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Bekennendes Theater

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Theater als kulturpolitische Aktion. Theater als politische Tat: das ist „Der Gesang im Feuerofen“, Carl Zuckmayers letztes, von dreiundreißig deutschen Bühnen angenommenes Drama. Nun lebt es auch in Wien auf der Bühne der Burg.

Ein kleines, oftmals verschlepptes, verfolgtes und ausgemordetes Volk hat sich in Jahrtausenden Mut ersungen durch den Lobge6ang der drei Jünglinge Ana-nias, Azarias und Misael, die, im Feuerofen ihrer Henker, Gott priesen. „Jubelt dem Heim, all ihr Geschöpfe Gottes, lobet und preiset ihn ewiglich.“ „Jubelt dem Herrn, Feuer und Hitze, Kälte und Glut, jubelt dem Herrn.“ „Jubelt dem Herrn, Eis und Schnee, ihr Nächte und Tage, jubelt dem Herrn.“ „Jubelt dem Herrn, Licht und Dunkel, ihr Blitze und Wolken, jubelt dem Herrn.“

Der ohristförmigste Heilige des Abendlandes, Franziskus, hat diesen Hymnus übertragen und überformt in seinem „Sonnengesang“.

Die Kirche schreibt ihn dem Priester vor, wenn er nach dem Meßopfer den Altar verläßt: er soll ihm Führung sein, Geleit in diese Welt hinaus,

Zuckmayer konnte kein stärkeres Zeichen wählen, für das, was er aussagen wollte: aus der Saat dieses letzten Krieges, aus seinen Opfern soll uns Kraft, Liebe, Vertrauen, Glauben — Menschlichkeit erwachsen, nicht bloß das billig-banale und fürchterliche Gegenteil, das die Straßen in ihrem Schmutz, das die Massen in ihrer Verzweiflung einander zurufen.

Haut-Chaumond, ein Dorf in den Savoyi-schen Alpen, unweit der Schweizer Grenze, im Dezember 1943, „und ums Kriegsende“. Der härteste Kriegsschauplatz: der Maquis; Partisanenkrieg, Bürgerkrieg. Jeder Krieg ist heute Bürgerkrieg und erregt als solcher die schrecklichsten Leidenschaften. Und wird dergestalt zum Prüfstein, zum Feuerofen. Durch denavir hindurch müssen. Von allem Anfang an läßt der Dichter keinen Zweifel: nicht Puppen und nicht Tote sind hier gemeint, mit diesem Spiel. Wir sind es, unser Drama wird hier vorgespielt. Wenn wir uns bewahren und bewähren, gehen wir durch die Flammen hindurch, wenn wir uns der Verantwortung entschlagen und sagen: „Die dort sind es gewesen, und jene .. .*, dann gehen wir in den Flammen unter.

Dringlich und drängend ist also dieses Stück auf uns bezogen. Der Kampf der Deutschen und Franzosen ist nur ein Gleichnis; Vorbild, Mahnung, eben ein wirkliches Gleichnis. Deshalb haben dieselben Schauspieler die Soldaten der Garde mobile und die Soldaten der Deutschen Heerespolizei zu „spielen“. Deshalb entspricht der Bonhomie und Schwäche des deutschen Ortskommandanten Mühlstein die Gutmütigkeit und Schwäche des Ortsgendarmen Neyroud, deshalb finden sich, zu unseliger Paarung, Louis Creveaux, der Verräter, und Lutz Sprenger, der Truppführer der Heerespolizei. Das aber ist die große Erfahrung jener, die diese Zeit wirklich erleben, erleiden: die wahren Fronten laufen quer durch, halten sich an kei n e Abzeichen, Farben, Standarten, nicht einmal an die „We ltanschau-ungen“, so von den Menschen als Embleme getragen werden, ihren Haß, ihre Schwäche zu verdecken.

