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Beinahe ein Held

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Verloren steht Schnitzlers dramatischer Bilderbogen über das vergebliche Streben und Sterben des jungen Medardus vor uns, einst, vor einem halben Jahrhundert, uraufgeführt in ebendemselben Burgtheater. Ein Kolossal-gemälck wie dies erstarrt zum historischen Guckkastenbild, gelingt es nicht, glühende Lebensimpulse vom innersten Nervenzentrum her bis in die äußersten Spitzen der umrahmenden Genreszenen zu jagen. Kann der Burg, kann der Regie Rotts, kann heute solches Unternehmen jemanden glücken? Morgen viele icht, heute nicht.

Heute nicht, denn wir sind nicht imstande, uns an Schnitzlers Maßen zu messen. Elliptisch in sich zurückgebogen erscheint, stellvertretend für ein Zentralaxiom österreichischer Wesensart, der kurze, bebende Zielflug und Absturz unsere« Medardus, dieses leidenschaftlichen Knaben in Mannsgestalt, dem nichts ferner liegen als Perfektion, Lebensroutine. Kalkül. Eigenschaften just, um die sich die das Profil unserer Jahre bestimmende Generation von Österreichern bemühen zu müssen, die sie bereits zu besitzen glaubt. Profunder Irrtum.

Wir, heute, ertragen die nüchterne Klarheit des Spiegels nicht, den ein großer Liebender uns hier bannend entgegenhält, die Klarheit nicht und die Transzendenz nicht, die uns anspringt, uns mit uns selbst zu vermählen. Es paßt nicht in unser momentanes Konzept, was in immer neuen Bildern der Kunst von Walther von der Vogelweide bis Heimito von Doderer sich emaniert und sagt, daß unser irdisches Mühen, wo immer es sich selbst meint, vergeblich sei. Absolute Helden taugen nicht zur Inkarnation des Österreichers; was ihm eignet, ist das Umgreifen der Paradoxa, die Seele als Nistplatz kostbarer Widersprüche, sind öffentliche Niederlagen, versteckte Siege jenseits des eigentlichen Ziels.

Der Kongruenz mit dieser Kristallformel, die Schnitzler in seiner Weltstunde schaute, zu entrinnen, bieten sich Fluchten in das Detail wie in das Pathos an. beide in der denkbar bemühten Aufführung mit Muße etudierbar, die, zeittypisch wie wenige andere, das Sein vom Schein, die Botschaft von der Form, den Autor vom Publikum des Jahres 1962 säuberlich trennt, nicht allein durch den Symbolversuch, mit dem die Bühne hohl überwölbenden metallischkalten Blätterkranz Lois E g g s. Die Grade der Bewältigung und Nichtbewältigung des Stücks sind ein Kollektivphänomen, dem Willen und der Macht einzelner entzogen, signifikant ftr einefv-VoJkes Attgätiblicks-kondition. deren Strahlung stärkere Mauern als die der Burg lautlos zu durchdringen imstande ist. Lob, Tadel, Polemik an die Brust einzelner zu heften, wäre deshalb zwecklos. Was bleibt, ist der Dank für das Wagnis, das, man darf es hoffen, gegen Ende des Millenniums erneuert werden mag. Mit welchem Ergebnis dann?

Beinahe ein Held, doch unter anderem Aspekt, in anderer Dimension ist auch Sternheims preußischer Subalternbeamter Maske, unter der Regie Leon E p p s von den Randgemeinden ins T h e a-ter an der Wien übersiedelt, dort erst recht erweisend, welch verirablen Bühnenglanz die Wiener Peripherie durchs Volkstheater erfährt. Freilich, als Zuschauer soll man selbst einer titelgebenden Hose nicht mehr zumuten, als Weibliches wie Geistiges in ihr Platz hat. Diese „Hose“ nun soll, kann und darf nichts anderes sein als ein grimmiges, aggressiv frivoles Pamphlet von einst — und ein Stück mit wahrer Bühnenpranke hingesetzten Theaters heute. Ferner, als ein Blick durch ein Wiener satirische Brille von heute ins traute, tabuumfriedete Heim des Spießers der wilhelminischen Ära. Beides gelang, und es fällt schwer, den wienerischen Flair der Aufführung, der die Darsteller aureolengleich umgab und von den Urbildern unterschied, unverzeihlich zu finden. Harry Fuß macht aus dem Scheusal Maske etwas wie einen raren Käfer, dessen Aufplusterungen man eher amüsiert als empört beobachtet, fern dem Gedanken, daß er, in Massen gezüchtet, Rohstoff lieferte für das größte Unheil der deutschen Geschichte. Adolf Wesse-1 y s Emphase als Dichter und Denker wog etwa recht. Hans W e i c k e r als Mandel-stam ließ kaum einen Wunsch offen. Herbert Propst erfüllte die Episodenroll« mit Präzision. Susi Peter, charmant, dezent auch in peinlichsten Momenten, assistiert von Julia Gschnitzer als flügelschlagendes, treffliches Altjüngferchen, gewann im Handumdrehen alle Sympathien, ihr gelang es am besten, dem vom Stadtrand an die Wienzeile verpflanzten Outrie-ren und Karikieren zu entrinnen. Aus dem Volltreffer in des deutschen Spießers Magengrube, den Sternheim einst im Rahmen seines bitterbösen Zyklus „Aus dem deutschen Heldenleben“ mit Wucht landete, ist, gut österreichisch, etwa wie ein nachbarlicher, doch nicht mißzuverstehender „Deuter“ mit dem Ellbogen geworden. Den deutschen Spießer unserer Tage zu treffen, bedürfte es eines anderen Stückes. Er rotiert nicht mehr um die Achse von 1910.

