen?“ fragte der Hirt und strich sich über seinen verwilderten grauen Bart. Dabei musterte er die beiden etwas mißtrauisch, denn er hatte sie noch nie gesehen.

„Bestimmt, Alter, wir holen uns dann noch einige“, erwiderte Georgios, aber er sagte nicht, was sie vorher tun wollten. Auch Michael sagte nichts, sondern musterte mit finsterer Miene die Gegend, sah abwechselnd auf die Straße hinunter und dann wieder zu den Felsen hinauf. Sie luden das Maschinengewehr ab, das sie mit hatten, und versteckten es hinter einem Felsen. Dann strichen sie .im letzten Licht der Dämmerung umher, redeten miteinander, betrachteten die Felsen, suchten Plätze aus und maßen Entfernungen.

Der Hirt sah ihnen zu. Zwischen seinen buschigen Brauen stand eine besorgte Falte. Die Schafe lagen schon beisammen und dämmerten in den Schlaf hinüber. Pulos, der Hund, lag bei ihnen, spitzte bisweilen die Ohren und knurrte leise.

Die beiden Fremden hatten hinten im Gebüsch versteckt ein Zelt aufgeschlagen. Aber sie schliefen noch nicht. Jetzt kam Michael herüber, blieb vor dem Hirten stehen und rief ihn rauh an. „Du treibst morgen die Schafe aus“, sagte er, und wies auf die Stelle.

Es war ein Rasenfleck zwischen der Straße und dem Felsen, hinter dem die Waffe versteckt war.

„Sie sollen nichts merken, verstehst du?“ sprach Michael. „Sie sollen die Schafe sehen, wie an jedem anderen Tag.“

Der Hirt sah zu dem Maschinengewehr hinüber und dann auf die Straße hinunter. Er begriff. „Nein“ — stieß er hervor, und seine Finger krampften sich zusammen. „Ihr könnt Schafe haben, soviel ihr wollt —“, sagte er dann.

„Du tust es, ich befehle es dir - sonst“ - Michael griff drohend nach der Pistole.

Der Hirt sagte nichts mehr und sah ihn nur finster an. Pulos, der Hund, knurrte stärker.

Michael wandte sich ab und ging zum Zelt, in dem schon Georgios schlief. Es wurde eine stille, friedliche Nacht. Nur der Hund zuckte im Schlaf bisweilen mit den Läufen.

Als die beiden Fremden am Morgen aus dem Zelt krochen, war der Hirt mit der Herde verschwunden. Die Höhle war leer, die Herdstelle verlassen. Nur ein Schaf war da, an einen Pflock gebunden, blökte leise und traurig und zerrte an seiner Fessel.

„Er hat es uns zurückgelassen“, sagte Georgios. Michael fluchte. Er hätte den Hirten und die ganze Herde gebraucht, er hätte sie alle so gern zwischen sich und die Deutschen geschoben — und die Deutschen hätten alles so gesehen, wie sie es gewohnt waren. Er hätte sie viel besser überraschen können.

Aber es mußte auch so gehen. Sie hatten ihren Befehl.

„Soll ich es losbinden?“ fragte Georgios. Doch Michael winkte energisch ab. Es gab Wichtigeres zu tun. Dann machten sich beide an der Waffe zu schaffen.

An diesem Tag trieb der Hirt die Herde eine weite Strecke zwischen den Felsen dahin. Als sie am Abend rasteten, hatte sich ein Schaf zu ihnen gesellt. Es trug noch ein Stück des Strickes um den Hals gewunden. Der Hirt sah es genau an und nahm den Strick in die Hände.

Mit diesem Strick hatte er das Tier an den Pflock gebunden. Es war etwas Merkwürdiges mit diesem Strick. Sein Ende war glatt abrasiert, wie von einem Geschoß durchschlagen. War es eine verirrte Kugel gewesen, die dem Tier die Freiheit gab?

Seine Flanken zitterten noch, wie nach einem großen Schrecken. Als der Hirt es losgelassen hatte, drängte es sich im Nu in die Herde und verschwand in ihr.

Die neue Weide hatte schlechteres Gras, es wuchs dürftiger zwischen den Felsen. Aber es führte keine Straße vorbei, auf der die Wagen der Deutschen fahren konnten, und oben in den Bergen gab es keine Partisanen. Hier war Friede.

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