Das Äußere ist schnell gesagt: durch den Verrat eines Mannes gelingt es einem andern Mann (was sollen noch „Deutsche“ und „Franzosen“?), die Jugend des Dorfes in der Weihnachtsnacht im Schloß zu fangen — und zu verbrennen. Die Eingeschlossenen, Uberlisteten singen in den Flammen das Tedeum. „Alle Kreaturen, lobet den Herrn.“ Das Äußere ist schnell gesagt, das Innere kann nur angesagt werden, es ist uns zu leben aufgegeben, uns, den Völkern Europas, dieser einen Welt, uns „U b e r 1 e b e n d e n“, die wir die Verantwortung tragen. Für diese Welt.

Träger dieser Woite, die den Weg von Haß zur Liebe, zur Feindesliebe, aus der Vernichtung in die Wiedergeburt, vom Tod zum Leben weisen, ist im Stück der Dorfkaplan Francis Leroy, dessen Vater von den Deutschen gehängt wurde; er selbst ist der Freund des marxistischen Maquisführers Marcel Neyroud. Es geziemt sich, hier darauf hinzuweisen, daß einer der hervorragendsten Priester in der französischen Widerstandsbewegung, Pere Bruckberger (der Vater war Österreicher, die Mutter Französin) die Tragödie jener Resistance bezeugt hat, die im Haß erstickt und die Weltluft verpestet: „Nous n'irons plus aux bois“ — „Wir werden nicht mehr tri die Wälder gehen.“

Dieses Drama Zuckmayers ist also vordergründig ein politisches Drama, ein politischaktuelles Zeitstück, wesenhaft aber ein Erlösungsdrama, das Anruf und Weg zur Läuterung des Publikums sein will, jenes Publikums, das aus einer namenlosen, von kollektiven Lust- und Unlustgefühlen getriebenen Masse rücfcverwandelt werden soll zu einer Gesellschaft einzelner, die in ihrem G e-wissen angesprochen werden: durch starke, bezeugende, wahrheitsdichte Bilder. — Mit Bedauern muß festgestellt werden: Wien hat es nicht gewagt, das ganze Stück aufzuführen mit seinen großartigen Bildern vom Mitwirken der Elemente (Frost, Nebel, Wind usw., genau entsprechend dem Sang der Jünglinge im Feuerofen, genau entsprechend auch dem alten Volksglauben). Wien, die Stadt des Barocks, die noch in Raimund und Hofmannsthal, im Volksstück und Volksglauben jenes Verständnis für die sakralen Bezüge des Kosmischen wie auch für gültige Zeichen im Makro- und Mikrokosmos besitzt, das etwa in Norddeutschland 6eit Jahrhunderten geschwunden ist, so daß dort diese großen seinsbezogenen Symbole zu billigen „Emblemen* und „Allegorien“ verblaßten. Man wählte in Wien, typisch für unsere halben Wege, ein Mittelding zwischen Erlösungsdrama und äußerlich aktuellem Zeitstück, einen Mittelweg zwischen Hilperts Göttinger und Kochs Hamburger Aufführung. So bleiben am Anfang und Ende uns die Engel erhalten; die Durchdringung des Vordergrunds mit dem „Oben“ und „Unten“ im Verlauf der Handlung wird nur mehr in Füttern siditbar. Erfreulich, daß dennoch, unter der Regie Gielens, eine starke, mitreißende Aufführung zustande kommt. ,