In dem unvergänglichen Lustspieltrio Shakespeares gilt „Wie es euch gefällt“ als schwieriges Stück. Weil es fern aller Wirklichkeit und allem Irdischen ganz ins poetisch Märchenbunte entrückt ist, in dem sämtliche vorhandene „Welt“ wie in einem Zauberspiegel eingefangen erscheint. Zugleich ist dieses vielschichtige Pastorale in seiner künstlerischen Form vielleicht das freieste von allen Stücken Shakespeares. Es ist eine Welt, in der nicht die Gesetze der Logik, sondern eher die des Kontrapunktes Menschen und Geschehnisse zusammenhalten. Ein so auf Wort und Phantasie gestelltes Werk erhebt große Anforderungen an Regie und Darstellung, wenn es in seinem barocken Überschwang an Bildern und Vergleichen, in seiner die Grenze des Wahrscheinlichen immer überschreitenden Handlung den Zuhörer ansprechen soll.

Dem falschen Hofleben steht — ein vorgeahntes Rousseau-Spiel — das freie Leben in der Natur gegenüber. Shakespeare hat dem Liebeszauber und Waldeszauber seines Schäferidylls zwei sehr reale Gegenstimmen zugesellt: die seltsame Gestalt des melancholischen Höflings Jacques, der dem verbannten Herzog in den Ar-dennenwald gefolgt ist und dort seine tiefrinnige Philosophie zum besten gibt, ein' skeptischer Humanist und zugleich ein geistiger Revolutionär und Zerdenker in der schon leise verklingenden Welt höfischer Eleganz. Und neben ihm der wunderliche Narr Probstein, der seinen Spott über Torheit und Unverstand der Menschen im allgemeinen und der Hofleute im besonderen mit dem unverblümt zur Schau getragenen Vergnügen an den angenehmen, wenn auch derberen Seiten des Landlebens zu vereinen weiß.

Was Theater ist und sein kann, wie viel an Welt und Menschenschicksal auf den Brettern darstellbar ist, wird immer an Shakespeare zu messen sein. Regisseur Dietrich H a u g k bekennt sich (in seinem Aufsatz im Programmheft) zur Werktreue und strebte in seiner Inszenierung einen neutralen Bühnenraum an, den allein die durch das Dichterwort belebte Phantasie des Zuhörers verwandeln soll. Technisch glückte im Verein mit der Bühnenbildnerin Leni Bauer-Ecsy ein pausenloser Szenenablauf, indem das Nacheinander unserer Guckkastenbühne durch das Nebeneinander der Shake-spearschen Simultanbühne ersetzt wurde. Aber so wenig das allzu nüchterne Bühnenbild mit seinen abstrakten Bäumen eine Augenweide war, so sehr vermißte man Shakespeares Wortmusik und die launig-spaßige Heiterkeit. Die Aufführung war ohne Glanz und Höhepunkte. Erst in der zweiten Hälfte gab es einige Szenen, die aufhorchen ließen, etwa die wundervoll fugierten Liebesquartette. Johanna von K o c z i a n als Rosalinde war erst im Epilog von jener beseelten Innigkeit, die dieser Gestalt — wohl der herrlichsten einer von Shakespeares Frauen — eigen ist. Elfriede I r r a 11 spielte nicht Rosalindens Gefährtin, sondern mit vielerlei Mätzchen ein verwöhntes, kapriziöses Ding, das mehr einem modernen Stück entsprungen schien. Erik Frey als Jacques war um ein Gran zu theatralisch, während Otto Schenkt (Probstein) handgreifliche Eindeutigkeiten vom Gürtel abwärts seines Bauernmädchens Kätchen (Angelika H u r w i c z) eher den plumpen Rüpel als den weisen Narren hervorkehrt. Recht gut gefiel Michael H e 11 a u als liebestrunkener Orlando. Alles übrige wahrte mehr oder minder gutes Mittelmaß.

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