„Einbruch der Wirklichkeit“: Unter diesem erregenden und anziehenden Titel verbirgt sich, in der I n s e 1, ein Schauspiel von Franz Karl F r a n c h y, das sehr gute Absichten in einer schönen dichterischen Sprache vorträgt, an einem inneren Konstruktionsfehler aber völlig scheitert. Der Autor wünscht dem Publikum zu sagen: Laßt euch nichts vormachen von den „Realisten“, den Tagmenschen und Tagdieben, es gibt noch eine höhere und tiefere Wirklichkeit, die diese nicht sehen. Dieser anerkennenswerte Gedanke wird aber nun durch eine unerquickliche Parabel illustriert. Fünf Greise in einer Versorgungsanstalt träumen sich in die Rolle von Schatzbesitzern hinein, wobei sie von der Pflegerin Elisabeth in ihren Hirngespinsten unterstützt werden, Ihre mehr kindischen als kindlichen Spiele um den Schatz, der irgendwo im See oder Park ruht, werden unterbrochen durch das Auftreten eines alten Halunken, eines geldgierigen Jungen, eines Polizeirates und des Vorstehers. Diese „Realisten“ wollen den Schatz an sich reißen, zumindest für Staat oder Anstalt beschlagnahmen Unendlich spät fällt das rettende Wort — der Schatz existiert nur in der Phantasie dieser Altersschwachen, worauf diese erleichtert zu ihren Spielen zurückeilen. Ein Stück, das völlig abzulehnen ist, da es das Gegenteil von dem erzielt, was es anstrebt: es macht den Glauben sowohl an eine tiefere, innermenschliche wie an eine höhere, übermenschliche Wirklichkeit nur lächerlich! Die illusionistischen Greise erscheinen in Evangelistentracht (im Stil der Kinderbücher von 1870) und heißen Petrus, Martinus, Thomasius, Jakobus und Christophorus. Höhnend verläßt das „Welt'-Publikum die Vorstellung: ja, wir haben es immer gewußt ..., was für eine fade, süßlich-senti-mentalische Angelegenheit ist doch dieses Christentum! Sein Qlaube ist eine Illusion,bestenfalls ein Ammenmärchen, ein frommer Betrug, um einigen schwachen Köpfen die Härte des wirklichen Lebens zu erleichtern. Einbruch der Wirklichkeit*? Was ist hier Wirklichkeit, was ist die Wirklichkeit?: die Nase des schatzschnüffelnden Polizeirates oder das schatzselige Auge des Greises Petrus? Keine von beiden. Damit aber fällt das Stück als Kartenhaus eines unglücklichen Experiments zusammen.

Das Volkstheater bringt den jungen, lühenden, feuertrunkenen Schiller: .Kabale und Liebe“. Kaum eines seiner Dramen ist so zeitgemäß wie dieser Aufschrei •eines gequälten Herzens. Die nie stattgefundene deutsche Revolution, zerbrochen bereits im Scheitern der Reformation und der Bauernkriege, nicht ausgesungen im Sturm und Drang, hier im bürgerlichen Trauerspiel wird sie Ereignis. Gestrafft, gezügelt, gespannt auf einige Linien, Werte, Personen, kann dieses Drama heute mitreißend wirken. Dr. Glücksmann als Regisseur bemüht sich um diese Wirkung. Mehr Mut aber wäre mehr gewesen. Schiller, der erfahrene Theaterkenner, wehrt sich nicht gegen dl starke

Hand eines kundigen Regiemeisters, er fordert sie selbst. So aber bleibt dieser Aufführung noch manches Halbe, Schleppende, das nicht aufgearbeitet ist, das zu leisten gewesen wäre, zumal da dieser Bühne auch junge, hochbegabte Kräfte zur Verfügung stehen.

C o 1 e 11 e, die unermüdliche, alterfahrene Autorin zahlloser Romane, hat mit einem Kampagnon einen derselben dramatisiert, Charles Regnier hat ihn übersetzt und für Frau Käthe Do*ch bearbeitet, das Akademietheater bringt ihn also für Frau Käthe Dorsch als Komödie heraus: C h e r i. Eine alternde Dame der Gesellschaft und ihr junger, sehr junger Freund. Sie hat ihn von einer Freundin zur Erziehung angenommen, und nun will er fort, der Undankbare: und heiratet auch tatsächlich eine andere, ein blutjunges Ding natürlich. Diese manchmal nahezu peinliche Geschichte wirkt nur durch das Spiel von Frau Käthe Dorsch erträglich. Ob sich in der anglo-amerikanischen Biedermeierwelt nicht ein Kinder-Mutter-Eltern-Großelternstück findet, das dieselbe Funktion erfüllt hätte?

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